Four

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"Weißt du, wie viele Flaschen ich gezählt habe?", hörte ich ihn aus dem Zimmer rufen. Ich sah mich selbst im Spiegel überlegend an. Kopfrechnen war wirklich nicht meine Stärke. Als er in der Tür auftauchte, spuckte ich die Zahnpasta aus und zog die Schultern ratlos hoch.
"Ich bin seit etwa 14 Tagen hier. In der ersten Woche habe ich pro Tag eine getrunken. Dann.."
"Samantha!", unterbrach er mich barsch und ich zuckte verwirrt zusammen, "Es sind über 20!"
Ich zog die Augenbrauen hoch. "Wow."
"Wow?!" Er schüttelte missbilligend den Kopf und verschwand mit dem blauen, klimperndem Sack. Wut kochte in mir hoch und ich wollte ihm hinter, als mir einfiel, dass ich noch Zahnpasta am Mund hatte. Hastig wusch ich sie ab und checkte mich im Spiegel ab. Meine Augen waren nicht nur rot, sondern schon gelblich und meine Haut war bleich, fast grau. Wie ein Zombie. Und -puff- die Wut war weg. Stattdessen stellte sich Selbsthass ein. Mit einem bitterem Gefühl im Magen lief ich ihm hinterher und setzte mich auf das Bett. Wenn er nicht gekommen wäre, hätte ich mir das Leben weg gesoffen. Warum war er denn nur gekommen?!
"Was an mir ist denn so wichtig..", murmelte ich leise.
"Was?" Er tauchte neben mir auf. Sein Anzug war etwas zu groß und die Krawatte hing ihm schief am Hals.
"Wo willst du eigentlich hin?"
Er folgte meinem Blick und sah mich wieder an. "Ich bin vom FBI."
Ich wollte nachhaken und musste mir ein Lachen verkneifen, aber etwas an seinem Blick ließ mich verstummen. Er ließ den blauen Sack fallen, sodass es lauthals krachte und den gelben Sack mit dem restlichen Müll auch. Nachlässig stopfte er das weiße Hemd in die Hose und rückte ohne Erfolg die Krawatte zurecht. Ich stand auf und wollte ihm dabei helfen, doch als sein Blick meinen traf, zuckten meine Hände wieder zurück und ich spürte die Hitze in meinem Gesicht. Wieder schmunzelte er und mir wurde heiß.
"Ich bin ein paar Stunden weg.", raunte er und ich flüchtete soweit ich konnte nach hinten, aber da war das Bett. Räuspernd wich ich seinen grünen Augen aus und starrte auf den Teppich. Verdammtes Herz, verdammter Magen! Er war nur da, um seinen Job zu machen, mehr nicht.
"Verlass das Zimmer nicht.", sagte er nun und lief mit den Säcken Richtung Tür, "Außer du willst dem Waldmann wieder begegnen." Und mit einer unglaublich lauten Geräuschkulisse war er verschwunden. Ich war allein. Ein kalter Windhauch zog über meinen Rücken und ich schüttelte mich. Hastig wandte ich mich um- das Fenster war offen. Ich lief hinüber und knallte es zu. Checkte gefühlte tausend Mal, ob es wirklich zu war und wollte schon rüber, um die Tür zu checken, als ich ihn unten sah. Vor dem Gebäude standen die Mülltonnen und er mühte sich offensichtlich mit der Mechanik ab. Sein Fluchen konnte ich sogar bis oben hören und ich musste grinsen. Nachdem er die Flaschen in die Papiertonne gestopft und den anderen Müll einfach daneben abgestellt hatte, wandte er sich um und lief zum Impala. Kopfschüttelnd sah ich ihm dabei zu, wie er mit seinen Fingern über die Motorhaube strich und dann mit einem Lächeln einstieg. Er startete den Motor und sah zu mir auf. Erschrocken wich ich zurück und ein Kribbeln fuhr durch meinen Magen.
"Scheiße!" Ohne noch Mal zur Tür zu gehen, verkroch ich mich im Bett und sah im Sekundentakt auf mein Handy.
"Hey!"
Ich schreckte auf- verdammt, ich war doch eingeschlafen. Dean stand neben meinem Bett und sah mit roten Augen auf mich hinab. Erst jetzt bemerkte ich mein rasendes Herz. Und die salzigen Tränen. Das beinahe nasse Laken. So sehr hatte ich geschwitzt?
Dean atmete tief ein und aus und lief hinüber zum kleinen Tisch, gegenüber vom Bett. Er setzte sich in den Sessel und griff nach einem Glas mit brauner Flüssigkeit darin.
Blinzelnd wischte ich mir den Schweiß vom Gesicht und rückte zurück, sodass ich an der Wand lehnte. Meine zitternden Hände hoben das Handy an. Drei Uhr in der Nacht.
"Habe ich geschrien?", fragte ich vorsichtig und wagte es nicht, ihn anzusehen. Nach eine ewig andauernden Pause, kam endlich ein "Ja.".
Oh nein. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit. Es war mir peinlich! Auch wenn mein dummes Ich über beide Ohren in den Mann verknallt war, kannte ich ihn nicht. Ich hoffte nur, dass ich nicht nach ihm - so wie immer - geschrien hatte. Ich griff mir an den Oberarm und rieb darüber. Warum auch immer beruhigte mich das, aber dieses Mal nicht. Wie oft hatte ich ihn mir schon herbei gewünscht. In diese Situation: Er holte mich aus einem Alptraum und tröstete mich. Warum war es nur jetzt so furchtbar unangenehm?
Ein Räuspern ließ mich zusammenfahren. Dean hielt mir ein Glas hin. Der Alkohol darin stieg mir in die Nase und ich sah verwirrt zu ihm auf. Er sah mich nur an- ich konnte seinen Blick nicht deuten. Und als er keine Anstalten machte, wieder zu gehen, nahm ich das Glas an. Er stieß seines gegen meines und ein Klirren hing in der Luft. Meine trockenen Lippen wurden feucht vom Speichel. Mein Durst war nicht gesund, das wusste ich. Schon lang. Aber in diesem Moment- als ich mit Dean diesen einen Schluck Whiskey trank und er heiß meine Kehle herunterlief- da wurde mir erst so richtig bewusst, was ich mir angetan hatte.
Dean nahm mir das leere Glas ab und als er ging, streifte mich seine Hand am Oberarm. Ich hatte keine Ahnung, ob es Absicht war, aber der Rausch Sicherheit war atemberaubend.
"Gute Nacht, Samantha."
Ich sah auf und starrte auf seinen Rücken. Als er sich setzte und drohte, meinen Blick zu bemerken, legte ich mich hastig hin und zog mir die Decke bis unters Kinn.
"Gute Nacht, Dean."
Ich wachte noch oft auf und jedes Mal stand er neben mir und blickte auf mich hinab. Und irgendwann saß er neben mir. Und ich weiß nicht, ob ich das träumte, aber als ich das letzte Mal aufwachte, legte er sich neben mich und zog mich an sich heran. Und drückte mich fest. Ich spürte seine warmen Hände in meinem Rücken und sein schlagendes Herz und roch ihn. Es war mir egal, ob ich das träumte- ich schlief endlich ruhig.
Als ich am Morgen aufwachte, war ich allein. Panik stieg in mir auf. Mein Herz raste. Hastig stieg ich aus dem Bett und wollte nach unten zur Rezeption, als ich abrupt stehen blieb und mich umwandte. Auf meinem Nachttisch stand eine Flasche Orangensaft, Kaffee und ein Pappteller mit einem Brötchen mit Salami und Ei. Ein erleichtertes Keuchen kam über meine Lippen, als ich auf weichen Knien zurück zum Bett ging und auf das Essen starrte. Ein Zettel klemmte unter dem Teller. "Aufessen!" Fette Großbuchstaben und fünf Ausrufezeichen duldeten keine Wiederrede. Es dauerte zwar etwas- mein Magen war noch nicht wach und abgesehen davon sehr abgelenkt- aber ich aß alles auf. Und ich machte mich im Bad fertig, zog mir seit Tagen wieder etwas vernünftiges an und stand im Zimmer, anstatt zurück unter die Decke zu kriechen. Mein Blick huschte zu meinem Laptop unter dem Bett. Normalerweise lag dort auch der Wein griffbereit. Fluchend fuhr ich mir in die Haare und lief zum Fenster. Vielleicht kam er ja gleich wieder? Vielleicht konnte er mich ablenken? Mich mit dem FBI-Blödsinn voll labern. Mir Vorwürfe machen. Er - ich schluckte - er dürfte mich sogar ohrfeigen. Nur musste er mich ablenken! Mich abhalten! Aber er kam nicht. Der Impala war weg und mit ihm Dean und ich war allein mit den letzten hundert Euro im Zimmer. Zitternd umfasste ich meinen Körper.
"20 Jahre, Madame.", sagte ich mir selbst und stellte mir Maria vor, wie sie vor mir stand, mich wütend und enttäuscht ansah, "20 Jahre und du hast nichts gelernt..."
Ich schluckte und schloss meine Augen. Es war, als lenkte der Körper sich selbst. Ich im Innern kämpfte dagegen an. Hielt meine Hand fest, die nach dem Portemonnaie griff. Schmiss es zurück auf das Bett und rannte ins Bad. Ich im Innern versuchte verzweifelt meine Vernunft zurück zu erlangen.
"Dean oder Alkohol.", hörte ich mich sagen, "Dean oder Alkohol!" Ich schrie auf und stand auf. Starrte auf die weiße Tür und trat von einen auf den anderen Fuß. Merkwürdig- das Ziehen im Magen, das Kribbeln in jeder Fase. Das Rauschen des Blutes. Das wilde und starke Pumpen des Herzens. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Merkwürdig, dieses Verlangen. Etwas, das ich nicht anfassen konnte, verlangte so viel Kraft und verschaffte sie mir gleichzeitig. Eine wilde Kraft. Sie tat weh.
Ich drehte mich im Kreis und blieb vor dem Spiegel stehen. Starrte mich an. Versuchte mich zu sehen- so wie ich war und nicht, was ich aus mir gemacht hatte. Nichts. Ich fluchte- so sehr fluchte ich nie- und ohne zu wissen, wie es geschehen war, lag eine Nagelschere an meinem Handgelenk. Mein Hand zitterte und das kalte Metal drückte schon tief in meine Haut.
"Dean oder Alkohol. Alkohol oder.." Ich keuchte auf und ließ die Schere fallen. Nein- soweit lass ich es nicht kommen! Nein! Soweit würde mich niemand bringen! Nicht der Alkohol, auch nicht der Waldmann! Nein!
Ich rannte aus dem Bad, schnappte das Portemonnaie und verschwand aus dem Motel. So schnell war ich noch nie im Laden gewesen. Ich amtete tief ein und aus und schüttelte die Übelkeit ab. Außer einer Flasche Wein hatte ich mir auch Äpfel und Brot geholt. Eine Packung Käse machte es komplett. Das ging. Zufrieden lächelnd machte ich mich zurück zum Motel, öffnete den Laptop und goss mir ein Glas Wein ein. Nur ein Glas. Das ging! Supernatural lief und ich grinste. Hier war ich sicher. Bei den Winchesters. In der ersten Staffel. Oh- wie ich meine Jungs liebte. So jung und unschuldig. So voller Hoffnung und Optimismus! Ich hielt den Stream an und starrte auf das eingefrorene Lachen von Dean. Ich gluckste und nahm einen Schluck Wein. Wohltuende Wärme breitete sich in mir aus und meine Hände kribbelten nicht mehr. Oh- dieses Lachen! Die kleinen Fältchen um diese wunderschönen Augen! So groß und strahlend und hell. Die Wangenknochen! Mir entfuhr ein Seufzer und ich fiel zurück gegen die Bettlehne. Mein Blick checkte jeden Millimeter dieser Perfektion ab. Dabei rutschte er allerdings auch auf die Uhr.
"Nein." Es war schon sechs Uhr am Abend und ich hatte das Mittag verpasst! Was würde Dean sagen, wenn er die ungeöffneten Verpackungen sehen würde! Hastig klappte ich den Laptop zu und krabbelte aus dem Bett. In dem Moment krachte die Tür auf und ich verschüttete den Rest Wein auf meinem weißen Blümchen-Pullover. Der FBI-Agent kam in das Zimmer gestürzt und verschwand im Bad. Ich sah nur seinen Mantel wehen und hörte das Wasser Rauschen. Verwirrt ging ich mit kleinen Schritten auf die Geräusche zu.
"Dean?"
"Einen Moment, Sam!", rief er und ich hörte etwas in seiner Stimme, das ich nicht kannte. Die Tür stand offen und ich schob mich an ihr vorbei. Langsam schob sich das Bad in mein Blickfeld. Deans Rücken. Seine blutigen Hände, die unter dem Wasserstrahl zitterten. Das zerrissene weiße Hemd, die bleichen, leicht geöffneten Lippen. Geschockt trat ich einen Schritt zurück.
"Was zum Teufel..", entfuhr es mir. Sofort schlug ich die Hand auf meinen Mund- ich wusste, dass ich das nicht sehen durfte. Sein Blick fuhr geschockt hoch und er hielt einen Moment inne. Dabei sauste sein Blick von meinen Socken losen Füßen bis hin zu meinen gescheitelten Locken.
"Du trinkst?!", schrie er beinahe, als sein Blick an dem leeren Glas hängen blieb. Ich wich zurück, als er auf mich zugetrampelt kam.
"Was ist mit dir passiert, Dean?", fragte ich besorgt und ignorierte seinen wütenden Blick.
"Du bist krank!"
Ich runzelte die Stirn und er riss mir das Glas aus der Hand. "Du bist ein Alkoholiker, Samantha Wolf!"
"Das musst du sagen!", schrie ich zurück und wagte es, ihn an der Brust zurück zu stoßen, "Dean Winchester!"
Er blinzelte und fasste sich an die Brust. Sein Blick wurde immer weicher, bis sich vollkommene Verwirrung einstellte.
Ich war nicht weniger geschockt und stolperte zurück zum Bett. Mit einem Plumpsen saß ich darauf und starrte wieder auf diesen furchtbar hässlichen Teppich.
"Fuck."


Was schlecht ist, gehört verbessert! Thanks! ;) 

Life is not what it seems.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt