Kapitel 17

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Sicht: Legolas

Ich schmunzelte darüber, wie schnell doch Wut verfliegen und vergessen werden konnte. Insgeheim hoffte ich, dass auch Ältere sich so schnell beruhigen können, wie Estel.
Plötzlich machte dieser einen Satz nach vorne, drehte sich und fiel auf den Rücken. Kurz darauf plumpste etwas auf seinen Bauch.
Ich sah Estel fragend an. «Ada hat gesagt, dass man Vogeljunge nicht anfassen soll, da die Mutter es dann nicht mehr annimmt.», sagte er und deutete auf den kleinen Vogel auf seinem Bauch, welche sich unbeholfen aufraffte und sich verwirrt umsah, aber keinen Mucks machte. Scheinbar hatte es noch keine Gefahr kennengelernt.
Ich lächelte und nickte. «Da hast du recht.», sagte ich anerkennend und kniete mich neben ihn. Estel setzte sich auf und das Jungen purzelte auf seinen Schoß. Entrüstet piepte der kleine Vogel. «Tschuldigung.», sagte Estel verlegen grinsend und betrachtete das Vogeljunge. «Wie willst du ihn wieder ins Nest bekommen?», fragte ich Estel. Er stülpte seine Ärmel über die Hände und hob dann das Vogeljunge hoch. «Ich nehme das Junge und du trägst uns beide dann hoch.», sagte Estel stolz über seine Idee. Ich schmunzelte, nickte und hob den Jungen dann hoch. Mit ihm und dem Vogel ging ich dann zum Baum und fing an hoch zu klettern. Mit einer Hand hielt ich Estel, der sich an mich drückte.
Als wir oben ankamen, sahen wir uns nach dem Nest um. «Siehst du es?», fragte Estel und ich nickte. Geschickt kletterte ich zum Nest und Estel legte das Vogeljunge zu seinen Geschwistern.
Wir betrachteten die kleinen Vögel noch ein wenig bis Estel fragte: «Wo warst du eigentlich? Du bist so plötzlich vor mir aufgetaucht.»
«Dort oben.», sagte ich und nickte zum Dach. «Zeigst du mir den Ort?», fragte Estel. Ich nickte und kletterte zum Dach.

Auf dem Dach setzte ich Estel ab. Er sah sich staunend um und erkundete das Dach, doch blieb in meiner Reichweite. Von hier aus kam man überall hin, doch ab einem bestimmten Punkt konnte man gesehen werden.
Der kleine neugierige Junge lief zum Dachende mit dem Blick staunend auf die letzten Sonnenstrahl gerichtet. «Warum war ich hier noch nie?», fragte mich Estel, ohne mich anzusehen. «Weil niemand außer mir diesen Ort kennt.», antwortete ich und setzte mich. Estel tat es mir gleich. «Warum warst du hier? Warum hast du dich versteckt?», fragte er und sah mich an.
Es war keine Frage aus kindlicher, hippeliger Neugier. Sein Blick war ruhig und interessiert.
Wusste er, dass es kein Thema war, über das man so einfach redete? Wusste er wie ich mich fühlte? Kannte er das Gefühl, wenn man allein sein will, nicht gefunden werden will und nachdenken will?
Ich musterte ihn schweigend.
Ja, er wusste, wie ich mich fühlte.
«Betrübt es dich oft, dass du anders bist, kein Elb? Dass es hier keine anderen Kinder gibt?», fragte ich ruhig, genau wie er mich gefragt hatte. Er nickte schweigend. Ich sah, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.
Ich legte einen Arm um ihn und drückte ihn an mich. Sein Kopf ruhten seitlich an meinem Arm und wir sahen beide dorthin, wo die letzten Sonnenstrahlen verschwanden und sich die Dunkelheit ausbreitete. Ich wusste das Estel stumm weinte. Dafür musste ich ihn nicht ansehen. Ich wusste, wie er sich fühlte.
«Mit niemanden reden können. Keiner kann es verstehen, wenn er es nicht selbst erlebt hat. Wenn man mit so jemanden redet, ist er unsicher. Er versucht es zu vertuschen und zu helfen, doch er kann es nicht vertuschen und er kann nicht helfen, denn er versteht es nicht. Man kann es nur verstehen, wenn man es erlebt hat.», murmelte ich vor mich hin, «Man kann nur alleine weinen. Niemanden kann man zeigen wie man sich fühlt. Mit all dem ist man allein. Man ist...»
«...Einsam.», beendete Estel meinen Satz. Ich nickte.
Stille. Niemand sagte was.

«Woher kennst du das. Du bist als Elb unter Elben aufgewachsen.», fragte Estel nach einiger Zeit.
«So gesehen ja. Doch angefühlt hat es sich so nicht. Ich bin als Prinz unter Untergebenen aufgewachsen. Im Palast gab es keine Gleichaltrigen. Somit auch keine Freunde... Außer einen, Télas. Er war mein Lehrer und immer für mich da, doch ich merkte oft, dass Télas immer noch ein Untergebener ist und ich ein Prinz.», antwortete ich und atmete tief durch. «Was ist mit deinem Ada und deiner Nana? Haben die nicht mit dir gespielt?», fragte Estel weiter, doch ich antwortete nicht und schloss kurz die Augen.
Ich spürte, wie Estel mich ansah, doch mein Mund blieb geschlossen.
«Leggy?», fragte Estel unsicher und tippte mich an. Ich reagierte nicht, sondern starrte nur in die Dunkelheit, in der langsam Sterne auftauchten. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich wollte nicht darüber reden, aber ich wollte ihn auch nicht abweisen.
«Ehm...», machte Estel und überlegte scheinbar. «Woher kennst du eigentlich diesen Ort?», fragte Estel bemüht möglichst beiläufig zu klingen, doch es hörte sich eher unsicher und zögerlich an.
Ich sah zu ihm.
Es war offensichtlich, dass er versuchte das Thema zu wechseln. Ich lächelte kurz und dankbar, aber wahrscheinlich auch etwas wehleidig.
«Als ich klein war, habe ich hier mal eine zeitlang gelebt.», antwortete ich.
«Warum? Ich versteh das Ganze nicht. Du hattest doch Familie, Heimat, bist unter Gleichgesinnten aufgewachsen und noch dazu als Prinz.», sagte er verwirrt und wurde dabei langsam wütend, «Das ist doch alles eine Lüge! Du hast hier nie gelebt! Du weißt nicht, wie das ist! Du bist ein Lügner!» Er sprang wütend auf und ich sah zu ihm. Mein Blick war ernst, fast emotionslos. Er wollte gehen, doch erstarrte, als er mir in die Augen sah.
«Fälle dein Urteil nie über Dinge oder Leute von denen du kaum bis gar nichts weißt. Du kennst meine Vergangenheit nicht, warum meinst du dann, dass ich ein Lügner bin?», fragte ich ernst. Estel schluckte sprachlos und setzte sich wieder. «Warum?», fragte er leise, «Was ist passiert, dass es dir so ergangen ist? Erzähl mir davon, dann bin ich nicht mehr alleine. Nicht mehr einsam.»
Ich musterte ihn schweigend, schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Dann nickte ich.
«Gut»

Man Le? (Legolas Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt