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Die Ereignisse des vergangenen Abends ziehen sich immer noch wie heißes Wasser durch mein Gedächtnis. Am liebsten würde ich vergessen, was war. Aber das geht wohl schlecht. So wache ich am Morgen auf und staune nicht schlecht. Wir sind in Neu-Ulm angekommen und draußen klingt es auch schon fröhlich und lustig. Warum hat mich denn keiner geweckt? Ich sehe auf mein Handy und erstarre. Wir haben kurz nach Zwölf! Hat sich denn keiner was dabei gedacht? Ich richte mich auf. Oh je, mein Kopf! Der brummt ganz schön. Der gute Mann gestern hatte aber eine harte Faust. Das muss man ihm lassen. Mühsam schäle ich mich aus dem Bett. Ich tanke Energie, in dem ich einfach kurz durchatme. Mein Magen knurrt, doch ich ignoriere es. Nein, danke. Ich will nicht hilflos enden! Ich bin miserabel! Und so schleiche ich mich ins Bad. Dort wasche und kleide ich mich an. „Gut siehst du aus.", sage ich meinem Spiegelbild, das das genaue Gegenteil davon ist, was ich sagte. Ein dunkler Fleck in meinem Gesicht muss gleich in der Maske besonders gut überschminkt werden. Dazu kommen tiefe Ringe unter den Augen und meine Haut ist unnatürlich blass. Ich seufze und schließe kurz meine Augen. Heute wird ein guter Tag! Man muss es sich einfach nur zehn Mal sagen, dann geht das auch klar. Und ich zücke mein Handy. Keine Nachricht, kein Anruf. Gut? Keine Ahnung. Ich glaube, ich gehe erst mal joggen. Andreas war bestimmt schon. Und wie als hätte er es gehört, geht die Tür vom Nightliner auf. „Guten Morgen!", wünsche ich und trete aus dem Bad.

„Du siehst echt scheiße aus...", kommt es direkt zurück. Ich neige meinen Kopf und sehe meinen Bruder mit meinem „Dein-Ernst?"-Blick an. „Danke schön.", murmle ich und reibe mir vorsichtig das Gesicht. „Hast du die Nacht noch durchgemacht, oder was?", lacht Andreas. Ich schüttle den Kopf. „Nein, habe ich nicht.", antworte ich und lege meine Schlafsachen ordentlich in mein Bett. Hätte ich das, dann nur mit Kelly und wir hätten uns wieder nur gegenseitige Versprechen gemacht. Ich glaube, ich möchte sie eigentlich ganz gerne jetzt anrufen. Fragen, wie es ihr geht und nicht hier hocken. Ich möchte sie ganz fest drücken und ihr sagen, wie doll sie mir was bedeutet. Freundschaftlich, versteht sich. „Fühlst du dich bereit zum Arbeiten?", fragt Andreas. Was soll ich sagen? Ich meine, so gern würde ich hier alles stehen und liegen lassen und würde zu Kelly fahren. Ich würde sie knuddeln und ihr so oft danken, dass es sie noch gibt. Und ich würde mit ihr durch die Stadt gehen. Mich nicht unter einer Kappe oder so verstecken, sondern einfach mit ihr durch die Gassen schlendern. Und wir würden ihr Sachen kaufen. Und sie würde mit mir ein Eis essen, bevor wir uns wie Kinder durch die Stadt jagen. Ja, vielleicht würde ich ihr einen kleinen Trick zeigen. Und vielleicht würde ich sie damit überraschen. Und am liebsten möchte ich, dass ihr an nichts fehlt. „Chris...", höre ich und schrecke hoch. „Ich bin bereit.", sage ich. Und ich nicke. Joggen wird wohl nichts mehr.

