70. Wau wau

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Noah

Verwirrt schaute ich von Vincent zu Valeska, die uns beide genauso verwirrt ansah, und wieder zurück zu ihm, schluckte schwer und überlegte, ob ich die Wagentür jetzt zuknallen oder einsteigen und fahren sollte. Doch bevor ich nicht wusste, was er damit meinte, unterließ ich es.

»Was hast du losgelassen?«, fragte ich leise und spannte den Unterkiefer an, »Mich?«

In diesem Moment fing Vincent an zu lächeln. Aber er lächelte nicht lieb und nett, vielleicht wollte er es zeigen, nur er konnte es nicht, stattdessen zierte ein bösartiges Lächeln seine Lippen.

Ob er mir nun verziehen hat oder nicht, konnte ich mir dadurch nicht beantworten, aber wenigstens lächelte er. Zwar nicht positiv aussehend, aber er lächelte. Und das ist schon mal etwas.

Nochmal sah ich zu Valeska, die ihren Bruder einfach nur komisch anstarrte. Sie war genauso verwirrt wie ich.

»Nein, Noah«, auf einmal setzte er sich in Bewegung und ging um den Wagen herum auf meine Seite und stellte sich vor mich, machte meine Autotür zu, die ich aufgemacht hatte, weil ich eigentlich losfahren wollte, und lächelte mich immer noch mit einem teuflischen Glitzern in den Augen an, »Ich habe die Vergangenheit losgelassen.«

Dann machte er plötzlich noch einen weiteren Schritt auf mich zu, breitete die Arme aus uns zog mich zu sich in eine Umarmung. Erst blieb ich starr stehen, als würde ich wie im Hochsommer angekleidet am Nordpol stehen und zu einem großen, dicken Eisblock mutieren. Ich war einfach nur perplex und konnte nicht wahrnehmen, was gerade passierte.

Erst als er mich nach ein paar Sekunden noch fester an ihn zog, realisierte ich richtig, was passierte, und erwiderte deswegen diese Umarmung, indem ich meine Arme um ihn schlang und meine Hände flach auf seinen Rücken legte, meinen Kopf an seine Schulter drückte und auf seinen Rücken klopfte.

So viele Gefühle wurden in meinem Körper ausgelöst; Freude, Freundschaft und noch so viel andere positive. Eine Wärme breitete sich in mir aus und umhüllte mich von außen von allen Seiten, seinen Körper spürte ich in diesem Moment überall, die Schuldgedanken in meinem Kopf verabschiedeten sich endlich langsam von mir und ließen mich wieder klar denken.

Die Umarmung von meinem damaligen besten Freund machte mich glücklich. Sie tat mir gut. Sie tat mir mehr als nur gut. Sie war das, was ich genau jetzt brauchte.

Damit ich alles noch besser spüren konnte, kniff ich meine Augen fest zusammen und zog ihn noch näher an mich heran.

Mir fiel erst jetzt auf, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Vincent war einfach mein bester Freund gewesen, mein Bruder, er war die Person, der ich am meisten vertraut habe und die meine Nummer eins war, er war die wichtigste Person für mich gewesen.

»Ich werde dich nie wieder bei so etwas alleine lassen«, murmelte ich und drückte meinen Kopf weiter an seine Schulter hinein, bemerkte, wie auch er sich anscheinend immer und immer wohler in meiner Nähe fühlte, »Ich schwöre dir bei Gott.«

Noch für eine Minute blieben wir ganz ohne Worte und ohne irgendwelche ruckartigen oder nervigen Bewegungen in unserer Umarmung stehen und genossen die Berührungen des anderen, die Nähe des anderen, die wir so lange nicht mehr gespürt hatten. Selbst Valeska sagte kein Wort.

»Kommst du mit zum Fulton Ferry?«, fragte Vincent, als wir uns langsam aus der Umarmung gelöst hatten, und lächelte mich nicht mehr wie davor an, sondern setzte seinen gefühlslosen Standardblick auf und schaute mich vielerwartend an, woraufhin ich einen flüchtigen Blick zu Valeska warf, die mich nur verlegen beobachtete und die Beine voreinander überkreuzte. Ich nickte, als ich mich wieder zu Vincent gedreht hatte.

Addicted | wird überarbeitet und in der neuen version wieder gepostet!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt