Kapitel 20

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Chris lag nachdenklich in dem Himmelbett neben Isabelle, die schweigsam ein Buch las. In diesem Augenblick gab es genau zwei Dinge, die ihn immer wieder von seinen eigentlichen Gedanken ablenkten: Erstens, die Tatsache, dass Isabelle so leise war, das er sicher vergessen hätte, dass sie neben ihm lag, wenn er nicht in ihrem Bett gelegen hätte- Man hörte nicht einmal ihr Atmen- und zweitens, musste er sich ständig fragen, wie sie damit klar kam, dass überall in ihrem Zimmer geordnete Bücherstapel lagen. Er hatte sie immer wie jemanden eingeschätzt, bei dem alles hundertprozentig präsentabel war, schließlich gab sie sich auch immer so, doch diese ganzen Bücherstapel waren womöglich das einzige, das sie verriet. Das einzige, das verriet, dass in diesem Mädchen eine Persönlichkeit steckte, die eigenwillig und nicht fehlerfrei war. Wenn Chris sich dann wieder seinen ursprünglichen Gedanken zuwandte, war er kurz davor Isabelle Fragen zu stellen. Fragen über ihren Bruder. Damians Auftauchen hatte alle seine vorherigen Vorstellungen, die sich über die Zeit hinweg in seinem Kopf gebildet hatten, über den Haufen geworfen. Anfangs dachte er immer, dass Isabelles Bruder ihr ähneln würde und später nachdem Olivia ihm erzählte, dass erst alles wieder im Griff sein würde, wenn Damian wieder da war, hatte er sich ihren Bruder noch kaltherziger als Isabelle und noch verbissener als Elliot ausgemahlt. Doch nun kam entgegen all seinen Erwartungen ein junger Mann aufgedreht in einen Raum marschiert mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das die ganze Welt erstrahlen konnte, und auch den Rest des Tages war Damian hyperaktiv durch die Villa gelaufen. Vielleicht hatte er ja irgendetwas genommen? überlegte Chris. Oder er hatte einfach nur einen guten Tag. Vielleicht waren Isabelle und Elliot ja genauso, wenn sie einen guten Tag hatten, schließlich hatte Chris das noch nie erlebt. Im nächsten Moment entstand in seiner Vorstellung ein Bild von Isabelle, wie sie aufgedreht und breit grinsend durch den Flur in der zweiten Etage lief.

Nein. Eindeutig nicht.

Und auch bei Elliot schien ihm die Vorstellung absurd, dass dieser so eine gute Laune an den Tag legen konnte. Nachdenklich wandte er sich Isabelle zu und musterte sie ein wenig. Ihre großen grasgrünen Augen, die von dichten dunklen Wimpern umrahmt wurden, flogen schnell über die Zeilen des Buches, während sie sich mit ihren blassen zarten Fingern eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr strich.

,,Normalerweise würde ich in solchen Situationen sagen, dass ich über meine Schönheit bescheid weiß, aber ich habe den Eindruck, dass das bei dir nicht der Grund ist, weshalb du mich anstarrst." sagte Isabelle, immer noch in das Buch vertieft.

,,Ich starre dich nicht an." protestierte Chris bestimmt. Plötzlich schlug Isabelle das Buch zu, woraufhin er leicht zusammenzuckte. Ihre stechend grünen Augen fixierten ihn, als würde sie direkt in seinen Kopf schauen.

,,Frag nur." drängte sie mit tonloser Stimme. ,,Frag, wieso mein Bruder so freudig ist. Frag, wieso er so locker und lebensfroh wirkt. Frag, wieso er meistens optimistisch bleibt und jeden zum lächeln bringen kann. Frag, wie es sein kann, dass er all diese Eigenschaften hat und seine kleine Schwester nicht."

Überrascht blinzelte Chris sie an. Obwohl sie ihrer Stimme keinen Ton verliehen hatte, glaubte er einen leichten Anflug von Zorn heraus zu hören. Da ihm die Worte fehlten, wich seine Überraschung einer Überforderung, mit der er nicht sicher umzugehen wusste.

,,Nun", setzte Chris zögernd an, ,,Die Vorstellung, wie du freudig grinsend durch den Flur läufst, schien mir doch ziemlich merkwürdig... Und wenn ich genauer darüber nachdenke, ist es sogar unheimlich."

Jetzt lag es an Isabelle ein paar mal zu blinzeln, wobei das bei ihr nur einen Anflug von Überraschung äußerte. Entschlossen schüttelte Chris den Kopf.

,,Nein." sagte er bestimmt. ,,Nein, ich brauche diese Fragen nicht stellen. Meine Frage war eher, wie es sein kann, dass Damian so ist, wie er ist."

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