64. Liebe, die nie zu Ende geht

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Noah

Mich selbst fragend, ob ich es wirklich tun sollte, stand ich vor der Tür zum Wohnzimmer.

Hail und ich haben heute nur ganz wenig bis gar nicht miteinander geredet und gerade saß sie auf dem Sofa und starrte auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Das sah ich durch das Glas.

Sie hat heute Nacht auch nicht gut geschlafen, hat sie gesagt. Sie sagte, dass sie sich nur herumgewälzt hat und uns drei, also Valeska, Vincent und mich, und dazu noch die ganze Situation einfach nicht aus dem Kopf bekommen hat.

Momentan war es kurz nach fünf Uhr nachtmittags, bald müsste ich mich für das Treffen mit Valeska fertig machen, und noch immer ist meine Schwester so ruhig und still, als wäre sie gerade erst aufgewacht und würde das Leben gar nicht realisieren, obwohl sie zwei Stunden früher wach wurde als ich. Um zwölf.

Beim Mittagessen war Hailey nicht dabei. Sie meinte, sie hätte keinen Hunger, weil sie zu viel vom Frühstück gegessen habe - was ich ihr irgendwie nicht glauben konnte.

Ich kannte sie schon lange genug, um zu wissen, ob sie zu viel Frühstück gegessen hat oder eben gar nicht. Das Ding war einfach, dass sie fast nie Frühstück aß. Und wenn, dann nur ein Brötchen. Aber das war es dann auch wirklich.

Also haben nur Tante Gracie und ich zusammen in der Küche gesessen und ihre Spezial-Pfannkuchen gegessen, so wie sie sie immer nannte. Nach Hail gefragt tat sie natürlich auch, doch auf diese Frage reagierte ich nicht wirklich. Klar, ich an ihrer Stelle wäre auch furchtbar neugierig gewesen, doch ich war lange noch nicht so weit, ihr von dem ganzen zu erzählen und Hailey wäre davon auch nicht so begeistert, wenn ich es getan hätte. Unsere größte Angst war dabei einfach nur, dass unsere Eltern davon erfahren. Und wenn Tante Gracie dahinter kommt, mit wem und mit was wir zu tun haben, dann wären unsere Eltern bestimmt die nächsten, die davon erfahren würden, auch wenn ich Tante Gracie sagen würde, dass sie es nicht weitererzählen soll.

Sie hätte es trotzdem getan.

Seufzend legte ich meine Hand auf die Türklinke und griff fest nach ihr, wollte gerade runterdrücken und das Wohnzimmer betreten, als mich irgendwas zurückhielt.

Ich hatte keine Ahnung, ob ich Hailey in Ruhe lassen und sie erstmal darauf klarkommen lassen sollte, doch ich wusste, dass auch wenn ich der Auslöser des ganzen Problems war, ich die Person war, die sie gerade am meisten brauchte.

Hail brauchte keine Valeska, keinen Vincent, keine Tante Gracie und auch keine anderen Freunde. Nur mich, weil ich genau das gleiche durchgelebt habe und es geschafft habe, dort rauszukommen.

Zwar mit den Folgen, dass ich täglich von Schuldgefühlen und Angst vor der Zukunft geplagt wurde, dass meine Konzentration im College am Ende war und ich eine Zeit lang gar nichts mehr auf die Reihe bekommen habe, weil ich Valeska wie die Hölle vermisst und geliebt habe und ich mir immer wieder reingeredet habe, was ich denn für ein scheiß bester Freund gewesen war.

Aber ich habe es dennoch geschafft. Ich habe es geschafft, aus der ganzen kleinen Drogen- und Alkoholsucht, die ich hatte, rauszukommen und die beiden ansatzweise zu vergessen.

Doch wie man sieht, ist doch sowieso alles umsonst gewesen und alles wieder aufgeflammt.

Als ich Haileys Kopf sich langsam nach rechts zum Fenster drehen und ihren Körper sich heben und wieder senken sah, entschloss ich mich dazu, doch zu ihr zu gehen.

Zwar wird sie nicht viel mit mir reden, vielleicht genauso viel wie sie es heute allgemein getan hat, aber weil ich ihr großer Bruder bin und somit auch der Schuldige, bin ich dazu verpflichtet, wenigstens zu fragen, wie es ihr geht, auch wenn nur ein gelogenes und unbedeutendes Gut ihre Antwort sein würde.

Addicted | wird überarbeitet und in der neuen version wieder gepostet!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt