Der schwerwiegende Fehler des Zaubertrankprofessors

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Ich wartete nicht lange und fragte mich auch nicht, was ich tun sollte. Ich drehte mich sofort auf der Stelle und apparierte vor das schmiedeeiserne Tor, das die Grenze zum Schulgelände von Hogwarts darstellte. Etwa zweihundert Meter vor mir sah ich eine dunkle Gestalt, die mit wehendem Umhang auf das Schloss zu rannte.
„Severus, bitte warte“, rief ich meinem Liebsten hinterher und lief los.
Ich wusste, dass ich ihn nicht einholen würde, doch trotzdem gab ich nicht auf. Ich musste diese Sache mit ihm klären, ob er wollte oder nicht. Aber er musste die Wahrheit erfahren, musste wissen, warum ich so gehandelt, ihn angelogen hatte. Ich hatte doch nicht meinen besten Freund – und das war Sirius für mich – ans Messer liefern und den Auroren übergeben können, um dann dabei zuzusehen, wie man ihn zurück ins Gefängnis schleifte. Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich das zugelassen hätte? Ich glaube, ich hätte mir selbst nie mehr ins Gesicht sehen können, wenn ich das getan hätte.
Und genau so musste ich es Severus erklären, auch wenn ich mir jetzt schon sicher war, dass er mich nicht verstehen würde. Dafür saß sein Hass gegen Sirius einfach zu tief, aber ich musste irgendetwas tun. Ich wollte ihn immerhin nicht verlieren, doch ich wusste selbst, dass unsere Beziehung gerade auf Messers Schneide stand. Severus war fuchsteufelswild, doch ich war bereit, mich seinem Zorn zu stellen. Auch wenn er mich anbrüllte... Ich war gerne bereit, das in Kauf zu nehmen, wenn wir nur zusammen bleiben konnten.
„SEVERUS“, schrie ich noch einmal.
Doch es war sinnlos. Ich war mir sicher, dass er mich hören konnte – mein Organ überhört man nicht so schnell – aber er blieb einfach nicht stehen. Wahrscheinlich wollte er nicht mit mir sprechen, sondern einfach nur seine Ruhe haben. Ich konnte ihn sogar verstehen. Ich, seine Freundin, hatte ihn die ganze Zeit belogen und jetzt auch noch seinen Erzfeind gedeckt und beschützt. Mir hätte das mit Sicherheit auch nicht gefallen. Aber ob er wollte oder nicht, wir würden diese Sache jetzt klären.
Deswegen beschleunigte ich noch einmal das Tempo, auch wenn mich das kein Stückchen näher an meinen Liebsten heran brachte. Er erreichte soeben das Schlossportal und schritt hindurch ohne sich einmal nach mir umzudrehen. Na toll, vielen Dank auch. Da renne ich Dir schon hinterher und schreie mir die Lunge aus dem Leib und Du hältst es nicht einmal für notwendig...
Doch meine Gedanken hielten sofort inne, als meine innere Stimme anfing zu sprechen. Jetzt endlich kannst Du ihn verstehen! 
Hatte ich das nicht selbst schon oft genug gemacht? War ich nicht selbst schon oft genug vor Severus davon gelaufen und er war mir hinterher gerannt? Es war kein angenehmes Gefühl, das musste ich zugeben, aber... Er hatte mir auch nie eine Wahl gelassen. Ich war immer nur in Situationen davon gerannt, in denen es keinen Ausweg gegeben hatte. Zum Beispiel als er mich im Wald vor seinen Freunden gerettet, aber gleichzeitig über mich abgezogen hatte. Den Satz „Die würde ich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen“ oder so ähnlich würde ich nie vergessen. Damals war ich davon gerannt, ja, aber nur, weil ich seine Erklärungen diesbezüglich nicht hätte anhören können, ohne selbst verletzt zu werden.
Diese Situation hier war ganz anders. Diese hier konnte geklärt werden. Es hatte Severus ja nicht persönlich betroffen. Ich hatte lediglich meinen besten Freund... ihm vorgezogen. Scheiße, ich war doch ein Schaf. Natürlich musste Severus sauer auf mich sein. Ich hatte ihn nicht nur belogen, sondern mich auch noch gegen ihn gestellt. Aber wir mussten diese Sache trotzdem klären, wenn wir weiterhin zusammen bleiben wollten. Und das wollte ich mehr als alles andere auf der Welt.
