Kapitel 21

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Der Schnee fiel in kleinen Flocken vom Himmel und tauchte die gesamte Umgebung in eine glitzernde Landschaft, die so unwirklich erschien, als sei sie aus einem Märchen entsprungen. Der Klang von Isabelles Absätzen wurde durch ein leisen Knirschen ersetzt, wenn die dünne Schneeschicht sich zusammenpresste und dann langsam schmolz. Der Weg zu ihrem Ziel kam ihr unendlich lang vor, was vielleicht auch daran liegen konnte, dass sie sich nicht sicher war, ob sie dieses Ziel wirklich erreichen wollte. Mit ihrer behandschuhten Hand den spitzenbesetzten Schirm fest umklammernd beschleunigte sie ihre Schritte. Es war der Tag vor Heiligabend und Isabelle war sichtlich überrascht über den anhaltenden Schneefall, selbst wenn er so gering war. An dem Tag, an dem es angefangen hatte zu schneien, waren Elliot und Damian sofort rausgelaufen und hatten begonnen wie kleine Kinder im Schnee zu toben, während Isabelle immer noch skeptisch das Umfeld gemustert hatte. Chris hingegen hatte ein Lächeln auf den Lippen, dass so ziemlich die ganze Welt hätte erstrahlen können. Sie war sich sicher, dass er mit seiner Familie einen Schneemann bauen würde, wenn genug Schnee fiel. Es hatte nicht lange gedauert, da fanden Isabelle und Chris sich ebenfalls im Schnee wieder, versuchend die Angriffe von Damian und Elliot abzuwehren, die sie ununterbrochen mit Schnee bewarfen. Isabelle hatte schon fast vergessen wie es war, locker zu lassen und einmal sorglos ein Kind sein zu dürfen, doch an diesem Tag wurde sie wieder daran erinnert. Nach ein oder zwei Stunden sind sie dann alle wieder ins Haus gegangen, wo sie sich von Thomas die nassen Sachen abnehmen lassen hatten, woraufhin Olivia kam und sie in das fertig dekorierte Wohnzimmer zitierte, wo eine Auswahl an unterschiedlichen warmen Getränken wartete. Isabelle hatte sich aus einer Kanne Kaffee in einen Becher gegossen und sich die Finger gewärmt, während ihr Bruder sich neben ihr durch seine dichten schwarzen Haare fuhr, um den Rest Schnee loszuwerden und sie damit nass zu machen. Isabelle hatte sich ein wenig von ihm weggelehnt und ihn mit einem herablassenden Blick bedacht, der aber schnell einer sanfteren Miene wich, als sie in die funkelnden Augen von Damian blickte. Zwischendurch kam immer noch der Zorn darüber durch, dass er einfach verschwunden war, aber meist genügte nur ein warmherziger Blick und sie wusste, dass er immer da sein würde und auf sie aufpassen.

,,Seit wann trinkst du denn Kaffee?" fragte Elliot ehrlich verwundert.

,,Seit ich ihn probiert und für gut befunden habe." antwortete sie schlicht. Abrupt drehte Elliot sich zu Chris.

,,Du hast sie dazu gebracht Kaffee zu probieren?" Aus seiner Stimme sprach wieder jene schneidende Schärfe, die jeden in seiner Umgebung zum stillschweigen zwang. Doch bei Chris war das anders: Obwohl er in solchen Momenten Angst verspürte, forderte er Elliot dennoch heraus- Eine Eigenschaft, die Isabelle an ihm bewunderte, was sie aber natürlich niemals zugeben würde. Auch jetzt hatte Chris seine Diva-Miene aufgesetzt und eine provokante Antwort gegeben, woraufhin die beiden sich wieder stritten. Isabelle war froh, sich nicht mehr darum kümmern zu müssen; das war jetzt schließlich Damians Aufgabe. Dieser schien von der Situation vollkommen überrumpelt und versuchte mit mehr Mühe, als sie sich je gemacht hätte, die beiden zur Ruhe zu bringen.
Später am Abend, nachdem Chris schon lange wieder fort gewesen war, hatte sie durch Zufall mitbekommen, wie ihr Bruder wieder einmal versuchte Elliot zu erklären, dass Veränderungen nicht immer etwas Schlechtes bedeuteten. Doch als Isabelle den Flur entlang am Schlafzimmer ihrer Eltern vorbei ging, erwischte sie sich dabei, selbst nicht mehr an die Worte ihres Bruders zu glauben.

Als sie plötzlich vor dem großen Metalltor stand, wurde sie wieder in die Realität zurückgeführt, die ihr auf eine Art und Weise einen Stich versetzte, wie sie ihn erst einmal verspürt hatte. Isabelle fragte sich, wie sie so in Gedanken versinken konnte, dass sie nicht gemerkt hatte am Ziel angekommen zu sein. Es war zu früh. Jetzt, wo sie hier vor diesem Tor stand, fühlte sie sich überfordert und fehl am Platz. Für den Bruchteile einer Sekunde überlegte sie einfach unzudrehen und zu gehen, besann sich dann aber eines Besseren.
Das würde sie ihr nicht antun.
Isabelle holte tief Luft und drückte dann vorsichtig das quitschende Tor auf. Vor ihr erstreckte sich eine weite Fläche von pulverartigem Schnee bedeckt, in dem noch leichte Fußabdrücke zu erkennen waren. Doch ihre Blicke galten nicht dem Schnee, sondern den vielen Gräbern, an denen eingeschneite Blumen und Kränze lagen. Sie zitterte ein wenig, woraufhin sie den Rosenstrauß, den sie die ganze Zeit mit sich getragen hatte, fester umklammerte. Ob das Zittern durch den Friedhof ausgelöst wurde, oder durch die dünne schwarze Strumpfhose, vermochte sie nicht zu sagen. Isabelle redete sich gerne ein, dass die zu dünne Kleidung der Grund dafür war, aber sie wusste es besser. Die hohen Stiefel und der Mantel, den sie über ihrem Kleid trug, waren warm genug, um sie nicht zittern zu lassen. Wenn sie so darüber nachdachte, musste sie aussehen, als sei sie aus einem anderen Jahrhungert entsprungen. Vorsichtig schlich sie zwischen den Gräbern umher, in der Hoffnung den hübsch verzierten Stein aus Mamor nicht zu finden. In der Hoffnung, dass das alles nicht real war und es gar kein Grab zu besuchen gab. Aber dort war es. Der glänzende Stein war oben von Schnee bedeckt, doch der Schriftzug war klar zu sehen.

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