85. Sehnsüchtige Umarmung

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Von einem warmen Gefühl an meiner linken Hand und den regelmäßigen Piepen in meinen Ohren wurde ich langsam wach und flatterte mit meinen Augenlidern, versuchte sie zu öffnen, doch es klappte nicht. Meine linke Hand zuckte, die anscheinend von irgendeiner anderen Hand umschlossen war.

»Wird sie wach?«, fragte eine weibliche, leise Stimme und im nächsten Moment hörte man, wie ein Stuhl über den Boden scharrte und mir näher kam. »Sieht so aus.«

Irgendwann öffnete ich die Augen, kniff sie aber direkt wieder zu, weil sich zu viel Licht in dem Raum befand. Ich lag in irgendeinem Zimmer und draußen wurde es langsam dunkel. Die erste Person die ich entdeckte war Valeska. Diese saß neben meinem Bruder, der meine linke Hand mit beiden Händen hielt und mit seinem Daumen über den Handrücken strich. Um mein Handgelenk war ein Verband gewickelt.

»Was zum...«, murmelte ich leise und immer noch schlaftrunken und versuchte, mich aufzusetzen, aber mir wurde sofort schwindelig und kurz schwarz vor Augen. Absolut alles drehte sich in meinem Kopf und anstatt die Dinge nur einmal zu sehen, sah ich sie zweimal. Ich hatte das Gefühl, ich würde gleich vom Bett fallen, obwohl ich sicher auf der Matratze lag und mir eigentlich nichts passieren konnte.

»Noah? Valeska? Wo bin ich hier?«, fragte ich verwirrt und legte mir meine rechte Hand, die mein Bruder nicht hielt, an den Kopf. Alles in mir schmerzte.

»Du bist im Krankenhaus«, beantwortete Noah meine Frage und seufzte schwer, als er auf mein Handgelenk starrte. Er sah nicht besonders gut aus. Seine Augen waren ein wenig rot, sein ganzer Körper schien trotz der Wärme draußen zu zittern und seine Haare standen wirr in alle Richtungen ab, die Mundwinkel hingen nach unten, in seinen Augen erkannte man nichts weiteres außer Leere und Schuld.

Ich biss die Zähne aufeinander, schluckte schwer und schaute mich im Zimmer um, bis mein Blick dann auf Valeska fiel. »Und was machst du hier?«, fragte ich und zog meine Augenbrauen zusammen, sank immer tiefer in mein Bett hinein. Sie schaute nur schuldbewusst auf den Boden, öffnete den Mund, um was zu sagen, doch da kam nichts raus, und schloss ihn wieder.

»Sie hat dich gefunden, als du auf den Straßen rumgetorkelt bist«, raunte Noah, ließ einen kurzen Blick zu Valeska gleiten, die nur ihren linken Mundwinkel hochgezogen hatte und weiter von uns beiden wegschaute. Für einen Moment herrschte Stille und ich fragte mich, von was Noah da gerade sprach.

Das einzige, woran ich mich erinnerte, war, dass ich auf Koks und mit einem blutigen Handgelenk das Haus verlassen hatte. An mehr erinnerte ich mich nicht.

»Woher wusstet ihr, dass ich weg war?« Noah holte tief Luft und schloss seine Augen. »Valeska und ich sind gegen neun Uhr morgens zu uns nach Hause gefahren, weil ich was holen wollte. Mom und Dad haben noch geschlafen. Ich bin dann also in mein Zimmer gegangen und Valeska meinte, dass sie auf die Toilette musste. Und dann ist sie fast schreiend zu mir in mein Zimmer mit einem blutverschmierten Waschlappen und einer roten Klinge in den Händen gelaufen, die sie beides im Waschbecken gefunden hatte.«

Er ließ einen kurzen Blick zu Valeska gleiten, die die ganze Zeit aus dem Fenster starrte. »Ich wusste zwar nicht direkt, was mit dir passiert war, aber ich wusste, dass das von dir kam. Also sind wir direkt losgerannt und haben dich fast eine Stunde lang gesucht, bis Valeska dich schließlich erbrechend auf der Straße gefunden hatte.«

Die ganze Zeit hatte ich Noah angesehen, doch in diesem Moment schaute ich zu Valeska. Sie war die Person, die mich draußen gefunden und einen Krankenwagen gerufen hatte. Wenn sie das nicht getan hätte, wüsste ich nicht, wo ich jetzt wäre. Vielleicht wäre ich draußen in Ohnmacht gefallen und erstickt, oder sogar noch viel schlimmeres, was ich mir nicht vorstellen konnte und wollte.

Addicted | wird überarbeitet und in der neuen version wieder gepostet!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt