Five.

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In einem kleinen Dorf, ohne Ablenkung, nur zwei Personen, die dauerhaft um dich herum waren.
"Du trinkst?!", schrie Maria.
"Ich verliere meinen Verstand!", brüllte ich zurück und Tränen rannen über meine Wangen, "Ich sehe den Waldmann überall! Und weißt du was?!"
Maria verschränkte die Arme und kniff die Augen zusammen. "Ach- hast du noch mehr gute Erklärungen für deine Dummheit?"
"Dummheit?!" Ich fuhr mir durch die fettigen Haare, vollkommen verzweifelt zog ich an ihnen. "Du raffst es nicht, oder!?"
Sie zog die Stirn kraus.
"Sicher..", murmelte ich nun, "Wie solltest du auch bemerken, wie ich jede Nacht nach Dean schreie, während du mit Lukas vögelst."
Mein Gesicht flog zur Seite und ein Brennen breitete sich aus, bevor es taub wurde. Ich schluckte und sah Maria direkt in die dunklen Augen. Sie weinte auch.
"Ich brauche Ruhe.", brachte ich hervor, schnappte mir den Rucksack, der schon seit einer Woche gepackt war und lief Richtung Tür.
"Du gehst nicht!", rief Maria hysterisch und sprang mir in den Weg, "Bitte- es tut mir Leid!"
Ich schüttelte den Kopf und schob sie beiseite, aber sie lief mir wieder in den Weg: "Bitte, Kleine. Er wird dich finden, er wird dich ermorden! Bitte.." Sie fasste mir ins Gesicht, ich wusste nicht, ob sie Dean oder den Waldmann meinte, "Ich liebe dich!"
Ich biss mir auf die zitternde Unterlippe und musste auf den Boden sehen. "Ich brauche nur ein paar Tage, Maria."
Sie ließ mich los und ich konnte an ihr vorbei, ohne dass sie mich aufhielt.
"Tschüss..", sagte ich hastig, ohne ihr in die Augen zu sehen.
"Tschau!", rief Lukas von dem Sofa- er hatte Mal wieder nichts mitbekommen. Ich atmete tief ein und aus und schloss die Tür hinter mir. Maria schluchzte. Es tat so weh, aber ich musste raus! Das kleine Haus war in den letzte zwei Monaten zu einem Irrenhaus geworden. Ich brüllte mir jede Nacht die Lunge aus dem Leib, während Maria mit Lukas schlief und es nicht mitbekam. Oder sie tat es und ignorierte es. Lukas war vertieft in ein und das selbe Buch. Irgendetwas von Stephen King und Maria sprang pausenlos herum und sah aus dem Fenster, streifte um das Haus, schoss auf die Luft. Es war nichts passiert. Rein gar nichts. Hätte der Waldmann mich finden wollen, hätte er es schon längst geschafft. Sicher hatte ich Angst raus zu gehen, aber noch mehr Angst hatte ich davor, was aus Maria und Lukas werden könnte. Was aus mir werden würde, wenn ich noch länger da geblieben wäre. Die Halluzinationen waren so schon kaum von Maria und Lukas zu unterscheiden.
Ich lief also los und nahm den Bus in die nächst größere Stadt. Ich mietete mir ein Motelzimmer, warf den Rucksack ab, nahm mir das Geld und lief in die nächste Bar. Und so verbrachte ich die nächsten Nächte, bis das Geld langsam knapp wurde. Also kaufte ich mir billigen Alkohol im Laden und verzog mich im Motelzimmer, wo ich Supernatural schaute und Fanfiktion schrieb und das Gefühl hatte, dass Dean da war. Auf mich aufpasste. Mit mir flirtete, mich nach Hause fuhr, mich mit seiner Lederjacke zudeckte und meine Hand hielt und mich panisch aus dem Wald trug. Und dann lag er neben mir und hielt mich, während ich mich weinend den Alpträumen ergab.
"Alles ok, Fräulein?", die alte Dame am Schalter sah mich skeptisch an.
"Sicher.", ich brachte ein Lächeln hervor, "Könnte ich meinen Schlüssel haben?"
"Aber, also, Fräulein.." Die Dame räusperte sich, hielt schon die Schlüssel in der Hand, aber wollte sie mir nicht geben, "Ich höre sie schreien."
