67. Küss mich, bitte

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Schlapp saß ich auf meinem Bett, mit dem Rücken zu meiner abgeschlossenen Tür, und starrte aus dem Fenster. Ich konnte mir nicht beantworten, wie lange ich jetzt schon den ganzen Tag nachdachte. Und diese Gedanken, die ich hatte, machten mich fertig.

Ich war müde, enttäuscht, nervlich komplett am Ende. Ich konnte nichts mehr, weder reden noch zuhören. Das einzige, was ich konnte, war nachdenken und trinken. Einfach nur nachdenken und trinken.

Dabei wusste ich nicht mal wirklich, wieso ich das tat. Ich wollte doch einfach nur vergessen. Ich wollte einfach nur den Schmerz, der mir angetan wurde, vergessen. Alles, was je mit Linda passiert ist, alles, was mit Vincent und Valeska passiert ist, alles, was mit Noah passiert ist.

Auch wenn Noah es nur gut meinte und das Beste für mich wollte, konnte ich all das nicht verkraften. Es tat mir weh, es schmerzte tief in meiner linken Brust, als mir der Gedanke in den Kopf geschossen kam, dass wir das alles auch anders hätten lösen können. Er hätte damals auch ganz einfach bei mir bleiben können und mit mir über alles geredet, aber anscheinend konnte er auf diese Hausparty nicht verzichten.

Ich legte die Flaschenöffnung an meinen Mund und ließ die alkoholische Flüssigkeit meine Kehle hinunterfließen, schüttelte meinen Körper danach kurz und schloss die Augen, spürte, wie mir etwas schwindeliger im Kopf wurde.

Vor allem hatte ich nicht mal jemanden, dem ich mich anvertrauen konnte. Ich konnte weder zu Vincent, zu Valeska, noch zu Noah gehen, zu Linda erst recht nicht, weil sie sowieso eine falsche, hinterhältige Ratte war, die Gerüchte über mich in der ganzen Stadt rumerzählte, und zu meinen Eltern oder in diesem Falle zu Tante Gracie konnte ich nicht gehen. Die drei waren wahrscheinlich die letzten Personen, die von dem ganzen hier erfahren würden.

Ich hatte einfach niemandem, mit dem ich reden konnte, und ich wusste, dass je länger ich das alles in mich hineinfressen würde, desto kaputter und zerstörter bin ich am Ende, was ich jetzt sowieso schon bin.

Gar nichts mehr konnte ich wahrnehmen. Wirklich gar nichts mehr. Ich fühlte mich leer und verletzt, hintergangen und belogen, als wäre mir alles genommen wurden, was ich je besaß. Mein Vertrauen zu den Menschen, die mir am meisten was bedeuteten, wurde mir genommen. Mein Glauben an gute Menschen.

Und das zweite Mal trank ich aus dem Hangar One Wodka, der in meiner Kehle brannte.

Nicht die leiseste Ahnung hatte ich davon, was ich jetzt tun sollte. Ich hatte wirklich keine Ahnung. Mein Kopf war wie leergefegt. Als wäre dort nur noch Leere. Als wäre ich nur noch eine ganze Leere.

Ich konnte nicht einmal mehr richtig weinen. Ich wollte es, ich wollte alle Traurigkeit, alle Enttäuschung, aus mir herauslassen, doch ich konnte nicht. Irgendein Teil sagte in mir, dass ich gefälligst nicht weinen und den Mund halten soll.

Doch das würde mich innerlich kaputt machen.

Verzweifelt schaute ich auf die Wodkaflasche und guckte mir die Prozentzahl vom Alkohol an.

Eigentlich schmeckte Alkohol gar nicht gut. Es schmeckte wirklich nicht. Also in diesem Falle. Und trotzdem trank ich dieses Zeug weiter, weil ich merkte, wie das alles schon langsam anfing zu wirken. Ein weiterer Grund, wieso ich das trinken musste, war das Verlangen danach, weil mein Verstand danach förmlich schrie.

Als Noah vor einer Stunde zu seinen Freunden gegangen war, habe ich noch weitere fünf Minuten dort gesessen, bis ich mich dann umgeschaut habe und den Hangar One Wodka in der Vitrine stehen sah. Zwar wusste ich nicht, wie er dort hingekommen war und wer ihn wann gekauft oder geschenkt bekommen hat, aber das war mir in diesem Moment egal.

Ich brauchte es. Gerade in diesem Moment brauchte ich es so sehr, um wenigstens alles andere ein wenig auszublenden.

Deswegen habe ich mir diese Flasche einfach direkt geschnappt und bin nach oben gelaufen, habe mich eingeschlossen und nun sitze ich hier seit einer knappen drei Viertel Stunde und überlege, ob ich mir gleich noch eine holen oder es doch lieber lassen sollte. Diese war schließlich gleich leer.

Addicted | wird überarbeitet und in der neuen version wieder gepostet!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt