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„Also, ich will ja nichts sagen, aber heute ist ein echt beschissener Tag.", motzt mein Bruder. Ich lache. „Okay und warum?", will ich wissen. Ich bin ja nicht neugierig oder so, aber wissen will ich es trotzdem. „Hast du Knatsch mit Lene?" Ich will mich ja nicht aufdrängen oder so. „Nein, das ist es nicht. Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht. Also, es sind halt so kleine Dinge, die gerade echt doof sind. Da ist mir zum Beispiel heute Morgen das liebe Auto nicht angesprungen. Und dann gab es noch so viel Stau und so, verstehst du?", erklärt Andreas. Ich nicke. Natürlich verstehe ich das. „Hmmm, gibt es irgendwas, das ich für dich tun kann? Damit dein Tag wenigstens ein bisschen besser verläuft." Andreas lacht. „Nein, eigentlich nicht. Also, doch...", er stoppt und schaut zu mir rüber. Jetzt kommt es! Das große „Du könntest folgendes tun..."-Spezial. Ich warte ungeduldig. Geduld gehört eigentlich zu meinen Stärken. Aber dann doch eher beim Stau. Langer Stau macht mir nichts aus, aber wenn ich lange auf eine Antwort warten soll, das macht mich dann schon fertig. „Vielleicht können Lene und ich heute Abend essen gehen. Dann müsstest du nur auf die Kinder aufpassen.", offenbart mir Andreas seine Idee. Ich nicke. „Geht klar, spontan ist meine Stärke. Ich freue mich. Sag nur wann, dann komme ich direkt zum Essen.", meine ich und lenke meinen alten Golf auf den großen Parkplatz. „Beliebtes deutsches Fragewort mit H?", murmelt Andreas. Okay, wie bitte und was? Und nochmal? „Wie meinen?" Ich weiß nicht, was er mir damit sagen will. „Hä?", kommt es einfach nur von Andreas. Manchmal sind große Brüder eben schwer zu verstehen, ich werde versuchen es nicht auf das Alter zu schieben. „Deutsches beliebtes Fragewort mit H.", erklärt Andreas es noch einmal langsam für mich. Ich gestehe, mit einem kleinen Bruder hat man es schon schwer. „Soweit konnte ich auch folgen.", grummle ich und schalte den Motor aus. Andreas lacht auf. „Offenbar nicht, sonst hättest du den schon verstanden.", meint er und steigt aus. „Du verstehst auch nicht alles beim ersten Mal.", verteidige ich mich, doch Andreas ist schon ausgestiegen. So mache ich auch mich auf den Weg. Aus dem Auto in die frische Winterluft. „Ich wette mit dir, den ersten Menschen, den wir treffen fragen wir nach dem Fragewort mit H. Und jeder wird es wissen.", grinst Andreas. „Oh je, wieder eine Art mich fertig zu machen.", scherze ich und beginne locker zu joggen, als Andreas ebenfalls zu einem schnelleren Tempo ansetzt. Doch ich beschleunige und entkomme ihm. „Pech gehabt!", lache ich und drehe mich. „Kriegst du irgendwann zurück. Doppelt so dick und Karma lässt grüßen!", ruft Andreas. Ein ganz normaler Tag eben, warum auch nicht. „Also, heute bin ich dran. Oder muss ich mich auf fiese Sprüche einstellen?", frage ich und boxe Andreas freundschaftlich gegen die Schulter. „Naja, lass dich überraschen.", meint Andreas knapp. Aha, super. Und daraus soll ich wohl schließen, dass folgendes durch die Zahl Pi die gleiche Quadratische Formel hat wie die Wasserquelle in Österreich auf dem Längengrad Null Vier Sieben oder so. „Aha.", beschränke ich es also. „Du bist manchmal echt komisch.", kann Andreas nur lachend sagen. Ich nicke. Manchmal? Okay, jetzt beschränkt er es schon auf ‚manchmal'. Was kommt als nächstes? Ich lache. Andreas schaut mich verwundert an. „Was hast du denn jetzt?", ist er verwirrt. Das führt nur zu einem weiteren Gelächter meiner Wenigkeit. Andreas schüttelt den Kopf. Manchmal, man verstehe den Witz, ist das auch notwendig. Lachen, ohne dass jemand weiß, warum. „Ist egal.", winde ich es ab. Andreas schweigt. Oha, jetzt ist er eingeschnappt. Ich verstehe schon. „Na dann.", meine ich und ich öffne dem älteren Herr neben mir freundlich die Tür. Wie er mir, so ich ihm. Ansonsten überlebt man ihn nicht...

„Da ist jemand.", sage ich und deute auf eine weibliche Person. „Chris, wir sind hier auf öffentlichem Terrain. Kein Wunder, dass hier auch andere rumlaufen. Und wir sind hier auch nicht zum Flirten, wir sind hier für ein Interview.", grinst Andreas und läuft demonstrativ an ihr vorbei zu den Aufzügen. Ist klar. „Aha, danke. Ich danke wirklich sehr.", motze ich und strafe ihn mit einem echt bitterbösen Blick. Sie lächelt. Ich lächle auch. Ist das Schicksal? „Schicksal, Bruder. Ich schwöre darauf.", flüstere ich und zupfe an meinen Haaren. Andreas schaut mich entsetzt an. „Chris! Ich bitte dich, die ist nicht älter als achtzehn! Bitte, die ist doch noch fast ein Kind!", empört sich mein Bruder. Ich weiß gar nicht was er hat, bis ich das junge Exemplar entdecke, dass nur wenige Zentimeter von der Frau, die ich eigentlich meine, entfernt steht. Ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Für wen hältst du mich? Ich mein doch nicht den jungen Hüpfer!", erkläre ich und versuche meinem Bruder unauffällig die Frau zu zeigen, die ich eigentlich meinte. Andreas seufzt sichtlich entspannt. Was denkt er bloß von mir? Donnerwetter, ich bin sprachlos! „Was denkst du denn von mir? Ich würde doch nicht so ein junges Mädchen nehmen.", sage ich und Andreas hebt beschwichtigend die Hand. „Schon klar, Bruder. War nur ein Joke.", meint er und ich nicke. Ein Joke. Ein ernster Joke. „Das dauert mir zu lange. Ich gehe die paar Treppen zu Fuß. Man muss ja schließlich auch etwas für seine Gesundheit tun.", meint Andreas und wendet sich zum Gehen. „Meinungen sind verschieden. Ich fahre lieber.", sage ich. Andreas nickt. „Du warst schon immer der faulere.", lacht er. Ich nicke. „Mag sein, aber du, der der Sport mehr nötig hatte.", gebe ich zurück und stelle fest, dass Andreas und ich uns echt nichts schenken. „Tja, so ist das im Leben.", erklärt Andreas und ich stimme ihm zu. So ist es. Und vielleicht wäre ich sogar enttäuscht, wenn es nicht so wäre. Allein der Menschen wegen, die ich kenne. Und ja, ja auch wegen meines Bruders. Irgendwo. Naja, oder so ähnlich. „Bist du sicher, dass du nicht mit mir gehen willst?", fragt mein Bruder wieder. Mit ihm? Gehen? „Nein, lass mal lieber. Ich bekomme höchstens einen Korb von dir und einen Schlag auf den Hinterkopf von Lene. Danach könnte ich dann wieder alleine durch die weite große Welt reisen.", ich gebe mich dramatisch und Andreas fängt an zu lachen. Sehr nett. Sehr, sehr nett. „Das meinte ich nicht, aber in Ordnung. Wenn du meinst. Dann gehe ich allein.", sagt Andreas und ich nicke. „Dann geh allein. Ich halte dich schließlich nicht fest.", bleibe ich ungewöhnlich hart. Einmal darf auch ich ihn ärgern. Einmal darf ich das, bevor ich mir dann wieder seine Sprüche über mich ergehen lassen muss. Naja, ich akzeptiere es. Er ist mein Bruder! Was soll ich machen? Ihn feuern? „Okay, schau. Der Aufzug ist da. Und nun? Willst du immer noch laufen?", stelle ich fest und deute auf den Aufzug. Andreas neigt den Kopf und zieht eine Augenbraue hoch. „Ich warte noch fünf Sekunden und wer dann als erstes oben ist, hat gewonnen.", antwortet er. Ich nicke. „Abgemacht, aber es müssen zehn Sekunden sein.", fordere ich und stelle mich in den Aufzug. Das junge Mädchen stellt sich dazu. Ich wage einen kurzen Blick und dann schließen sich auch schon die Türen des Aufzuges. Ein Lachen entweicht meinem Mund, das Mädchen sieht zu mir. Ich bemerke ihren Blick und schaue sie ebenfalls fragend an. Dann lachen wir beide. „Chris.", sage ich und reiche ihr meine Hand. „Hallo Chris.", sagt sie. Okay, dann verschwieg mir halt deinen Namen. Ich wollte nur höflich sein! „Und du?", frage ich und versuche freundlich auszusehen. „Ich heiße Kelly.", sagt sie und versteckt sich hinter ihrem Schal. Alles klar, Kelly. War schön, dich im Aufzug getroffen zu haben. Ich gestehe, jetzt hier in diesem Kasten, da hätte ich auch lieber die Treppe genommen. So unendlich lahm das Teil. Ich glaube, der ist schon uralt. Auch wenn das Gebäude relativ neu erscheint, der Aufzug stand wohl schon eher hier. Eher als das Gebäude und dann haben die einfach drum herum gebaut, um sich einen neuen Aufzug zu sparen. Schon wieder muss ich gegen meinen Willen lachen. Kelly sieht mich an. „Ist was?", fragt sie. Tja, was soll man sagen? „Nein, ich musste nur an etwas lustiges denken.", erkläre ich und sie nickt. Wow, so gesprächig. Nun gut, was will sie auch mit einem alten Sack wie mir anfangen? Ich könnte glatt ihr Vater sein! Ich weiß nicht, doch ich schüttle den Kopf. „Chris, was hast du denn?", fragt sie wieder. Ich schlucke. „Keine Ahnung, vielleicht ist das die Nachwirkung davon, dass mein Bruder fehlt.", vermute ich und Kelly lacht. Aha, sie kann lachen. Ich mustere sie. Sie trägt eine dünne Strickjacke und eine schwarze Leggins. Mehr erkennt man nicht, ach so. Ja und noch den dicken Schal. Warum noch gleich machen Mädchen das? „War das eben dein Bruder?", fragt Kelly. „Ja.", antworte ich knapp. „Älter oder jünger?", fragt sie weiter. Das wird ja ein richtiges Interview! „Der ältere. Das sieht man doch!", lache ich. Sie grinst. „Aber natürlich sieht man das. Man sieht sofort, dass ihr Bruder seid.", meint sie und schmunzelt. Wie bitte? Die Kleine hat ja Biss! „Wohin musst du hin?", wage ich mich zu fragen. Sofort verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Mensch, Chris! Du hast auch wieder ein Einfühlungsvermögen wie ein Elefant im Porzellanladen und musst dich in alles einmischen! Super. „Verzeih, wenn ich dich damit irgendwie bedränge. Ich meine, der Aufzug ist so unendlich langsam. Da wollte ich ein bisschen Gesprächsstoff finden.", meine ich. Sie schüttelt den Kopf. „Ja, ist ja nicht schlimm. Ich muss meinen Vater besuchen. Er braucht mal wieder irgendwas.", sagt Kelly. Ich nicke. Okay. Das ist auch eine Idee. Oder besser gesagt, ein gutes Vorhaben. „Und du?", kommt es prompt zurück. Ich lächle. „Ähm, ja. Ich habe gleich ein Interview.", halte ich es knapp. Sie nickt. Und dann schlägt sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Du bist Chris!", ruft sie. Ich lache. „Klar bin ich Chris. Habe ich doch eben gesagt.", erkläre ich. Sie schüttelt erneut ihren Kopf. „Quatsch, du weißt doch, wie ich das meine! Du bist Chris Ehrlich. Ich meine, ich hätte dich wahrscheinlich auch eher erkennen können, aber...", grinst sie. Ich stimme ihr zu. „Nun ja, es war eigentlich ganz schön so zu reden, ohne dass es ein Fan ist. Nichts gegen Fans, aber manchmal ist es doch schon anstrengend durch die Straßen zu gehen.", erkläre ich. Kelly zuckt mit den Schultern. „Dein Pech. Du hast dir diesen Job ausgesucht.", lächelt sie. Ich lache. Wirklich gut, sie ist wirklich gut. „Stimmt. Und ich genieße jeden Augenblick den ich auf der Bühne habe. Und jeden Augenblick, der mir so geschenkt wird.", gebe ich zur Antwort. Ich bin wirklich gern der Mensch, der ich bin, stelle ich fest. „Ähm, Chris?", vernehme ich Kellys Stimme. Ich schaue zu ihr. Ihre Augen sind groß und sie zittert. Was ist denn nun los? „Was ist, Kelly?", frage ich und trete ein Stückchen näher an sie heran. „Hast du Klaustrophobie?", will sie wissen. Ich zucke mit den Schultern. Ich fühle mich in engen Räumen nicht ganz wohl, aber ich kriege keine Panik. „Warum willst du das wissen?", erkundige ich mich. Kelly räuspert sich. „Ähm, Chris. Der Aufzug ist stehengeblieben...", flüstert sie und ich erkenne das Problem.

Anam Cara ~ Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt