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Der Abend verlief wirklich gut. Wir hatten alle noch richtig Spaß. Das Publikum war ein bisschen schwer zu begeistern, aber wir haben es, glaube ich, doch geschafft. Und so verabschieden wir uns von der Bühne. Froh, es geschafft zu haben. Und sicherlich auch froh, wieder auf die Bühne zu können. Morgen, ist auch noch ein Tag. Hier. In Göttingen. Ich freue mich schon. Und so machen Andreas und ich uns auf, hinter der Bühne fallen wir uns gegenseitig in die Arme. „Was ein Abend!", jauchze ich und ich verteile viele High-Five an unser Team. „Ein Knaller!", freut sich Andreas. „Okay, dann sauber machen und ab ins Bett. Morgen ist ein neuer Tag und wir müssen alle fit sein.", erklärt Kölbchen. Wir nicken. Schnell wird geholfen. Klar, Andreas und ich können noch nicht mit raus und helfen. Noch sind ja einige Menschen in der Halle. Die strömen nur langsam Richtung Ausgang. Doch irgendwann kommt von Budda ein „Okay, ihr könnt!". Und schon helfen Andreas und ich tatkräftig mit. Boden fegen, Illusionen überprüfen, schnell noch was für morgen aufbauen. Oder zu mindestens anfangen zu bauen. Dann schleichen wir alle Müde in unsere Busse und hauen uns aufs Ohr. Kelly war mit dem Tag heute auch sehr zufrieden. Sehr süß war, als sie Andreas und mir in der Pause Wasser brachte. Sie gibt sich wirklich Mühe, dass es nicht auffällt, dass sie gar nicht zur Ehrlich-Crew gehört. Aber fällt keinem auf. Unser Team nimmt sie liebevoll auf und keiner sagt etwas Schlechtes. So muss das doch laufen, oder?

Am nächsten Morgen spielt sich das gleiche ab. Aufstehen, frühstücken und anziehen. Fertig machen und planen. Üben und probieren. Ein Tag, wie jeder andere. Hätten wir nicht Kelly dabei. So beginnt schon das Frühstück damit, zu lachen. Und den weiteren Verlauf, dem trägt Kelly echt gut bei. So läuft sie mit einer Kamera durch die Gegend und fotografiert alle ohne Scheu. Für das Tagebuch, welches sie nun schreiben will. Auch Andreas und ich sollen sowie alle anderen Crew-Mitglieder fleißig daran arbeiten. So liegen wir abends alle schön im Bett. Geplättet von heutigen Tag. „Morgen schenken wir ihr einen Pullover...", höre ich es von Andreas und ich weiß, welchen er meint. Und im nächsten Augenblick träume ich schon vor mich hin.

So ist es jetzt schon Samstag und wieder beginnt der Tag klasse. „Wir möchten kurz um eure Aufmerksamkeit bitten.", ruft Andreas beim Frühstück und steht auf. Alle sehen ihn an. Auch Kelly. „Meine lieben Freunde, Brüder und andere hier zu sein scheinende Wesen dieser Erde!", posaunt Andreas und alle fallen in ein schallendes Gelächter. Doch dann ist es wieder ruhig und alles sieht gespannt zu Andreas. Was wird er sagen? Ich weiß es schon. Aber die anderen nicht. Was ein Gefühl! „Wir haben ein neues Mitglied, welches wir seit Dienstag mit uns herumschleppen. Wir möchten sie nun offiziell vorstellen. Hier ist die zauberhafte Kelly!", ruft Andreas und plötzlich wird jemand bestimmtes ganz rot. „Was...?", stammelt diese Person, welche ich zum Aufstehen bewege. „Sie ist neu. Aber wir haben gedacht, ein bisschen so neben der Schule her, da könnte sie sich etwas dazu verdienen und deshalb die Frage. Kelly, hast du Lust ein bisschen hier mitzuarbeiten? Eine kleine Aushilfe sein? Uns helfen und dann auch mit auf Tour zu fahren?", fragt Andreas, die komplett mit den Nerven fertige, Kelly. Es klingt ein bisschen so, als würde sie heiraten. Sehr lustig. „Kelly, wir schenken dir diesen Pullover. Und damit gehörst du bis mindestens Montag zu unserer Crew!", schreit Andreas und Applaus ertönt. Alle stehen sie auf und gratulieren Kelly. Sie sind alle so freundlich. So höflich und lieb. Einige umarmen sie sogar. Andere geben bloß die Hand. Aber keiner sagt was. Keiner stellt Fragen. Jedenfalls nicht hier, nicht öffentlich. Das wird sicherlich gleich in einer Whatsapp-Gruppe besprochen. „So, meine Lieben. Dann würde ich sagen. Wir gehen unserer Arbeit nach. Schließlich wollen wir heute auch wieder eine fabelhafte Show auf die Beine stellen.", erkläre ich.

„Wir sind heute in Halle. Und diesmal auch in der Stadt Halle und nicht nur in einer Halle. „Wir haben die vielen Trucks draußen geparkt. Jeder sollte mit anpacken. Und los geht's!", rufe ich wieder und dann geht es los. Jeder hilft mit. Jeder packt mit an. Und es ist super. Unser Team ist da wirklich gut trainiert. Jeder Handgriff sitzt perfekt und auch Kelly schafft so einiges. Kaum ist die Lichttechnik aufgebaut, da schaut sie auch schon mit zu, wie man das Licht am besten nutzt. „Boss, darf ich heute in der Show am Licht helfen?", höre ich Kelly. Ich schaue sie an. „Wen meinst du mit Boss?", frage ich. Sie lächelt. „Wer sagte, dass er heute der Boss wäre...?", grinst sie. Und ich fange an zu lachen. „Gut aufgepasst. Aber gerne.", lache ich. Sie nickt. Und dann ist die erste Show auch schon dran. Eine der vielen Zusatzshows, die wir extra für die kleinen Zauberlehrlinge machen. Ist ja auch verständlich, dass man nicht um acht Uhr abends mit einem sechsjährigen zu so einer Show geht. Da findet sich aber ja jetzt eine Lösung. Und so rocken Andreas und ich die Bühne. Wieder. Erneut. Die zweite Hälfte läuft auch perfekt. Wunderbar, so die Menschen verzaubern zu können. Und wenn man mit den einfachsten Dingen die Menschen so verzaubern kann. So ganz simple Dinge. Die scheinen plötzlich total angesagt. Wow, wie das einschlägt. Ich bin begeistert. „Vielen Dank! Wunderbarer Abend. Wir freuen uns, dass wir da sein durften!", verabschieden wir uns lautstark. Der Applaus hält an und wir lachen fröhlich. Bis sich der Vorhang senkt und wir diesmal heute, zum ersten Mal dahinter verschwunden sind. Und hinter der Bühne wird schon geklatscht. Unser Team. „Danke Leute. Wir räumen gleich auf und dann machen wir Mittagspause.", erklärt Andreas und schon rückt unsere liebe Putzkolone aus. Fleißig schrubben sie alles weg und auch Kelly hilft fleißig weg. Ich grinse stolz. Wer hätte gedacht, dass sie sich so reinhängt? Die tut ja wirklich alles.

„Chris, wir müssen reden.", höre ich Andreas sagen. Ich nicke und wir verschwinden Richtung Bus. Dort sind wir allein und können reden. „Was ist?" Er sieht mich sehr unsicher an. Oder bin ich es, der sich unsicher fühlt? „Es ist wegen Kelly.", sagt Andreas. Ich werde hellhörig. Was ist? Bis gerade war doch alles super. Hat er sich um entschieden? Glaubt er es war eine schlechte Idee sie mit zunehmen? Sie integriert sich doch super! Und sie ist zu jedem höflich. Wirklich jedem. Finde ich wunderbar, aber was hat Andreas bloß? „Ich habe vorhin gesehen, wie sie auf ihr Handy schaute." Ist das jetzt verboten? „Ich glaube, es jemand, der ihr nicht gut tut.", erklärt Andreas, als ich wie ein Fragezeichen aussehe. In meinem Kopf brummt es. Es rattert und arbeitet. „Glaubst du es ist ihr Vater?", frage ich vorsichtig. Es auszusprechen macht es möglich. Und wenn etwas möglich ist, dann kann es passieren. Und das will ich aber nicht! „Möglich. Ich warne dich nur vor. Auch wenn du andere Sorgen hast oder mit der Show beschäftigt bist. Chris, irgendwas bahnt sich an und ich will nur, dass du weißt, dass dich niemals die Schuld trifft. Hast du verstanden?", sagt Andreas. Ich nicke stumm. Natürlich nicht! Ich würde mir immer Vorwürfe machen! Wer denn nicht? Ich habe sie halt lieb gewonnen. Auf eine Art, die echt nicht mehr normal sein kann. Aber so ist das halt. Und ich zähle sie schon zu meinen besten Freunden! Und sie bedeutet mir einfach so viel, das kann man doch nicht mehr in Worte fassen.

„Gut, dann trifft mich halt nicht die Schuld.", meine ich. Andreas sieht mich irgendwie ungläubig an. Glaubt er mir das nicht? Meine Güte, was soll ich denn machen? „Chris, ich will ja nur...", spricht Andreas wieder. Ich weiß, was er will. Und es ist mir gerade egal. Ich will es nicht hören. „Müssen wir uns nicht um noch Dinge kümmern?", weiche ich aus. Andreas seufzt. „Hat also keinen Sinn...", murmelt er. Ich sehe ihn fragend an. „Du machst dicht. Kaum geht es um Kelly, machst du dicht.", sagt er. Ich schüttel den Kopf. „Quatsch.", antworte ich. Doch Andreas lacht auf. „Klar, natürlich nicht. Aber vielleicht geht es hier um ein Leben! Chris! EIN MESCHENLEBEN! Das kann man nicht ersetzen oder neu machen!", poltert Andreas los. Erschrocken sehe ich ihn an. „Glaubst du, das weiß ich nicht...", flüstere ich. „Willst du mir unterstellen, dass ich mir zu wenig Sorgen mache?" Ich zittere. Will er das sagen? Soll ich sie an mich ketten? Soll ich sie im Bus einsperren? Oder ihrem Vater zurück bringen? Will er das? „Nein.", kommt es leise zurück. Ich nicke. „Schön. Gut. Ich bereite mich jetzt auf die Show vor.", sage ich kurz angebunden und verlasse den Bus. Ich spreche mit dem Team. Und ich übe noch Sachen. Dinge halt, die man tut. Und ich plaudere mit Kelly. Warum auch nicht? Und die zweite Show toppt die erste! Gut auf der Bühne zu stehen. Die Leute sind toll, es klappt alles. Nur nach der Show fällt mir auf, dass Kelly sich tatsächlich anders verhält. Und daran ist auch wieder tatsächlich ihr Handy schuld...

Anam Cara ~ Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt