Das Helfersyndrom und seine Folgen

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Schon als ich die Eingangshalle betrat, durchzuckten mich die ersten Geistesblitze, da sie noch genauso aussah wie damals. Hier hatte ich mich so oft mit Fucking Bat getroffen. Er hatte mich immer in den kleinen Seitenalkoven dort vorne unter der Treppe gezogen und mir den einen oder anderen leidenschaftlichen Kuss gegeben. Schräg rechts hinter mir war die Tür, die in die Kerker führte, doch die würde ich meiden, wenn es irgendwie nötig war. Ich markierte sie im Geiste mit einem großen roten X. Und da vorne waren die gewaltigen Flügeltüren, die in die Große Halle führten. Dort war ich hindurch geschritten, als ich doch noch zum Weihnachtsball gegangen war und hatte die Fledermaus und Lilly auf der Tanzfläche ausgemacht. Vielleicht hätte ich es damals schon wissen müssen, dass da immer noch mehr zwischen den beiden lief. 
Nicht daran denken, Mimi. Hör bloß auf damit. Du tust Dir nur weiter weh. Dein Herz ist doch quasi schon aus Stein. Wenn Du jetzt noch weiter machst, dann wirst Du nie offen sein für eine neue Beziehung. Das hier ist lange her und es wird Zeit, dass Du die Vergangenheit endlich hinter Dir lässt und an Deine Zukunft mit Cole denkst. 
Weil ich wusste, dass meine innere Stimme wieder einmal Recht hatte (Die war wirklich noch viel schlimmer als ich, was das anging), schüttelte ich leicht den Kopf um diese blöden Erinnerungsfetzen los zu werden und machte mich dann auf den Weg zu Professor McGonagalls Klassenzimmer. Ich stieg die breite Marmortreppe bis in den dritten Stock hinauf und ging dann automatisch nach links. 
Und was soll ich sagen? Ich fand das Klassenzimmer auf Anhieb. Es war so, als wäre ich gestern erst hier gewesen. Die Wege durch dieses verwinkelte Schloss hatten sich anscheinend in mein Gehirn gebrannt. Ich erlaubte meinem Gehirn eine kurze Erinnerung, aber sie hatte Gott sei Dank nichts mit der blöden Fledermaus zu tun, sondern mit Sirius. Er hatte mich zum ersten Mal hier her gebracht. Damals hatte er mich noch immer „Frenchy girl“ genannt und ich hatte es gehasst. Oh Gott, damals hatte ich noch gefunden, dass Sirius echt gut aussah und ich war total nervös gewesen, als er mir den Weg zum Verwandlungsklassenzimmer gezeigt hatte. Aber am Ende war doch alles anders gekommen. Wenn ich keine Nachhilfe bei diesem elenden Mistkerl hätte nehmen müssen, dann wäre ich vielleicht...
Mimi, das ganze Hätte-Wäre-Wenn bringt Dir jetzt überhaupt nichts. Es ist so gekommen und Schluss. Ende der Diskussion. 
Als ich die breite Tür, die ins Verwandlungszimmer führte, erreichte, hörte ich bereits McGonagalls vertraute Stimme von innen. 
„Das ist doch wirklich nicht so schwer, MacBrian. Sie müssen einfach nur mit dem Zauberstab zustechen und nicht so ein Wischi-Waschi-Zeug veranstalten, wie Sie das gerade tun. Ah, ich frage mich, wie sie so ihren ZAG schaffen wollen?“
Ich musste grinsen. Genau diesen Spruch hatte McGonagall zu meiner Zeit zu Lucy Finster gesagt. Sie war wohl immer noch die gleiche wie früher. 
Ich hob meine Hand und klopfte an die Tür. 
„Herein“, bellte McGonagall von drinnen. 
Ich öffnete die Tür und trat ein. Auch hier hatte sich rein gar nichts verändert. Die Wände, die Decke und Co waren immer noch aus massivem Stein, die Tische immer noch als Vierertische aufgestellt und McGonagall stand vorne an ihrem gewaltigen Pult und beobachtete ihre Schüler. Sie gehörte einfach zur Einrichtung. 
Sie hatte sich auch nur ein klein wenig verändert. Ihre einst schwarzen Haare waren nun grauer als vor achtzehn Jahren und ihr Gesicht zierten einige Falten. Aber ihre Lippen waren immer noch genauso dünn wie eh und je, wenn ihr etwas nicht passte. 
„Ja bitte“, meinte sie bissig und zog ihre rechte Augenbraue fragend nach oben. Ganz der alte Giftzahn, wenn man ihren Unterricht störte. 
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie bei Ihrem Unterricht störe, Professor McGonagall“, erwiderte ich und kam mir dabei wieder vor wie die sechzehnjährige Schülerin von damals, „aber ich sollte mich bei Ihnen melden. Das hat zumindest Hagrid gesagt.“
„Aha und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“
Die Schüler sahen mich verwundert an, dass ich bei diesem bösen Blick, den mir McGonagall zuwarf, nicht sofort die Flucht ergriff. Aber wieso sollte ich auch? Immerhin war ich jetzt selbst Lehrerin und ich brauchte mir von ihr keine Angst einjagen lassen. Immerhin konnte sie mich ja schlecht bestrafen. 
„Marie Duchesse, Professor. Stellvertretende Schulleiterin der Beauxbatons-Akademie und ehemalige Schülerin Ihres Hauses, auch wenn es nur ein paar Monate gewesen sind. Aber immerhin.“
„Miss Duchesse“, rief sie fragend, aber auch überrascht aus. „Ja, natürlich, jetzt, wo sie es sagen, da erinnere ich mich selbstverständlich. Meine Güte, Sie haben sich ja fast überhaupt nicht verändert und das, obwohl so eine lange Zeit vergangen ist. Warten Sie, ich bringe Sie sofort in Ihr Zimmer. Da hat es nämlich ein kleines Problem gegeben, aber das erkläre ich Ihnen unterwegs.“
Dann wandte sie sich an Ihre Schüler. 
„Ihr übt unterdessen weiter. Wenn ich wieder komme, dann möchte ich, dass jeder dieses vermaledeite Kissen in ein Huhn verwandeln kann. Und keine Dummheiten, habe ich mich klar ausgedrückt. Wenn auch nur einer von euch irgendeinen Mist anstellt, dann bekommt die ganze Klasse Nachsitzen aufgebrummt, verstanden?“
Ui, wenn das mal keine Ansage war, dann wusste ich auch nicht. 
„Ja, Professor McGonagall“, sangen die Schüler im Chor. 
„Gut“, meinte meine ehemalige Lehrerin und kam den Mittelgang zu mir herunter gelaufen. „Dann lassen Sie uns mal gehen, Miss Duchesse.“
Oje, das klang wie in alten Zeiten. Schon zum zweiten Mal kam ich mir in ihrer Gegenwart wieder wie das sechzehnjährige Mädchen von damals vor. Daran sollte sich dringend etwas ändern, immerhin war ich nun selbst Lehrerin und stellvertretende Schulleiterin, so wie sie. Oh Gott, McGonagall und ich schienen mehr gemeinsam zu haben, als mir lieb war. Am Ende würde ich auch noch eine vertrocknete, alte Jungfer mit hängenden Mundwinkeln und dünnen Lippen werden. Vielen Dank, aber ich verzichte.
Gemeinsam verließen wir das Klassenzimmer und machten uns auf den Weg in Richtung Treppe. 
„So“, meinte McGonagall und schaute mich an, während mein Koffer immer noch hinter mir her flog. „Wie ich hörte, sind Sie jetzt selbst Lehrerin auf meinem Fachgebiet.“
„Ja, das stimmt, aber ich gebe auch noch Alte Runen“, antwortete ich ihr. „In Beauxbatons ist es so, dass ein Professor auch zwei Unterrichtsfächer geben kann, da bei uns ein chronischer Lehrermangel herrscht. Und da ich beide Fächer gerne mochte, hat sich das irgendwie angeboten.“
„Ich habe mir schon damals gedacht, dass Sie perfekt für eine Laufbahn als Lehrerin geeignet wären. Sie sind so offen, aber es steckt doch etwas Autoritäres in Ihnen. Und Sie können sich durchsetzen. Aber was rede ich denn da? Sie sind doch jetzt eine Kollegin.“
„Ja, und?“ Ich verstand wieder einmal nur Bahnhof. 