Ich schluckte und atmete tief ein und aus.
"Verfolgt sie dieser Dean?", wollte sie besorgt wissen, "Ich kann ihnen helfen, ich kann die Polizei rufen, wenn sie wollen."
Ich schüttelte den Kopf. "Nein."
Sie sah mich bemitleidend an.
"Geben sie mir die Schlüssel.", forderte ich nun. Sie presste die Lippen aufeinander und gab sie mir eindeutig widerwillig. Mit einem Gefühl, eine Hülle in den Fahrstuhl zu bewegen und mit der Angst, einfach durch den Boden hindurch zu fallen, ging ich zu meinem Zimmer. Ein leichtes Lächeln kam dann doch auf meine Lippen, bei dem Gedanken, gleich Dean wieder zu sehen. Oh- mein Dean. Ich stieg aus dem Fahrstuhl.
"Dean..", murmelte ich, während ich mit den Schlüsseln in meiner Hand spielte. Ich wiederholte den Namen immer und immer wieder. Vielleicht funktionierte es ja noch ein mal.
"Dean. Dean Winchester.." Ich gluckste. Ich stellte mir vor, wie es wäre. Wie es wäre, wenn er es tatsächlich wäre. Ein Traum würde Wirklichkeit.
"Sam.."
Ich blieb stehen und mein Blick sauste hoch. Dumpf fielen die Schlüssel auf den blassblauen Teppich. Dean lehnte in Lederjacke und Jeans an meiner Moteltür und lächelte mich an. Sofort rannen die Tränen über meine Wangen und ich schüttelte den Kopf.
"Du siehst scheiße aus.", sagte er neckisch. Mein Herz rutschte mir in die Hose und ich trat einen Schritt zurück. Und noch einen.
"Du bist nur eine Halluzination.", brachte ich hervor. Er runzelte verwirrt die Stirn.
"Eine wirklich sehr, sehr real wirkende Halluzination.", brabbelte ich mir selbst zu. Ich lief immer weiter zurück. Ein Knoten bildete sich in meinem Bauch und ich hatte das starke Bedürfnis, davon zu rennen.
"Ich muss dir was sagen.", sagte er und kam mir hinterher. Hob den Schlüssel auf. Was- eine Halluzination hob keine Schlüssel auf!
"Samantha.", sagte er verwirrt. Ich schüttelte den Kopf, drehte mich um und rannte los. Aber er kam mir hinterher und er war schneller. Noch bevor ich den Fahrstuhl erreichte, packte er mich. Schlang seine Arme um meinen Leib und hob mich hoch. Oh Gott. Ich wehrte mich! Aber es nützte nichts. Er trug mich in mein Zimmer und schloss zu. Mit einem Ruck lag ich auf dem Bett. Schmunzelnd betrachtete er die Chipstüten, aber als seine Augen zu dem Haufen leerer Weinflaschen in der Ecke fuhr, schoss Sorge in seine grünen Augen. Ich starrte ihn einfach nur an. Als hätte ich nach Jahren in der Wüste eine Fatamorgana entdeckt.
"Du kannst nicht einfach abhauen.", begann er lauthals, "Weißt du, wie gefährlich das ist?"
Er stellte sich vor mich. "Legst du es drauf an, ermordet zu werden?!", brüllte er und ich zuckte zusammen.
"Wa-was?"
"Ich hätte ihn beinahe gehabt!" Er fuhr sich durch die Haare, "Dieser Typ ist schnell."
"Wovon redest du.." Ich schluckte.
"Was glaubst du, warum der Waldmann euch keine Probleme gemacht hat?"
"Du hast ihn fern gehalten?"
"Natürlich!" Er sah mich eine Weile an, bis er meinem Blick auswich und wütend die Lippen aufeinander presste.
"Als du abgehauen bist, habe ich ihn aus den Augen verloren."
"Er ist da draußen?!"
"Natürlich, verdammt!", rief er außer sich, "Und er will dich töten!"
Ich blinzelte und sackte in mich zusammen. Wich seinem Blick aus und starrte auf den Boden.  
"Warum passiert das alles..", murmelte ich und mein Blick verschwamm erneut. Hastig schluckte ich und strich über meine Augen. Ich war es satt, ständig zu heulen.
"Ich wollte dir sagen, dass du nicht allein herum laufen kannst."
Ich sah wieder auf und sah in das Grün.
"Ich kann nicht zurück zu Maria und Lukas."
"Ich bleibe bei dir.", sagte er selbstverständlich.
Das alles ging zu schnell. Viel zu schnell. Das alles war viel zu viel! Unfähig, meine Gefühle zu ordnen, stand ich auf, peilte das Bad an und schaffte es gerade noch über die Toilettenschüssel. Ich übergab mich und er hielt meine Haare zurück, strich mit seiner warmen Hand über meinen schaudernden Rücken. Und ich hatte das Gefühl keine Luft zu bekommen. Zu ersticken. 


Einfach nur perfekt. Es war sowas von absolut perfekt! Ich war von einem Haushalt, in dem alle ihren Verstand an die Paranoia abgaben in einen anderen geflüchtet, in dem unter dem Mantel des Schweigens Stürme und Tsunamis an Informationen und Gefühlen tobten. Ich hatte es wirklich drauf.
"Du brauchst andere Sachen.", sagte er, als er in meine Tasche sah. Ich war noch ganz benommen davon, mich übergeben zu haben und der Überraschung das der, nach dem ich schrie, da war. Es spielte für mich gar keine Rolle, dass er meine Intimsphäre missachtete.
"Wenn man nie die Chance hat, auszubrechen, bleibt man der, der man ist.", murmelte ich lahm.
Dean richtete sich auf und sah mich verständnislos an. "Was?!"
"Ich hatte keine Chance, erwachsen zu werden. Blümchen und Pünktchen, Rüschen. Es schreit förmlich nach Jungfräulichkeit, ich weiß."
Er zog eine Augenbraue hoch und schmunzelte. "Du bist Jungfrau?"
Sofort schoss mir das Blut in den Kopf und ich verkroch mich unter die Decke.
"Deine Sachen sind sehr hell und auffällig.", erklärte er und ich hörte das Schmunzeln noch immer in seiner Stimme, "Nicht das, was alle tragen."
"Willst du mit mir shoppen gehen, oder was?", brummte ich durch die Decke hinweg. Schritte kamen auf mich zu und kurz darauf befand sich meine Nase nur Zentimeter vor Deans.
"Du gehst nirgendwohin."
Ich rutschte zurück und ignorierte das Verlangen ihn zu küssen. Krampfhaft versuchte ich, nicht ständig auf seine Lippen zu starren. Ich hätte ihm gern so einiges an den Kopf geworfen und so einige Fragen gestellt, stattdessen brachte ich kein Wort heraus.
"Falls du überhaupt noch irgendwo hingehst, ziehst du einfach ein Hemd von mir an."
What the Fuck. Ich schrie innerlich auf und betete, dass das alles wieder irgendein abgefahrener Traum war. Dass Dean sich gleich einen Mantel und eine Skimaske anzog und meinen Magen durchlöcherte. Er sollte einfach verschwinden, verdammt noch Mal. Sie alle sollten einfach verschwinden! Mit Einsamkeit konnte ich besser umgehen, als mit diesen Fragezeichen!
"Alles ok?", fragte er und schmunzelte wieder. Oh- er wusste ganz genau, was er tat. Ich öffnete meinen Mund, aber die Worte kamen immer noch nicht über meine Lippen. Also hob ich einen Zeigefinger und machte kreisende Bewegungen neben meiner Schläfe. Er gluckste und verschwand im Bad. Wasser rauschte und ich fiel schnaufend zurück in die Matratze. Dean Smith war genauso ein heißer Arsch, wie Dean Winchester. Und ich machte mir noch nicht Mal selbst Vorwürfe, dass ich die schwammige Grenze ganz einfach übersah. Warum auch? Warum krampfhaft einen Dean Smith am Leben halten, wenn ein Winchester genauso bescheuert war? Beide brachten mich um den Verstand. Und ich entschied in dem Moment, als ein Mann, nur mit einem Handtuch bedeckt und mit glänzenden Wasserperlen auf den Muskeln in meinem Zimmer auftauchte, dass ich mich freiwillig davon verabschieden würde. 



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