Ich erreichte die Stufen, die zum Portal nach oben führten und rannte sie hinauf. Natürlich schaffte ich es auch dieses Mal wieder zu stolpern und der Länge nach auf die Fresse zu fallen. Das war ja so was von klar gewesen und das obwohl ich flache Schuhe trug. Wenn ich es einmal eilig hatte... Ich rammte mir die Kante einer Stufe genau in den Brustkorb und ein stechender Schmerz schoss durch meine Rippen. Mir blieb fast die Luft weg, doch ich hatte jetzt keine Zeit, einen auf Mimose zu machen. Ich musste zu Severus, bevor der noch irgendeinen Blödsinn anstellte. Ich rappelte mich auf, achtete nicht auf den Schmerz, den mir das Atmen bereitete und lief weiter. Langsamer jetzt, um nicht noch einmal zu stürzen. Dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit.
Ohne weitere Unfälle erreichte ich die Eingangshalle und wandte mich nach rechts, um zur Tür zu gelangen, die in die Kerker führte. Ich blieb kurz stehen um zu lauschen, ob ich auch den richtigen Weg einschlug. Und tatsächlich konnte ich Severus' Schritte in den steinernen Fluren der Kerker ausmachen. Er lief ziemlich schnell und allein an dem Klang, wie er die Fersen in den Boden rammte, konnte ich erkennen, dass er stocksauer war. Oh oh, das würde nicht leicht werden, aber ich hatte keine andere Wahl.
Diese Gedanken gingen innerhalb einer Sekunde durch meinen Kopf und ich lief schon weiter, bevor ich mich überhaupt richtig dazu entschlossen hatte. Ich sprintete durch die Tür, hastete die Treppe nach unten und rannte die Gänge entlang. In meiner Brust stach es wie verrückt, aber ich ignorierte die Schmerzen. Darum konnte ich mich später auch noch kümmern, wenn ich die Sache mit Sev bereinigt hatte. Das war jetzt wesentlich wichtiger als eine angeknackste Rippe.
Da hörte ich vor mir eine Tür zuschlagen und ich wusste, dass Severus sich in seinem Schlafzimmer verbarrikadiert hatte. Sehr schön, dort hatte ich wenigstens eine Chance, ihn herum zu kriegen. Glaubte ich zumindest, auch wenn ich mir nicht ganz sicher war. Wenn mein Liebster in so einer Verfassung war, dann war er unberechenbar. Ich konnte dann nie so wirklich sagen, wie er reagieren würde. Vielleicht würde er nachgeben, vielleicht aber auch nicht. Ich musste nur vorsichtig sein und durfte ihm keine großartigen Vorwürfe machen. 
Ich erreichte die Schlafzimmertür und es fiel mir mittlerweile schwer, richtig zu atmen, da der Schmerz einfach nicht nachlassen wollte. So ein Mist aber auch. Gut, wenn das hier erledigt ist, dann werde ich nach oben in den Krankenflügel gehen und nachsehen lassen, was da nicht passt. Nicht, dass ich mir doch eine Rippe gebrochen hatte oder so. Bei Mimi weiß man das nie so genau...
Ich hob meine Hand, die ich zur Faust geballt hatte, und klopfte kräftig an die Tür. Ich wartete kurz, doch drinnen rührte sich nichts, auch wenn ich Severus deutlich mit einem Glas herum hantieren hörte. Na klar, kaum gab es ein Problem, da saufte er auch schon wieder. Das war so typisch und eine Eigenschaft von ihm, die ich gar nicht leiden konnte.
Ich klopfte noch einmal, aber wieder erfolgte keine Reaktion. Ich versuchte nun, selbst die Tür zu öffnen, doch die Türklinke gab nicht nach. Er hatte sich doch tatsächlich eingesperrt.
„Severus, bitte mach auf“, rief ich und schlug nun kräftiger gegen das Holz.
Er sagte immer noch nichts, doch ich konnte hören, wie er kräftig seufzte. Wahrscheinlich hatte er gerade einen tiefen Schluck aus seinem Whiskyglas genommen und versuchte zwanghaft, mich zu ignorieren.
„SEVERUS!“
Wenn etwas nicht zu meinen Stärken gehörte, dann war es geduldig zu sein. Ich hasste es, wenn man mich warten ließ. Deswegen war ich selbst auch immer extrem pünktlich. Gut, Ausnahmen gab es immer wieder. Doch jetzt stand ich hier vor einer Tür in den Kerkern und kam mir vor wie der letzte Depp.
„Severus Snape, Du sturer Esel“, schrie ich jetzt schon fast. „Mach jetzt endlich diese verfickte Tür auf.“
„Nein“, kam es leise von drinnen, doch ich hörte es trotzdem.
„Wie nein? Severus, bitte, ich will doch nur mit Dir reden.“
„Nein!“
„Bitte!“
„Lass mich einfach in Ruhe, Marie!“
Oh oh, das klang gar nicht gut. So etwas hatte er doch noch nie gesagt. Er wollte doch eigentlich immer in meiner Nähe sein. Aber jetzt... Kommt ja überhaupt nicht in Frage. Ich lasse mich nicht einfach so abwimmeln. Darauf kann er lange warten. Ich würde nicht eher ruhen, bis die Sache geklärt war.
„Mach auf“, kreischte ich jetzt und schlug noch einmal gegen die Tür.
„Nein“, kam die erwartete Antwort. „Verschwinde einfach.“
Ich sollte verschwinden? Nie im Leben. Ich wollte ihn nicht verlieren.
„Severus Snape, Du öffnest sofort diese verdammte Tür, sonst...“
„Sonst was?“
„Sonst lässt Du mir keine andere Wahl als Gewalt anzuwenden.“
Es erfolgte keine Reaktion und ich wusste, dass er dort drinnen saß und mit sich selbst kämpfte. Einerseits wollte er seine Ruhe haben, aber andererseits wollte er mich auch nicht gehen lassen. Doch anscheinend überwog sein Zorn, denn jetzt war er es, der laut rief.
„VERSCHWINDE!“
Dieses eine Wort tat so weh, dass ich zurück taumelte. Ich konnte den Schmerz, den es in mir auslöste fast körperlich spüren, es riss mein Herz beinahe in zwei. Ich wagte noch einen allerletzten Versuch. Ich konnte einfach nicht aufgeben, weil ich ihn nicht verlieren wollte, doch ich sah mittlerweile selbst ein, dass es keinen Sinn hatte. Wenn Severus nicht mit mir reden, geschweige denn mich sehen wollte, dann musste ich wohl oder übel aufgeben.
„Bitte, Severus, ich flehe Dich an, lass mich rein. Ich möchte Dir doch nur alles erklären. Mehr verlange ich gar nicht. Bitte, lass mich Dir die Wahrheit sagen. Wenn Du dann immer noch nicht willst, dass ich bleibe, dann werde ich auch gehen. Das verspreche ich Dir, nur... Bitte!“
Es kam schon fast einem Betteln gleich – etwas, was ich hasste wie Hölle und Pest – aber ich sah keine andere Möglichkeit. Sicher hätte ich einfach die Tür in die Luft sprengen können, aber das wäre nicht richtig gewesen. So hätte ich meinen Liebsten erst recht zur Weißglut gebracht, weil ich seine Privatsphäre nicht respektierte und das wäre dann doch ziemlich kontraproduktiv gewesen. Gespannt wartete ich auf seine Antwort, die ich lange nicht bekam. Ich hörte nur Severus' stockenden Atem von drinnen. Dann seufzte er auf und ich dachte schon, ich hätte gewonnen, doch dann...
„Sieh es endlich ein, Mimi“, sagte er zuerst ziemlich beherrscht, doch jedes weitere Wort, das er sprach, kam schärfer heraus. „Ich WILL nicht mit Dir sprechen. Ich habe vorhin wahrlich genug gehört. Das war einfach zu viel des Guten. Deswegen... HAU ENDLICH AB!“
In diesem Moment zerriss mein Herz. Tränen stiegen mir in die Augen und liefen über. Ich musste den Kampf aufgeben, zumindest vorerst. Vielleicht, wenn er sicher wieder beruhigt hatte... Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte ich mich um und lief davon. Mein Brustkorb tat weh, doch das war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den ich verspürte, weil Severus mich abgewiesen hatte. Ich konnte und durfte ihn nicht verloren haben. Nicht wegen einer solchen Kleinigkeit, nicht deswegen, weil ich mich für das richtige entschieden hatte. Bitte, bitte, bitte, lieber Gott oder wer auch immer, lass ihn nicht Schluss machen. Ich liebe ihn doch so sehr. Mehr als alles andere auf der Welt und ich werde wirklich alles tun, um ihn halten zu können.

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