„Kollegen duzen sich. So war es schon immer. Außerdem finde ich es komisch, Dich (Oh Gott, klang das ungewohnt)immer noch 'Miss Duchesse' zu nennen. Da kommst Du mir vor wie meine Schülerin und das bist Du ja jetzt nicht mehr. Ich bin Minerva.“
Sie blieb kurz stehen und streckte mir ihre Hand entgegen. 
„Marie“, gab ich zurück und ergriff sie. 
McGonagalls (Ich konnte einfach nicht aufhören, sie so zu nennen) Händedruck war kräftig und nicht so ein Wischi-Waschi-Zeug. Das mochte ich. Anhand der Art, wie ein anderer Mensch Deine Hand schüttelt, kannst Du erkennen, was für ein Typ er oder sie ist. So auf die Art: Mehr Mann oder mehr Maus. 
„Minerva (AAAH), wieso muss ich jetzt eigentlich im Schloss schlafen“, wollte ich von ihr wissen. „Ich dachte, die französische Delegation schläft in der Kutsche. So ist es bisher zumindest immer gewesen.“
„Oh, das tut sie auch, Marie, aber da Dein Kommen nicht wirklich eingeplant war, gibt es dort anscheinend ein Bett zu wenig. Gerade auch, weil dieses kleine Mädchen mit dabei ist.“
„Du (Echt strange) meinst Gabriele? Sie ist die Schwester unseres Champions. Sie wollte sie unbedingt mit hierher nehmen. Ich war ja dagegen, aber Olympe wollte Fleur wieder einmal ihren Willen lassen.“
Und genau deswegen und wegen Miss Ich-bin-ja-ach-so-toll-und-gut-aussehend musste ich jetzt hier im Schloss schlafen und sie und ihre Schwester nächtigten bei den anderen. Irgendwie kam ich mir deswegen ausgeschlossen vor. Aber was soll's. Vielleicht hatte ich ja ein Bad für mich alleine, dann konnte ich mit dem Finger auf sie zeigen und laut „Ha ha“ rufen. In der Kutsche gab es nämlich nur drei Badezimmer. 
Richtig so, Mimi, immer in allem das Positive sehen und sich nicht herunter ziehen lassen. Genauso hast Du es von Deinen Eltern gelernt und nicht anders. 
„Ich finde ja, man sollte alle Schüler gleich behandeln“, riss mich Minerva aus meinen Gedanken, „aber leider gibt es immer wieder Lehrer, die ihre Lieblinge haben und diese bevorzugen. Hier haben wir auch einen Kandidaten, der genauso ist. Erst gestern musste ich ihm wieder einmal den Kopf waschen, weil er eine Schülerin aus meinem Haus mit dem Zauberstab bedroht hat.“
„Wow, das ist ja krass.“
„Das kannst Du laut sagen. Aber zusammen mit Professor Dumbledore konnten wir die Sache wieder bereinigen. Oh, aber bevor ich es vergesse: Turm oder Kerker?“
Wie, was, wo, hä? Ich verstand absolut nichts. 
„Ähm“, machte ich daher nur und sah McGonagall verwirrt an. 
„Oh, entschuldige, ich meine natürlich Deine Räumlichkeiten. Wir haben ein freies Gemach in den Kerkern in der Nähe des Zaubertrankklassenzimmers und eines im Astronomieturm. Du kannst es Dir aussuchen.“
„Turm, bitte.“
Keine zehn Pferde hätten mich in die Kerker gebracht. Eher hätte ich draußen im Verbotenen Wals geschlafen, als auch nur in die Nähe ebenjenes Klassenzimmers zu kommen. 
„Dachte ich es mir doch“, entgegnete Minerva und lächelte mich an. „Deswegen habe ich es Dir gleich herrichten lassen, aber ich wollte Dich vorher doch lieber noch fragen.“
„Wegen mir hättest Du keinen so großen Aufstand machen müssen. Ich hätte es mir auch selbst gemütlich gemacht.“
„Ja schon, aber Du solltest ja einen guten Eindruck auf die Schule bekommen. Olympe kam nur heute Morgen zu mir und hat mir erklärt, dass ihre Stellvertreterin nun doch hierher kommt. Ich konnte ja nicht wissen, dass das Du bist. Olympe hält sich über Beauxbatons ziemlich bedeckt.“
„Kann ich mir vorstellen.“ 
So war Olympe. Ja keine Geheimnisse über unsere ach so tolle Schule ausplaudern. Nicht, dass es noch irgendwelche Nachahmer oder – schlimmer – irgendwelche Besucher geben würde. Nein, nein, nein, wo kommen wir denn da hin?
Gemeinsam mit Minerva stieg ich die Treppe nach oben und war etwa zehn Minuten später in meinem neuen Reich, dass die nächsten Monate mir gehören würde. Ich hatte ein Büro, in dem ein großer massiver Schreibtisch und große Bücherregale standen, ein Schlafzimmer mit einem großen Bett, einem Wandschrank, einem Nachtkästchen und einem Schminktisch sowie ein kleines Badezimmer in der Standardausrüstung (weiße Fliesen, Badewanne, Dusche, Toilette, Waschbecken). Alles kreisrund, versteht sich. Die vorherrschenden Farben waren dunkelbraun (wegen dem vielen Holz) und creme. Es war zwar eher funktionell als elegant, aber für die kurze Zeit würde es auf jeden Fall reichen. Mit hätte auch das Bad und das Schlafzimmer gereicht, aber ein eigenes Büro war schließlich nie schlecht, falls ich doch einmal irgendwelche Arbeiten korrigieren musste. Ich hatte nämlich vor, meine Schüler hier zu unterrichten, sodass sie nicht nur auf der faulen Haut lagen. Meine Fächer sowie Verteidigung gegen die Dunklen Künste, Zauberkunst, Muggelkunde und Astronomie konnte ich übernehmen, auf den Rest mussten sie verzichten. Aber besser das als gar nichts, würde ich einmal sagen. Auch wenn das meinen Schützlingen wahrscheinlich gar nicht passen wird, aber das war mir egal. 
„Hast Du alles, was Du brauchst“, wollte Minerva von mir wissen. 
„Ja, klar, vielen Dank, das ist super und reicht vollkommen“, antwortete ich mit einem Lächeln auf den Lippen. 
„Gut, dann gehe ich jetzt wieder zurück und schaue mal nach, ob mein Klassenzimmer noch steht. In ungefähr drei Stunden gibt es Abendessen. Da sehen wir uns ja dann.“
„Bestimmt. Ich werde jetzt erst einmal meine Sachen auspacken und mich dann auf den Weg zur Beauxbatons-Kutsche machen. Mal sehen, ob meine Schüler mich vermisst haben oder nicht.“
„Na, so lange waren sie ja auch nicht von Dir getrennt.“
„Ja, das schon, aber ein Tag mit Olympe kann ziemlich lang sein.“
Minerva sah mich zuerst verwirrt an und brach dann in Lachen aus. So hatte ich sie erst einmal gesehen. Das war an dem Tag gewesen, an dem ein überraschender Striptease in ihrem Klassenzimmer stattgefunden hatte. Aber daran wollte ich jetzt nicht schon wieder denken. 
„Das kann ich mir durchaus vorstellen“, meinte Minerva und grinste immer noch. „Also gut, dann sehen wir uns später, ja? Bis dann, Marie!“
„Bis später, Minerva.“
Gott, war das ungewohnt und komisch. Ich glaube, daran werde ich mich NIE gewöhnen. Auch bei Olympe hatte es Jahre gedauert, bis ich sie mit einem guten Gefühl duzen konnte, aber bei Minerva war das irgendwie noch einmal etwas anderes. Sie war einfach nicht der Typ, zu dem man einfach DU sagte. Vor allem bei ihrem strengen Blick nicht. Aber gut, sie hatte es mir angeboten, also würde ich es auch machen. 
Ich sah dabei zu, wie Minerva das Zimmer verließ und ich allein zurück blieb. 
So, jetzt war ich also wieder hier, an diesem grauenvollen Ort. Stellte sich mir nur eine Frage: Wie würde mein Aufenthalt hier werden? 

Bat in my heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt