Stille. Im Zimmer herrscht absolute Stille. Bis Dr. Liedtke wieder kommt und mir meine Entlassungspapiere bringt. Zudem meine Wertsachen und meine Kleidung. Ich ziehe mir alles im Bad an und bin dann bereit zum Abfahren. „Andreas?", frage ich vorsichtig. Immer noch steht mein Bruder am Fenster und schaut raus. Ist das denn zu fassen? Da! Er dreht sich um! Und läuft an mir vorbei aus dem Zimmer. „Ich dich auch.", quetsche ich zwischen meine Zähnen hervor. Ich weiß, er ist vielleicht ein bisschen viel zickig, aber es ist doch meine Entscheidung! Ich verlasse das Zimmer und gehe die langen Gänge Richtung Ausgang. Ich habe noch eine Idee. Am Empfang halte ich kurz an. Ich begrüße die nette, korpulente Dame freundlich und lege ihr meine Bitte nahe. „Würden Sie, wenn morgen ein Mädchen namens Kelly nach Chris fragt, ihr bitte sagen, dass sie mich unter dieser Nummer erreichen kann.", sage ich. Die Dame staunt. „Bin ich denn die Vermittlung?", fragt sie. Ich nicke. „Nein, ähm, nein. Natürlich nicht. Nur dachte ich, Sie würden heute eine Ausnahme machen.", versuche ich es noch einmal. „Guter Mann, schreiben Sie es auf diesen Zettel und ich versuche ihn bis morgen nicht zu verschusseln. In Ordnung?", grummelt die Dame. Ich nicke dankbar und nehme den Zettel entgegen. Ich schreibe es auf. Kelly, ich. Meine Nummer. „Fragen Sie sie bitte auch, woher wir uns kennen, damit niemand anders diese Nummer bekommt.", verlange ich. Die Dame nickt. „Sind Sie denn so ein Popsternchen, dass jeder ihre Nummer will?", fragt sie und kaut weiter auf ihrem Kaugummi. Lecker. Ich grinse. „Nicht ganz. Schönen Tag noch!", wünsche ich. Dann renne ich raus, um Andreas noch zu erwischen. „Wo bist du?", schreie ich. Ein paar Leute sehen mich verwirrt an. Doch ich kann Andreas nirgendwo entdecken. So ein Mistkerl! „Schönen Dank...", murmle ich und gehe los. Der Weg wird einige Zeit in Anspruch nehmen, besser ich überlege jetzt schon mal, was ich ihm gleich an den Kopf werfen werde. Denkt er etwa, ich bleibe hier, wenn er einfach fährt? „Sicher nicht!", denke ich laut. Ich schaue auf meine Füße. Wie sie über den Boden schleifen. Jeder Schritt ist anstrengend, jeder Schritt zieht mich runter. Warum? Mensch, was ein scheiß Tag! Ich hoffe, Kelly meldet sich morgen. Ich wäre enttäuscht, wenn nicht. Aber das kann ich ja gar nicht sagen. Weil, naja. Eigentlich müsste ich es verstehen können. Ich bin einfach gegangen, ohne ihr was zu sagen. So ein Shit. Tut mir leid, Kelly. Auch wenn wir uns noch nicht so lange kennen. Jemand hupt. Ich bin nicht da. „CHRIS!", ruft jemand. Ich zucke mit den Schultern, bis mir klar wird, dass es Andreas war. Ich sehe mich um, da sitzt er doch tatsächlich in seinem Auto. „Mensch, was machst du denn? Ich warte schon voll lange!", ruft er. Tut er? Wo denn? „Ich musste erst den Wagen holen! Ich dachte, du redest noch mit der Dame da. Also, willst du laufen oder mitfahren?", lacht Andreas. Ich brauche nicht zu überlegen. Vergeben und vergessen? Aber sicher, ist doch mein Bruder und so steige ich ein. Aber gesprochen wird trotzdem nur zwanghaft. Kurze Sätze, wenig Sinn. Einfach zum kotzen!
Langsam tuckern wir über die Straßen. Ich sehe aus dem Fenster. Die Bäume rauschen vorbei, der Himmel sieht grau aus. Ich fühle mich schwach. Müde, träge, schwach. Es läuft alles auf schwach hinaus. „Schwach? Was meinst du damit?", fragt Andreas. Ich zucke zusammen. „Was meinst du?", bin ich verwirrt. Andreas lacht. „Oh, Chris. Ich glaube wir reden an einander vorbei. Du hast doch eben noch gesagt, du fühlst dich schwach.", meint Andreas. Ich nicke. „Naja, eigentlich meinte ich das nicht so.", sage ich widersprüchlich zu meinem Nicken. Was ein Tag! „Ich bin einfach nur durch. Der Tag war mega mies und ich habe jetzt keinen Bock mehr, auf irgendwas.", erkläre ich und Andreas scheint Ruhe zugeben. Schon wenige Minuten später hält Andreas vor meiner Wohnung. „Danke, Bruder.", verabschiede ich mich und steige aus. „Wenn du was brauchst, ruf mich an!", schreit Andreas noch durch die geschlossenen Fensterscheiben. Ich nicke, oder irgendwas in die Richtung, und mache mich auf den Weg zur Haustür. Schwere Schritte. Ich schließe mit meinem Schlüssel auf und lass die Tür dann hinter mir ins Schloss fallen. Ich kann einfach nicht mehr. Es sind noch Treppen vor mir. Ich könnte auch mit dem Aufzug in die dritte Etage fahren, so wie ich es mache, wenn ich einkaufen war, aber heute gehe ich doch lieber zu Fuß. Außerdem hält das doch bestimmt fit.
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Anam Cara ~ Ehrlich Brothers FF
FanfictionJeder hat einen besten Freund, seinen Seelenfreund. Mit ihm ist man auf unzertrennliche Weise auf ewig verbunden. Eine solche Verbindung schenkt uns das Bewusstsein, verstanden zu werden. Und zwar genauso, wie wir sind - ohne uns verstellen zu mü...