Ballett des Wahnsinns

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Mädchen in weißen und rosa bauschigen Tutus, glänzende weiße Schuhe an den Füßen. Sie schweben grazil über die Bühne, begleitet von eleganter Pianomusik. Mit tippelnden Schritten, bilden sie einen Kreis, heben ihre Arme auf und ab. Ihre Gesichter gen Decke gestreckt und die Augen weit aufgerissen. Immer wieder reißt es sie zur Seite- die Körper biegen sich im stummen Sturm. Wer hält sie fest? Niemand! Sie rudern mit ihren Armen, gehen in die Knie, nur um in die Höhe zu springen. Die Finger sind krumm und plötzlich fassen sie den Nebenmann. Zerren und reißen, sie rudern und springen. Es ist so wunderschön, so elegant und vollkommen. Und schließlich! ... 
Nackte Körper bluten, die Haut bleich und Farbe klebt an falschen Stellen. Schlaffe Arme hängen kraftlos herunter, die Köpfe im Nacken und wallende Haare bedecken die Rücken. Zwischen dem Pakett und ihren Füßen ist ein paar Zentimeter Luft. Blau und lila. Vollkommen entstellt. 
Die Mädchen sehen gen Decke. Die Augen weit aufgerissen. Und ihre Münder zu stummen Schreien verzerrt. 
Sie schweben im Wahnsinn. 


"Was schaust du denn da?" 
Die Mädchen verschwanden hinter einer schwarzen Wand. 
"Zum Glück war es gerade zu Ende Dean, sonst hätte ich dich getötet."
Er zog eine Augenbraue hoch und sah schmunzelnd auf mich hinab: "Sowas gefällt dir?"
"Etwas Kunst könnte dir auch nicht schaden!"
"Da bin ich anderer Meinung."
Ich sah mich zu ihm um. Er war frisch geduscht und duftete nach Zitrone. Ich stank noch immer nach Blut, Schweiß und Zigarettenqualm. Er hatte mich in ein Motelzimmer geschafft und der Morgen dämmerte. 
"Wo willst du hin?", schmunzelte ich, "Dich stellen?"
"Nein.", sagte er verwirrt die Stirn runzelnd, "Ich gehe zu Sam. Wir müssen einen Weg hinaus finden."
"Hinaus?"
"Oder Zurück. Was auch immer du willst."
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff. Geschockt sprang ich auf die Beine. 
"Du willst in deine Realität!"
Er nickte und wich meinem Blick aus. Ich war außer mir vor Gefühlen jeder Art. 
"Mein Gott! Du kommst in mein Leben, verpisst dich, wirfst mich in den Wahnsinn, kommst wieder, um dann wieder zu verschwinden? Hast du den Arsch offen?!"
"Den Arsch offen?", fragte er und musste sich ein Lachen verklemmen, "Was zum Teufel meinst du damit?"
"Geh dich ficken, Dean Winchester. Du hast sie doch nicht mehr alle."
Ich wandte mich um und kämpfte mit meinen Tränen. 
"Ich habe Maria für dich verraten!"
"Ich tue das doch nicht für mich!", rief er entrüstet, "Das alles tue ich für dich!  Sam- du hast meinetwegen einen Menschen umgebracht. Ich verlasse dich, um dich zu retten."
"Mich retten?!" Ich fuhr herum und verpasste ihm eine Ohrfeige. "Ich hatte mich unter Kontrolle, bevor du aufgetaucht bist!"
Er schmunzelte missbilligend: "Du bist und warst wahnsinnig, Sam. Wenn das Kontrolle ist-"
"Fick dich.", ich stieß ihn an der Brust, "Los! Verschwinde und bleibe weg!"
"Sam, bitte.." Plötzlich wurden seine Augen riesig und glasig, aber ich ließ mich von dieser Masche nicht einschüchtern. Der Boden vibrierte. Die Wände drohten, einzustürzen. 
"Vielleicht hatte Maria doch Recht. Vielleicht bist du nur ein wahnsinniger Irrer, der mich umbringen will."
"Und dir deswegen das Leben rettet?", rief er und stieß mich jetzt, sodass ich auf das Bett fiel, "Hast du sie nicht mehr alle?!"
"Nein!", brüllte ich ihn an und konnte die Tränen nicht mehr zurück halten, "Nicht mehr, seit du in meinem Leben aufgetaucht bist!"
Er presste die Lippen zusammen und starrte mich einen Moment lang an. Die Stille war erdrückend und ich hörte schon den Putz von den Wänden rieseln. Als er sich umwandte und aus der Tür verschwand, stürzte schließlich alles zusammen. Ich konnte es nicht mehr halten. Ich verlor den Boden unter meinen Füßen, während mir die Decke auf den Kopf fiel. 


Ich lag noch eine Weile so dort, auf dem Bett. Alles war eingestürzt, kaputt und haltlos. Es war eine Art Freiheit, in der ich besser und klarer und realistischer denken konnte, als sonst. Ich schloss also meine Augen, wie so oft und ließ den Film in meinem Kopf ablaufen, der alle Momente mit Dean gespeichert hatte, wie so oft. Ich wollte versteckte Hinweise finden, aber dieses mal mit einem anderen Ziel. Dieses Mal wollte ich ihn nicht finden, oder ein Loch zu seiner Realität. Nein- Dean hatte Recht. Wir mussten hinaus. Ich musste einen Weg aus diesem Wahnsinn finden. Klar sehen. 
Sommer 2014 traf ich ihn in einer Bar. Damals war ich 20 Jahre alt und depressiv. Zuerst war ich mir unsicher, aber schließlich hatte er mich davon überzeugt Dean Winchester aus einer anderen Realität zu sein. Und wie? Es gab nicht viele Beweise, die dafür sprachen. Eigentlich keine, bis auf seine Person selbst. Nein- es musste mehr geben! Was war passiert? Was ließ mich fest der Überzeugung sein, dass er die Wahrheit sagte? Mein Bauchgefühl? Das reichte nun wirklich nicht aus. Ok, ok. Was war noch passiert? Marias Worte sprangen mir in den Kopf: "Hast du schon von den Serienmorden gehört?" Die Stimme des Waldmannes, der meinen Namen rief. Der Alptraum. Er war wieder in meinem Kopf aufgetaucht, zur selben Zeit, als Dean in mein Leben trat. Ich öffnete meine Augen und spürte einen Ruck in meinem Magen. Die Tatsache kannte ich schon, aber... eine Ahnung baute sich in mir auf. Ich wollte mich erst gegen sie wehren, aber ich zwang mich, sie zu fassen und schloss wieder meine Augen. 

Alles passierte zur selben Zeit in der selben Gegend. Wenn Dean da war, dann auch der Waldmann und der Serienmörder, welche -laut Maria- ein und die selbe Person waren.

Der Einbruch, der Waldmann im Garten der Schule, der Waldmann in der Gasse, im Hotel - Dean war während der Angriffe nie da gewesen, sondern erst kurz danach! 

Ich hatte dem Ding das Messer in den Bauch gerammt, es mit dem Laptop ausgenockt. -
Deans Haut an seiner Augenbraue war aufgeplatzt und eine Stichwunde zierte seinen Bauch.

"Warum will das Ding mich töten? Und meine Familie..." - Ich hatte nie eine Antwort darauf bekommen. 

Samuel Winchester- ich habe ihn nie kennengelernt.

Ich sprang auf und bemerkte erst, als ich stand, dass ich brüllte: "Nein!" 
Hastig setzte ich mich an den Tisch und klappte Deans Laptop auf. Ich probierte einige Passwörter aus. Ich hätte niemals gedacht, dass er so dumm war. Sein Passwort war: Sam. 
Schneller, als ich es gewollt hatte, fand ich, wonach ich nicht gesucht hatte. Ein Ordner mit dem Namen "Dean Winchester". Keuchend lehnte ich mich zurück und starrte diesen Ordner an. Alles in meinem Kopf drehte sich. Warum sollte Dean Winchester auf seinem eigenen Laptop einen Ordner mit seinem Namen haben? Wollte ich es wissen? Wollte ich wissen, dass Maria recht hatte? Nein. Aber ich musste es. 
Den Wahnsinn aufzuhalten und trotzdem die Wahrheit herausfinden wollen- schon sehr früh hatte ich herausgefunden, dass das nicht funktioniert. Also setzte ich mir Prioritäten. Und mit ihnen, als mein roter Faden, tanzte ich mein Ballett des Wahnsinns.
Mein Finger tippte auf das Mauspad und der Inhalt des Ordners öffnete sich. 





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