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Am nächsten Morgen schlafen wir alle schön aus. Bis halb neun. Ein bisschen länger schlafen konnten wir ja schon. Ich klopfe fröhlich und munter bei Andreas am Zimmer. Langschläfer. Wenn er es nicht zuhause kann, auf Tour nicht kann. Dann versucht er es wenigstens wenn wir mal in einem Hotel schlafen. Nun ja, so oft kommt das ja auch nicht vor. „Aufstehen!", brülle ich und trete ein. Gut, dass er nicht abgeschlossen hat. So stehe ich dann vor seinem Bett und ziehe ihm die Bettdecke weg. „Nur noch...", murmelt er und kuschelt sich ohne Decke in sein Bett. „Quatsch mit Soße. Wir gehen jetzt joggen. Gleich frühstücken wir und haben noch andere Termine.", werfe ich ihm vor. Er dreht sich und mault nur weiter rum. Aufgeben? Keine Option! Schon werfe ich mich neben Andreas und kitzle ihn. Er quält sich aus dem Bett und schlürft in das Bad. Ich rolle mich ebenfalls aus dem Bett und mache es schon mal ordentlich. „Beeil dich!", rufe ich. Ein Murmeln ist die Antwort. „Sollen wir erst eine Runde laufen oder erst frühstücken?", frage ich. Damit er denkt, er kann auch etwas entscheiden. Und schon erscheint Andreas wieder. Gut gekleidet. „Als ob ich mit leerem Magen Sport mache!", protestiert er. Ich nicke. „Alles klar, aber mit vollem Magen Sport machen ist auch nicht gesund.", erkläre ich ihm. Er nickt. „Wenn du meinst, wir können auch erst joggen gehen, dann essen. Um ein Uhr ist die erste Show. Bis dahin muss alles fertig sein.", meint Andreas. Ich nicke und winke ihn aus dem Zimmer. Wir gehen runter, klopfen noch an den anderen Zimmern und melden uns dann ab. Gemütlich joggen wir eine ausgiebige Runde. Es ist noch ein bisschen kalt, aber durch das Laufen wird einem wirklich schnell warm. Warm, heiß und dann schmilzt man. Lachend keuchen wir die Straßen entlang. Wirklich schön. „Hey, Bruder!", rufe ich. Andreas bleibt einige Meter vor mir stehen. „Hast du Angst, du kommst nicht mehr hinter her?", fragt er grinsend. Ich schüttle den Kopf. „Eigentlich nicht. Ich wollte etwas anderes besprechen.", sage ich. „Besprechen? Das klingt aber gar nicht gut.", entgegnet Andreas und stemmt die Hände in die Hüfte. „Ja, geht eigentlich.", wiege ich es ab. „Spuck es schon aus. Was liegt dir auf deinem armen Bruderherzen?", macht er sich lustig. Ach, so ein netter Kerl. „Es geht um Kelly. Heute sind die letzten zwei Shows mit ihr. Danach fährt sie wieder nach Hause.", erkläre ich. Aber nur das halbe Problem. „Okay, das war ja so abgemacht.", schiebt Andreas zwischen. Ich nicke. „Genau. Und daran wird sich ja auch nichts ändern. Nur...", beginne ich. Aber weit komme ich nicht. „Chris, du kannst sie meinetwegen jeden Tag anrufen. Ich leihe dir auch mein Handy, wenn deines dann leer ist. Das ist doch nicht das Problem.", spricht Andreas mir gut zu. Aber das meine ich ja auch gar nicht! „Ach, so ein Bullshit. Ich schaffe das schon mit dem Akku. Mir machen andere Dinge Sorgen." Ich räuspere mich und stoppe einen Augenblick.

„Weißt du, wenn ich nicht da bin..." Wieder so ein komisches Kratzen im Hals. „Keiner weiß, wie es ihr geht. Und immer habe ich ja nicht Zeit für sie. Verstehst du? Ich möchte sie nach diesen tollen zwei Wochen nicht nach Hause schicken. Ich habe einfach nur Angst um sie. Na gut, ein bisschen auch um mich. Sie puscht mich und gibt mir Kraft. Mit ihr kann ich einfach sein, wie ich will. Sie zeigt mir, dass sich an manchen Tagen das Kämpfen mehr lohnt. Mehr, als ich es denke." Andreas sieht auf den Boden und spielt mit einigen Steinen. So desinteressiert? „Andreas!", brülle ich. Erschrocken zuckt der Angesprochene zusammen. „Was soll ich machen, wenn sie zuhause...", stammle ich mit Tränen in den Augen. Er seufzt und nimmt mich in den Arm. „Ach, Chris...", haucht er. Ich klammere mich an ihn. Halt mich, Bruder! Keep me in your Heart. Er drückt mich fest an sich. „Chris...", wiederholt er. Tja, zu spät. Ich weine bitterlich und möchte mich gar nicht mehr beruhigen. Kelly hatte ihren Ausbruch. Ich zittere. Ich wollte vor ihr nicht weinen, ich wollte stark sein. Wie hätte ich ihr denn meinen Ausbruch erklären sollen? Ich musste ihr Fels sein! Ihr Fels in dem Sturm, inklusive Leuchtturm. Und jetzt? Jetzt brauche ich einen Felsen. Und der wird mir geboten. Andreas, mein großer Bruder hält mich ganz fest. Ganz, ganz fest. Lässt mich nicht, lässt nicht zu, dass ich falle. Ich bin erstaunt, wie viel Kraft in seinen eigentlich dünnen Armen stecken. Dünn ist er! NEIN! Ich spüre es, wie dünn er ist. Keiner soll dünn sein! Nein, nein. Das ist doch krank. Krank! Krank, dünn zu sein. Pfui! Heute noch nichts gegessen? Ich hasse dich! Verschwinde! Ein leiser Schrei entweicht meiner Kehle und er zieht ganz schön. Andreas hat große Mühe mich zu beruhigen. „Chris, sie ist hier. Kelly ist hier, sie ist bei uns. Und so schnell wird sie dich doch nicht verlassen! Gott, als wärt ihr ein Paar...", stöhnt Andreas auf. Lächeln. Tatsächlich bringt er mich zum Lachen. „Wir sind kein Paar.", brumme ich. Andreas lacht und ich schaffe es, wieder zu stehen. Alleine stehen. Stark zu sein. „Schon klar! Ich will da auch gar nicht meinen. Aber..." Das dicke, große Aber... „Glaubst du nicht, dass Kelly auch ein bisschen was daran liegt, dass es dir gut geht?", stellt Andreas eine Theorie auf. Ich zucke mit den Schultern. „Sie bemüht sich doch darum, alles ordentlich zu machen. Stellt tausend Fragen, die alle unwichtig sind. Wie ihr schon seit zwei Tagen diesen Tanz macht..." Ich fühle die angenehme Wärme in seiner Stimme. „Chris, noch keine unserer Tänzerinnen hat es geschafft dich so unfassbar aus der Fassung zu bringen. Das Publikum stand. Und stand, ewig standen die Leuten und haben geklatscht. Ewig! Jeder, der anwesend war, hat gespürt, dass euch verrückte Vögel was verbindet. Und es ist etwas unfassbar Krasses." Woher nimmt er diese Worte? Er sprüht förmlich vor Euphorie. Was ein Anblick. Ich wische mir die letzten Tränen aus dem Gesicht. „Meinst du?", frage ich unsicher. Andreas packt mich an meinen Armen. „Chris. Ganz ehrlich?" Ehrlich? „Ihr beide seid viel mehr als nur Kumpels. Ihr seid perfekt, zusammen ergänzt ihr euch so wunderbar. Und ich verspreche dir hoch und heilig, ich setze Lene auf Kelly an. Meinetwegen jeden Abend lasse ich Lene zu ihr fahren. Das würde sie sicherlich machen, wir installieren Kameras in deiner Wohnung, noch schnell. Und dann...", sprudelt es aus seinem Mund. Lächerlich. Langsam muss ich wirklich nur lachen. Aber es tut gut. Sehr gut.

„Wenn es einen Menschen auf der Welt gibt, der dir so das Leben zur Hölle macht...", grinst Andreas und er meint es gar nicht böse. „Dann hoffe ich wirklich von ganzem Herzen, dass ihr beide verwandt seid. Irgendwo muss es einen Uropa geben, über den ihr verwandt seid.", lacht er. Ich nicke. „Du bist verrückt.", sage ich und schubse ihn ein Stück. „Chris.", ist Andreas plötzlich schrecklich ernst. Ich sehe ihn unsicher an. Alles nur ein Joke? Hoffentlich. „Ich bin nicht verrückt. Dafür habe ich dich und das reicht mir für den Anfang schon ganz gut. Außerdem glaube ich, dass Kelly sich ganz genauso Sorgen um dich machen könnte.", meint er. Ich nicke. Wir gehen langsam wieder los. Richtung Hotel zurück. Gleich ist es zehn Uhr. Oder schon später. Wir müssen noch einige Sachen vorbereiten. „Frühstücken nicht vergessen.", höre ich Andreas. Was will er damit andeuten? „Vergesse ich schon nicht. Wirklich und versprochen.", schwöre ich und hebe meine rechte Hand. Andreas lacht. „Na, dann ist ja gut. Wenn du überhaupt noch etwas vom Essen abbekommst!", schreit Andreas plötzlich und sprintet davon. Ich lache und dann renne ich hinter ihm her. Schnell, wie der Wind, schnell, wie ein Jet. So schnell rennen wir. Und schnaufend kommen wir an. Schon werden wir von Kelly und den anderen erwartet. „Wo wart ihr? Ich habe mir Sorgen gemacht...", schimpft sie. Ich schiebe mich an Andreas, der ziemlich im Weg steht, vorbei und nehme sie in den Arm. „Wir waren nur joggen.", erkläre ich. Sie nickt und schmiegt sich an mich. „Du Affe, hättest ja auch was sagen können, dann wäre ich mitgekommen.", meint sie und sieht Andreas an. „Sonst alles klar...?", fragt sie und die Frage geht glaube ich eher an Andreas, als an mich. Hatte ich doch rote Augen?

„Wir sollten mal langsam frühstücken gehen. Ich meine, gleich müssen wir auch wieder rüber. Noch die letzten...", erklärt Andreas und Kelly fällt ihm ins Wort. „Letzte Feinheiten... Schon klar!", lacht sie. Ich hake mich bei ihr ein und wir schlendern gemütlich in den Speisesaal. Schnell wird ein bisschen was hinunter geschlungen. Hoffentlich bleibt das drin, so schnell wie ich das runtergeschluckt habe. Dann geht es wieder mit Kapuzen, bis übers ganze Gesicht, zur Halle. Dort räumen wir die letzten Sachen weg. Bereiten einige Ding noch vor. Den Feinschliff. Wie Kelly es schon erwähnte. Weil wir noch ein kleines bisschen Zeit haben, zeige ich Kelly unseren Stand. Das Merchandisingständchen. Die vielen Sachen, die sich unser Team überlegt hat. „Wow...", staunt sie. Ich nicke. „Oh, vielleicht sollten wir mal lieber wieder gehen... Da stehen ja schon die ersten Fans.", sage ich und deute unauffällig nachdraußen. So machen Kelly und ich uns auf Weg zur Bühne. „Ich glaube, gleich geht es los.", teile ich unserem Team mit. Andreas nickt und schon verschwinden wir in unsere Nightliner. Ganz unauffällig. Da sitzen wir nun. Kelly, Andreas und ich. Andreas telefoniert mit seiner Familie. „Wie kommst du eigentlich nach Hause?", frage ich Kelly. Total verwirrt schaut sie mich an. „Ach ja...", erinnert sie sich dann. Ich nicke. Genau. Ach ja, da war doch was... „Also, ich schätze ich fahre mit der Bahn. Dann bin ich auch bald da. So gegen Mitternacht bestimmt.", meint Kelly. Ich reiße die Augen auf. „Mitternacht?", staune ich. Aber sie nickt. „Kommt nicht in die Tüte! Entweder es bringt dich jemand schnell nach Hause oder du fährst mit nach der Mittagsshow schon.", sage ich streng. Sie lacht. „Bist du jetzt mein Vater, oder was?" Ich verschränke die Arme. „Mir egal. Du fährst auch mit neunzehn Jahren nicht um Mitternacht nach Hause!", bleibe ich dabei. Sie verdreht ihre Augen. „Na super...", grummelt sie. „Du bist so ein Spielverderber. Soll ich jetzt nur die erste Show bleiben? Oder bringst du mich höchstpersönlich?", giftet sie. Ich lache auf. „Alles klar! Jetzt werden wir zickig? Ich bin einfach nur um dich besorgt! Akzeptier das doch! Ich suche jemanden, der dich bringt.", erkläre ich. Sie schnaubt. „Ist toll, du Glucke.", mault sie. „Chris? Showtime!", ruft Andreas. Es wird Zeit und wir machen uns auf den Weg in die Halle. Heute spielen wir wieder in Fulda und das gleich zweimal. Die Freude ist gigantisch! Und so setzen mein Bruder und ich alles dran um die Show von gestern noch zu toppen. Ob es uns gelingen wird?

Das tut es. Mit Applaus und lauten Rufen verabschieden wir uns von dem Publikum in der ersten Hälfte. Tut schon wieder gut. So eine tolle Show. Und das war ja nur die erste. Die zweite kommt gleich ja auch noch. Kelly und ich haben in der Zwischenzeit diskutiert. Sie fährt mit einem Crew-Mitglied nach Hause. Die Johanna muss auch nach Hause. Da nimmt sie Kelly mit. „Und feiere mit Jessica nicht so viel!", rufe ich nach der letzten Show ihr nach. Wenn ich nur wüsste...

Anam Cara ~ Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt