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Doch schon wartet der nächste Tourtag auf mich. Frühes Aufstehen war noch nie meine Stärke. Aber ich rolle mich elegant aus dem Bett. Das Leben geht schließlich weiter. „Guten Morgen. Brauchst du einen Kaffee?", fragt mich mein Bruder. Ich schüttle den Kopf. „Nein, nur eine gute alte Joggingrunde mit dir. Danach bin ich wach.", sage ich und Andreas nickt. Dann machen wir uns auch schon auf den Weg. Gemütlich laufen wir unsere Runde. Andreas legt ein sportliches Tempo vor, aber ich kann gut mithalten. „Andreas, warte mal...", bleibe ich stehen. Er tut es mir gleich und schaut mich an. „Ist was?", fragt er sorgend. Ich schüttle den Kopf. „Nein, also. Nicht ganz. Ist eher so ne Frage...", antworte ich. Er nickt und wartet auf meine Frage. „Begleitest du mich morgen?", stelle ich meine Frage. Er lächelt. „Schaffst du das denn nicht alleine?", kommt es zurück. Ich senke den Blick. „Glaubst du, ich schaffe das? Ich meine, was ist, wenn...", will ich mir das Schlimmste nicht mal annähernd ausmalen. „Chris, vertrau mir. Ich fahre dich gerne hin und warte. Aber ich bin mir sicher, dass Kelly als ersten dich sehen will und nicht uns.", sagt Andreas. Ich zucke mit den Schultern. „Bruder, mach dir keine Sorgen. Sie wird wieder. Du hast so oft von ihr gesprochen, als hätte sie beide Weltkriege überlebt. Da wird ihr dieser kleine Unfall doch nichts anhaben, oder?", meint er. Ich schließe meine Augen. „Und ich habe ihr noch gesagt, sie soll nicht übertreiben...", flüstere ich. Ironie des Schicksals. 

Andreas lacht tatsächlich. „Aber Chris...", lacht er und sein Lachen steckt an. „Wenn es ums feiern geht... Da willst du sie stoppen?" Mittlerweile lache ich auch. Wie konnte ich nur? „War ne schlechte Idee.", gebe ich zu und wir laufen unsere Runde schnell zu Ende. Dann frühstücken wir mit unserem Team. Was kelly mir zum Frühstück empfehlen würde? „Bruder, du frisst uns ja bald die Haare vom Kopf...", lacht Andreas und ich nicke. „Habe halt Hunger...", antworte ich und kann über sein staunendes Gesicht nur lachen. Nein, wenn Kelly kämpfen muss, dann tue ich es auch. Auf jeden Fall. „Heute irgendwelche Besonderheiten in der Show?", erkundige ich mich und trinke einen Schluck Wasser. „Nicht, dass ich wüsste. Wir müssen gleich nur mit der Technik schauen, dass das funktioniert. Dann haben wir den ersten Meilenstein schon geschafft. Denn angeblich soll es schon die ersten Probleme geben. Die Anlage will einfach nicht.", erklärt Andreas. Ich nicke. Das wird ein langer Weg bis zur Show. „Hoffentlich schaffen wir das.", sage ich und deute auf die Uhr. Wir räumen unsere Teller weg und dann machten wir uns an viele Proben. Und ich meine wirklich viele Proben. Bis der Sound ordentlich klang und die Lichter ordentlich sortiert waren, vergingen gewiss mal eben drei Stunden. Nun mussten Andreas und ich noch die Texte für unseren Auftritt durchgehen. Zudem habe ich mit unserer Tänzerin Tina gesprochen.

Wir bereiten uns vor, die Show startet um achtzehn Uhr. Bis dahin wollen wir alles fertig haben. Andreas telefoniert noch mit Lene. Berichtet von Kelly. Lene ist geschockt. Was auch sonst? Keiner kann es irgendwie verstehen. Ich meine, warum? So kuschle ich mich wieder in unsere Lounge und stecke mir die Kopfhörer in die Ohren. Einfach ein paar Lieder meiner Playlist durchgehen. Eines wird mich schon aufheitern. Ich starre durch unsere verdunkelte Scheibe nach draußen. Es ist so ein wunderschöner Tag. Perfect day. Andreas redet lange mit Lene. Ich wünschte, ich könnte auch mit jemandem reden. Ich seufze, leise. Andreas telefoniert ja. Aber da gibt es niemanden. Ist ja auch egal. Zieht mich doch eh nur wieder runter. Umso besser ist es, sich darauf zu konzentrieren, dass gleich eine tolle Show starten soll. Starten wird. Und ich schwöre, sie wird perfekt. Ich habe ein gutes Gefühl. Nach dem ersten Schock ist es heute eigentlich noch surrealer, aber irgendwie geht es heute erstaunlich besser. Irgendwann legt Andreas auch auf, so können wir uns noch einmal zurückziehen und besprechen. Einmal noch beten. Luft holen und atmen. Genießen und dann geht es auch schon zur Maske. Wir werden verkabelt und eine letzte Umarmung zwischen uns Brüdern. Dann erklingt auch schon der Countdown. Ich spüre das Kribbeln. Endlich geht es los. Mich packt das Fieber, das wollen. Endlich! Unter dem größten Applaus teleportieren wir uns auf die Bühne. Die Menge klatscht, wie Verrückte. Irre Menschen, irre viele. Aber eine Hammer Lokation! Andreas und ich begrüßen das Publikum. Für den Moment gilt: Alles um einen herum zu vergessen. Man steht nur auf dieser Bühne und genießt es. Für diesen Augenblick. Zusammen mit dem Publikum wärmen wir uns die Hände auf. Lustig und gelenkig wie immer! Nach diesem Anfang ist das Eis zwischen dem Publikum und uns gebrochen. Wir starten direkt weiter durch zu der Heliumillusion, bei der Andreas mich schweben lässt. Hoffentlich hält er mich oben und lässt mich nicht fallen. Wer weiß das schon? Doch alles geht gut, auch danach. Die Illusion, wo ich so klein bin. Hinter der Bühne lausche ich den Witzen und bereite mich auf meine „Rückkehr zu Normalen Größe" vor. Klingt schon lustig, wenn man so hinter der Bühne steht. 

Aber es ist unheimlich lustig zu sehen, wie das so von statten geht. Das Publikum staunt, ich freue mich wieder groß zu sein und mein Bruder führt mit mir diesen tollen Tanz auf. Was man so Tanz nennt, bei uns beiden. Schon geht es weiter. Zum Atmen bleibt oft keine Zeit. Und wieder verzaubere ich jemanden aus dem Publikum, in dem ich meinen modischen Style beweise. Alles richtig. Super! Und es läuft perfekt. So stelle ich mir das Tourleben doch vor. Ohne Sorgen wegen Kelly. Einfach mal kurz vergessen, was eigentlich ist. Andreas ist wieder dran, das gibt mir einen Augenblick Zeit hinter der Bühne schnell einen Schluck zu trinken und mir die nächsten Illusionen anzuschauen. Die Giganten kämpfen nun. Das wird lustig, gibt bestimmt wieder viel zu lachen. Wer wohl gewinnen wird? Immer wieder eine Belustigung für die gesamte Arena. Und schon geht es los. Andreas und ich suchen uns zwei tolle Männer aus, die auch ein bisschen „möchte-gern-like" aussehen und verpassen ihnen unsere Jacken. Hat ein bisschen was von Zwangsjacke. Aber lustig ist es auf alle Fälle. Und natürlich gewinne ich. Wer sonst? Ein Applaus begleitet unsere Kandidaten von der Bühne. Super Feeling on stage. Hoffentlich bleibt das so. Denn nun kommt die Illusion der Schwiegermütter. Andreas fragt nach, ich frage nach und wir haben schon wenige Minuten sieben Schweigermütter auf der Bühne stehen. Das wird lustig. Für uns. Nun gut, wir sind ja keine Unmenschen und lassen alles gut gehen. Auch beim Trick danach geht es gut, ist ja auch Andreas' Trick. Und nach dem Monstertruck schicken wir die Zuschauer auch schon in die Pause. Nach etwa einer Stunde, tut eine halbe Pause auch mal gut. Finde ich auch. Zeit um die Toilette zu besuchen. Ich muss mal dringend. Aber während der Show geht es ja schlecht. Aber auch die halbe Stunde Pause vergeht wie im Flug. Schon stehen Andreas und ich wieder in den Startlöchern. Mit unserer Harley fahre ich geschmeidig aus dem Ipad. Was ein Auftakt zur zweiten Hälfte. Staunende Gesichter und viel Applaus. Ich liebe es!

Dann startet Andreas mit den kleinen Kindern durch. Ein Familienvater, durch und durch. Das ist auch eines der Dinge, die ich so an ihm schätze. Er lebt seinen Traum und hat dabei eine echt geile Familie. Das ist doch wunderbar. So müsste das Leben sein. So ist es doch perfekt. Perfekt durch viele Menschen. Ein Mensch, der unser Leben bisweilen perfekt gemacht hat war unser Papa. Und ihm gedenken wir natürlich auch. Viele Lichter, ich schätze es sind die Taschenlampen der Handys, leuchten auf. Wie tausend kleine Sterne, als Andreas und ich das „Danke" formen. Wirklich süß von den Leuten. Und dann stehen wir auf. Wir haben ja nicht nur unserem Papa zu danken. Lene hat auch ihren Anteil daran. Und so spiele ich auf dem Klavier, während Andreas seiner lieben Frau das Gedicht widmet. Eine schöne Sache. Und als nächstes ist auch schon der tanz dran. Ich reiße mich zusammen. Für Kelly. Ich führe alle Schritte so aus, wie sie geprobt waren. Wie sie sein sollten. Doch ich glaube, das Gefühl fehlte. So ganz sicher war ich mir nicht. Ist eben nur mein Beruf. Genau wie bei den nächsten Illusionen, springt der Funke nicht über. Woran das liegt? Auch der eigentlich so lustige Trick mit Andreas' Beinen macht mir keinen Spaß mehr. Beim Quad wäre ich wirklich gerne mit dem Quad einfach verschwunden. Vielleicht brauche ich jetzt auch einfach ein paar Tage Ruhe. Die letzte Illusion mit der Rose vergeht schnell. Gott sei Dank! Ehe ich mich versehe, verbeugen wir uns endlich und wir können die Bühne verlassen. „Die war heute irgendwie länger...", sage ich zu Andreas. Er nickt. „Du hattest keine Lust mehr. Das sah man deutlich. Du warst gar nicht mehr bei der Sache...", meint er und ich zucke mit den Schultern. Es geht ans abbauen, morgen sind wir endlich zuhause. Endlich bei Kelly.

Anam Cara ~ Ehrlich Brothers FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt