Kapitel 19

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,,Weißt du, woran ich gerade gedacht habe?"

,,Nein. Und ich will auch nicht daran teilhaben."

Dass Isabelle nicht von ihrem Buch aufsah, brauchte man wohl nicht zu erwähnen. Es war der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien und Chris fragte sich, ob Isabelle in soetwas wie Weihnachtsstimmung verfallen konnte. Er selbst tat das nämlich- und zwar im höchsten Maße- doch wenn er sie so ansah, hatte er eher den Eindurck, sie lebte weiter vor sich hin, las Weihnachtsgeschichten und schmückte ihr Haus, weil es die Zeit so vorsah, nicht weil sie es aus wirklich fester Überzeugung tat. Nachdenklich wandte er sich von Isabelle ab und sah aus dem Fenster, wobei eine Mischung aus Regentropfen und Hagelkörnern gegen die Scheibe schlug. Das Wetter ließ echt zu wünschen übrig, dachte Chris für einen Moment grimmig. Wie gerne hätte er einmal richtigen Schnee zu Weihnachten, aber in London kam jedes Jahr nur ein Gemisch aus Schnee, Hagel und Regen herunter, das sich auf dem Boden zu einer grauen Pampe zusammentat und die Schuhe aller Leute versaute. Als er hörte wie Isabelle das Buch zuschlug, sah er sie wieder an, woraufhin sie nur eine Augenbraue hochzog.

,,James holt uns heute von der Schule ab."  informierte Isabelle, während sie sich ihren Mantel zuknöpfte. Bei dem Gedanken daran Elliot wiederzusehen, wurde Chris unwohl. Das letzte Mal, als er Elliot gesehen hatte, hatte dieser ihn ohne noch irgendein Wort zu sagen Zuhause abgesetzt und sich nicht mehr gemeldet. Es war nicht so, dass Chris darunter gelitten hätte- tatsächlich war er sehr froh, eine entspannte Woche gehabt zu haben- aber nun, da er nach der Schule zu Isabelle fuhr und auch noch bei ihr übernachtete, drängte sich die Sorge, wie Elliot wohl auf seine Anwesenheit reagieren würde, immer stärker in den Vordergrund. Selbstverständlich keinen dieser Gedanken aussprechend lächelte er ihr zu und zusammen verließen sie das Cafe. Wie so häufig, wenn schlechtes Wetter herrschte, blieben beide direkt vor der Tür unter dem Vordach stehen und betrachteten die fünf Meter, die sie von dort bis zu Chris' Auto laufen mussten, während das halbe Meer vom Himmel fiel.

,,Du machst dir Gedanken wegen Elliot." sagte Isabelle plötzlich in die Stille hinein. Chris, der sich mittlerweile an diese Eigenart von ihr gewöhnt hatte, reagierte gar nicht erst darauf. Sie brauchte keine Bestätigung dafür, dass ihre Feststellung richtig war, und das wusste er. Stattdessen öffnete er den großen schwarzen Regenschirm und hielt ihn über sich und Isabelle.

,,Auf drei?" fragte er, den Blick immer noch auf den Abstand zwischen ihnen und dem Auto gerichtet.

,,Auf drei." bestätigte sie. Und auf drei rannten sie zu dem Auto.

Der Schultag schien noch länger zu dauern, als er es ohnehin schon immer getan hatte. Der Minutenzeiger der Uhr bewegte sich gähnend langsam, so als hätte er Spaß daran, die Schüler leiden zu sehen. Versuchend nicht im Fünf-Minuten-Abstand auf die Uhr zu schauen, folgte Chris dem Kunstunterricht. Die Lehrerin erklärte ihnen gerade eine Aufgaben, die sie in Gruppenarbeit erledigen sollten, doch langsam begann er zu glauben, dass sie vor den Ferien nicht mehr mit dieser Aufgabe beginnen werden, wenn sich die Frau hinterm Lehrerpult nicht bald kurz fassen würde. Neben ihm schrieb Isabelle unbeeindruckt mit, wobei sie unter dem Tisch ihren Fuß hin und her wippte. Chris fragte sich, ob sie das bewusst tat oder es eine Angewohnheit von ihr war, die sie nicht bemerkte. Über sich selbst den Kopf schütteld zwang er sich wieder dem Unterricht zu folgen. Als ob Isabelle jemals etwas unbewusst tun würde.
Die Stunde zog sich noch weiter in die Länge und die Lehrerin war auch noch verblüfft gewesen, als sie von der Klingel unterbrochen wurde, so als hätte sie keine zwei Schulstunden durchgeredet. Überwiegend genervt packten die Schüler ihre Sachen zusammen und verließen den Raum. Chris lief Isablle hinterher, die mit zügigen Schritten die Cafeterria anstrebte, wo sofort zwei Mädchen angeeilt kamen, die ihr die Tasche abnahmen und einen Becher reichten.

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