Der große Tag ist gekommen. Morgens gehe ich noch eine schnelle Runde joggen, nachdem ich Kelly an unserem Büro abgesetzt habe. Bevor es auf Tour geht, gibt es noch die letzte Anprobe des Kostüms für Kelly. Ja, die verschiedenen Kleider für die Illusion und auch für Kelly wurden in den letzten zwei Tagen unter Hochdruck maßgeschneidert. Zur finalen Anprobe und den letzten Besprechungen. Ach, das war herrlich, als Kelly uns das Kleid präsentiert. Schon das rote und das blaue Kleid haben Andreas und mich in unserer Entscheidung bestärkt, aber als Kelly dann im weißen Kleid hervor kam, war es einfach nur wow. Wow. Ich bin sprachlos. Damit musste sie auch sofort los tanzen. Mit eleganten Schritten kommt sie auf Andreas zu und nutzte ihn gleich, um einige Drehungen hinzulegen. Andreas stoppt sie plötzlich und lässt sie sich bei ihm einhaken. "Darf ich die Braut zum Altar führen?", scherzt er und die beiden gehen summend ein paar Schritte, bis Kelly plötzlich stoppt. Genau wie Andreas vorhin, das haben die besprochen. „Moment mal! Wen heirate ich überhaupt?", stellt sie eine doch wichtige Frage. Prompt zieht Andreas seinen Arm zurück. „Ich bin vergeben.", erklärt er mit erhobenen Händen. Okay, das war klar! Wie einstudiert sehen Kelly und ich uns an und beginnen herzlich zu lachen. Dann rufen wir beide: „Nein!" Es ist wirklich fast gleich. Synchron. Andreas schaut uns an. „Würdest du Chris nicht wollen?", staunt Andreas. Danke Bruder. Kelly wartet einen Augenblick, dann antwortet sie: „Nein." Ich senke den Blick. Das ist hart. „Vielen Dank auch!", schmolle ich. Kelly lächelt lieb. Aber das rettet es auch nicht. Andreas tut verdutzt. „Aber warum nicht? Er ist doch halbwegs gut aussehend und naja, unsere Eltern gaben sich auch echt Mühe ihm wenigstens ein bisschen Anstand und so anzubringen.", erzählt Andreas. Alles nur Märchen! Da muss ich gleich mit der bitteren Wahrheit herausrücken. „Alles Quatsch! Das war total anders.", lache ich. „Nämlich haben unsere Eltern zwar Andreas zuerst bekommen, aber dann haben sie auch schnell gemerkt, dass das mit dem Anstand und der tollen Erziehung nicht so funktioniert. Daraufhin haben unsere Eltern noch ein Kind bekommen. Unsere Schwester, bei ihr hat die Erziehung super geklappt. Da dachten sich unsere Eltern, mit dem zweiten Versuch bei einem Jungen, wollten sie es dann noch einmal versuchen. Und da hat es ja super geklappt.", kläre ich auf. Kelly lacht. Aber was gibt es da zu lachen? Das war doch so!
Aber die Zeit drängt und lange können wir nicht mehr so lachen. Die Abfahrt rückt näher und bis dahin gibt es noch eine Menge zu erledigen. Es muss alles gepackt werden, Kleidung. Unsere Showsachen. Das einzig Gute, in Fulda übernachten wir in einem Hotel und fahren danach erst wieder im Nightliner. Schließlich geht es um halb elf los. Wir sitzen alle erwartungsvoll im Nightliner. Die eigentlich so fröhliche Stimmung, die sonst immer herrschte, kommt allerdings nicht auf. Jeder geht irgendwie seinen Gedanken nach. Keiner spricht, Kelly hört Musik. Sie hört lautstark die passende Musik zum Tanz. Sie scheint da ja vielleicht doch ein bisschen nervöser zu sein, als sie vielleicht zugibt. Als müsste sie den Tanz jetzt als Chance nutzen, Andreas und mir endlich etwas zurück zu geben. Wie sie sagte. Ich hoffe dich sehr, dass es nicht so ist. Ich glaube, jetzt zusagen, dass ich sie verstehen würde, wäre ein Fehler. Bis nach Fulda wird Kelly uns begleiten. Auch wenn der Tanz heute Abend ganz schief geht, sie bleibt einfach so. Weil wir gerne Zeit zusammen verbringen. Gezwungenermaßen gerade. Ich seufze leise. Ganz leise und keiner hat's gehört. Ganz leise und nur ich weiß davon. Fünfeinhalb Stunden dauert die Fahrt, die Show ist um acht Uhr. Wenn wir ankommen gibt es bestimmt erst mal ein schönes frühes Essen. Und danach ist der Rest, der weitere Verlauf bis zur Show auch komplett verplant. Keine Zeit, eigentlich, noch zu üben. Dann kommt es ganz auf Kelly an. In erster Linie. Ich antworte ja auch bloß auf ihre Bewegungen. Ach, ich bin auch aufgeregt und gespannt. Wie wird es ankommen? Wie werden die Reaktionen sein? Ob es wirklich so magisch ist? Ob es sich dann auch magisch anfühlt? Solche und andere Gedanken tragen mich durch die Fahrt. Andreas arbeitet noch an seinem Laptop und hantiert an seinem Handy. Nach langen Stunden kommen wir endlich an. Die anderen Crew-Mitglieder sind mit den Aufbauten schon fast fertig. Die restlichen und übrigen Stunden verbringen Andreas und ich mit dem Feinschliff. Alles ist ein bisschen hektisch, da wir uns mit der Anfahrtszeit verschätzt. Mit der wenigen Zeit, die uns noch bleibt, arbeiten wir schließlich alle im Ausnahmezustand. Eine Viertelstunde vor Showbeginn sehe ich mich aufgekratzt um. Wo steckt denn Kelly? Nervös und angespannt laufen backstage alle herum. Nur von ihr fehlt jede Spur. „Der Tanz liegt am...", will Andreas, doch ich unterbreche ihn. „Du kannst gar nicht mitreden!", werfe ich ihm vor. Er lacht. Idiot. „Gott, du bist ja aufgeregt.", meint Andreas. Ich schaue ihn bitter böse an. „Lass mich einfach. Das ist nicht lustig!", brumme ich. Ich laufe wie ein Tiger im Käfig hin und her. Es sind nur noch zehn Minuten bis zur Show und Andreas lässt mich ja auch nicht mehr gehen. Ich hätte gerne noch mit Kelly gesprochen, aber nun müssen wir schon auf die Bühne.
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Anam Cara ~ Ehrlich Brothers FF
FanfictionJeder hat einen besten Freund, seinen Seelenfreund. Mit ihm ist man auf unzertrennliche Weise auf ewig verbunden. Eine solche Verbindung schenkt uns das Bewusstsein, verstanden zu werden. Und zwar genauso, wie wir sind - ohne uns verstellen zu mü...