„Oder kann ich noch eben ne Runde joggen gehen...?", erkundige ich mich. Andreas nickt. „Klar, wenn du meinst. Wir planen dann schon mal vor. Du kannst dann gleich dazu stoßen.", sagt er. Ich nicke. „Ach, Andreas?", schiebe ich hinter her. „Ja?", schaut er mich an. „Wegen gestern. Ich will da keine Sonderbehandlung und auch nicht mehr Sicherheitspersonal heute Abend. Und am besten ist, keiner redet mehr darüber. Geht das?", will ich wissen. Nichts an die große Glocke hängen. Nichts! Ich will einfach nur heute einen Tag genießen und nichts machen. Nichts wünschen und nichts anderes. Andreas nickt. „Aber sicher. Ich meine, klar. Aber es ist ja wohl verständlich, dass wir nun sehr darauf achten, dass dieser durchgeknallte Mensch nicht mehr in deine Nähe kommt. Kannst du wenigstens das verstehen und nachvollziehen?", meint Andreas. Ich nicke. Sicherlich. Kann ich. „Ja.", gebe ich also leise zur Antwort und mache mich fürs Joggen bereit.

Dann laufe ich los. In einem guten Tempo. Auf meinem Kopf trage ich eine Kappe, damit mich keiner erkennt und auch sonst trage ich eher unauffällige Sachen. So laufe ich locker und ruhig meine Runde. Ich rufe sie an. Jetzt. Einfach nur jetzt. Ich bleibe dann stehen und ich wähle ihre Nummer. Es sind zwar nur Gedanken, aber die Idee ist gut. Ich könnte mit ihr reden und ihre Stimme hören. Ich könnte mich davon überzeugen, dass es ihr gut geht. So wähle ich nun entschlossen Lenes Nummer. Lene ist sicher zuhause. „Hallo?", nimmt sie ab. Ich atme tief durch. „Lene, ich bin's Chris.", melde ich mich. „Ah, Chris. Ist was passiert?", fragt sie besorgt. Ich lache. „Quatsch, nein. Seit gestern nichts mehr.", erkläre ich. Auf der anderen Seite lacht sie. „Okay, gut. Was kann ich für dich tun? Wir wollen gleich zusammen auf den Spielplatz mit den Kindern.", sagt Lene. Wir? Lene, die Kinder und Kelly? Und Kelly! „Kann ich vielleicht.... Ist Kelly da?", erkundige ich mich. „Ja, ist sie. Sie spielt mit den Kindern.", meint Lene. Ich höre sie seufzen. „Chris, was soll ich machen? Was ist los bei euch? Andreas meinte, ich dürfte Kelly nicht aus den Augen lassen und ich mache mir Sorgen.", sagt sie. Ich schlucke.

„Chris, ich will ja gar nicht viel wissen, aber ich möchte eigentlich nur wissen können, dass ich sie mit meinen Kindern auch mal allein lassen kann. Ohne dass etwas passiert. Den Kindern und Kelly.", flüstert sie leise ins Telefon. Ich schlucke erneut. Was sagt man dazu? „Sie ist eine tolle Frau.", antworte ich nur. Mehr sage ich nicht. „Ich vertraue auf dein Wort, Chris." Lene vertraut auf mein Wort? Kelly ist nun mal eine tolle Frau. Schon höre ich wie Lene den Hörer an Kelly abgibt. „Hallo?" Ich schließe meine Augen. Was für eine Stimme, sie bereitet mir Gänsehaut. „Kelly.", begrüße ich sie. „Das mit gestern tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung, dass mein Vater so was macht. Und ich bin froh, dass ich jetzt bei Andreas hier untergekommen bin. Hier sind alle sehr nett. Auch eure Mutter...", prasselt es auf mich nieder. Ich nicke und lächle. „Siehst du, das ist doch ein Grund.", meine ich und sie lacht. „Es gibt viele Gründe.", lacht sie und nicke. „Und viele schlechte Zeiten.", ergänze ich. Sie schweigt. Und ich auch. Irgendwie. „Chris, was meinst du?", kommt die Frage aller Fragen. „Was ich meine? Du meinst, ob ich die Zeit meine? Ja. Die meine ich.", erkläre ich und ich rede mit ihr. Bis ich wieder bei der Halle bin und ich auflegen muss.

Zusammen mit den anderen plane ich unsere Show. Und ich esse kleine Happen. Eigentlich schmeckt es doch ganz gut. Kelly hat es mir empfohlen. Und so schaffe ich auch die Show. Eine Hammer Show. Und es macht mir so viel Spaß. Nichts ist wie gestern und ich lache fröhlich durch die Gegend. Wunderbar. Danke Kelly!

Anam Cara ~ Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt