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Die Nacht ist kurz. Wie eigentlich immer. Unser Morgenteam ist auch schon wieder komplett am arbeiten und schuften. Der Touralltag schlägt wieder voll zu. Jeder ist beschäftigt und weiß was zu tun ist. Andreas, Kelly und ich joggen morgens eine gemütliche Runde und danach geht jeder mal duschen. Endlich auch wieder mit Männershampoo. Andreas verlässt als erster das Bad mit nassen Haare. Haare föhnen hasst er auch wie die Pest. Danach ist Kelly an der Reihe. Laut singend verbraucht sie schön unser Duschwasser. Aber macht ja nichts... Nach einer knappen halben Stunde erscheint sie aus dem Bad, das Handtuch schlicht um ihren dünnen Körper gewickelt. „Wenn das jetzt rutscht...", grinse ich. Sie wirft mir einen bitteren Blick zu. „Hättest du wohl gern...", gibt sie zurück. Ich schüttle den Kopf. „Bin ich zu hübsch für dich?", fragt sie. Ich lache auf. „Mit Sicherheit...", stimme ich ihr zu. Was für ein Gedanke! Pfui! Sie verschwindet eben hinter einer Tür und zieht sich etwas an. Gott sei Dank. Aber schon taucht sie in Jeans und Top wieder auf. „Ist das nicht ein bisschen kalt?", frage ich. Sie nickt. „Ich will nur eben meine Jacke holen, die liegt doch...", überlegt sie und schaut sich um. Oh. Da fällt mir etwas in mein Sichtfeld. „Wie lange sind die jetzt her?", erkundige ich mich. Ertappt sieht sie mich an. Aber verstecken tut sie nichts. Immer noch im Top steht sie vor mir. Ihr Blick senkt sich, aber ich weiß genau wo sie hinschaut. Mit ihren Fingern streicht sie über die schon fast verheilten Narben. „Die...", sie scheint zu überlegen. „Naja, ich weiß nicht mehr..." Ihre Antwort lässt mich innerlich zusammen zucken. Wenn sie sich schon nicht mehr erinnern kann? Wie lange ist es dann wohl her? Und vor allem, wie tief waren ihre Schnitte, wenn man immer noch etwas erkennen kann? Ich nicke. Schüchtern weicht sie meinen Blicken aus. „Ist halt mal so gewesen.", erklärt sie. Wieder nicke ich. Ich bin auch nur an nicken und ihr zustimmen. „Jetzt nicht mehr?", will ich wissen. Sie zuckt mit den Schultern.

„Schwer zu sagen, weißt du. Ich will nicht, dass du jetzt wieder schlecht von mir denkst...", meint sie, doch ich unterbreche sie. „Wieso sollte ich denn jetzt schon wieder schlecht von dir denken?" Ich weiß, wie sie darauf kommt. „Ja, ich weiß auch nicht. Ist halt mal so, dann wieder so. Es ist nichts, was man einfach so ablegen kann. Manchmal kommt es über einen und naja, da ist man schon so ein bisschen...", versucht sie es zu erklären. Ich höre ihr aufmerksam zu. „Kann ich dir irgendwie helfen?", frage ich. Sie schüttelt den Kopf. „Ach, da gibt es nicht viel.Ich weiß nicht mal was man dagegen machen kann.", sagt sie. Ich überlege. „Du hast doch auch die Therapie angefangen, oder?",erkundige ich mich. Sie zuckt mit den Schultern. „Aber das ist ja auch nichts halbes und nichts ganzes. Da sitzt nur einer, der keine Ahnung davon hat, was du sagst und dir nur einen guten Rat auf gut Glück geben kann." Aber wenigstens kann man reden! „Geht es nicht darum, sich jemandem mitzuteilen?", stochere ich weiter.Kelly neigt den Kopf. „Ich weiß nicht, ich bin vielleicht ein bisschen..." Sie sucht nach den richtigen Worten. „Ich bin bestimmt da auf meine Art festgefahren. Was bringt es denn jemandem sein Leben zu erzählen? Derjenige, der weiß doch gar nicht, wie es sich anfühlt. Hat dieser Mensch, dem ich alles erzähle, auch das gleiche durchgemacht wie ich? Die vielen schlaflosen Nächte. Weiß dieser Mensch davon? Die vielen Augenblicke, in denen man sich eine Person wünscht, die nicht sagt, dass alles gut werde. Sondern eine Person, die mal sagt, dass man seine Gefühle zulassen kann." Atmen nicht vergessen! „Mit einem Therapeuten zu reden, das ist nicht so einfach, wie man denkt. Ich meine, möglicherweise habe ich auch Angst davor, dass es wieder alles zu viel wird. Und ich meine, jetzt gerade ist doch auch alles in Ordnung. Also, warum muss man alles wieder aufreißen? Warum muss man sich noch einmal damit auseinandersetzten?", spricht sie immer leiser. Mittlerweile sitzen wir auf den engen Stufen unseres Nightliners und sie hat ganz glasige Augen. Innerlich sage ich tausend Sätze, doch nach außen hin bleibe ich ruhig. Schweigen ist manchmal doch sehr gut. Gute Frage,warum kann man nicht einfach krank sein? Habe ich das gerade umgewandelt? In etwas, was ich vielleicht hören möchte?

Anam Cara ~ Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt