Fire

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Ich schaffte es nicht mehr, ihn einzuholen. Sobald ich mich etwas beruhigt hatte, war ich ihm hinterher gelaufen, doch als ich die volle Hauptstraße betreten hatte, war weit und breit nichts mehr von ihm zu sehen. Ich stolperte durch die Straßen nach Hause. Meine Gedanken rasten und lenkten mich so sehr ab, das ich einmal beinahe vor eine Kutsche gelaufen war. Das Pferd kam erschrocken zum Stehen und machte Anstalten sich zu sträuben.

"Aus dem Weg da Mädchen, sonst wirst du Straßenbelag!", schrie der Kutschenfahrer mich an und spuckte neben mir auf die Straße während er an mir vorbei rauschte.

Mein Herz, eh schon am rasen, war nun wirklich kurz davor mir aus der Brust zu springen und ich brauchte wieder einen Moment um mich zu fangen. Aufgelöst wie ich war brauchte ich wesentlich länger nach Hause, als es normalerweise der Fall gewesen wäre, verlief mich mehrfach und rannte sogar einmal am Haus selbst vorbei. Als ich endlich ebenfalls zu Hause ankam, saß James auf dem Sofa, die Nase in einem Buch vergraben und strahlte komplette Ruhe und Zufriedenheit aus. Es wirkte als wäre nie etwas gewesen, als hätte er den ganzen Tag dort gesessen und gelesen, wie ein braver junger Mann seines Alters es wohl hätte tun sollen... was er ja genau genommen noch nie gewesen war, also verhielt er sich vielleicht doch ein wenig, seines Charakter entsprechend untypisch.

 Obwohl er mich eigentlich reinkommen hören hätte müssen, reagierte er nicht. Ich schnaubte. Es hatte wieder angefangen zu schneien und kalte Flocken hatten sich ihren Weg unter meine Kopfbedeckung in meinen Kragen gesucht. Dort waren sie nun schön am schmelzen und hinterließen eine kalte feuchte Spur auf meinen Rücken. Ich schauderte und schüttelte mich. Schnee, der sich in meinen Haaren festgesetzt hatte löste sich und umhüllte mich in einem kleinen Schauer. Mein Gezappel ließ James aufschauen. Ich begegnete seinem stechenden Blick und erwiderte ihn bockig.

"Du hast mich stehen lassen!", fauchte ich ihn an.

Er zuckte nur die Schultern und wandte sich dann wieder nonchalant seinem Buch zu. "Lektion Nummer zwei: Männer sind Schweine! Immerhin bist du zuvor auf deine Kosten gekommen"

Ich spürte das Blut in mein Gesicht schießen und rot anlaufen. Ob vor Wut oder Scham war nicht ganz klar. Eine Mischung aus beidem vermutlich. Warum auch entscheiden. James verhielt sich wie ein Idiot, also durfte ich ruhig wütend sein. Andererseits hatte er recht. Ich war auf meine Kosten gekommen . My oh my.
Und ich hatte ihn ja auch mehr oder weniger dazu ermutigt mich zu küssen. Denk ich. Das alles war einfach komplett unerwartet aus dem Rude gelaufen. Doch es war jetzt vorbei. Dennoch kribbelten meine Lippen bei der bloßen Erinnerung.
Gott ich war so verwirrt.

Er war mein Bruder. Wir teilten das gleiche Blut. Ich hatte ihn zwar erst kennen gelernt als er schon 18 Jahre alt war, nachdem seine Mutter gestorben war, doch das konnte keine Rechtfertigung sein. Auch nicht die Tatsache, dass er die meiste Zeit davon unterwegs gewesen war und Aufträge der East India Company erfüllt hatte. Oder das wir genau genommen vorher nichts von einander wussten oder nur über unseren Vater miteinander verwandt waren. Nein, das was wir getan hatten falsch Falsch. Was ich fühlte, was ich wollte und brauchte eine Sünde.

Ich war wirklich überfordert mit der ganzen Situation. Außerdem tat mir der Kopf weh und mir war kalt. Sehr kalt. Immerhin war ich länger draußen herum gestreunt als angedacht und meine Sachen war klamm und schwer vom Regen. Schnell sah ich zu das ich aus meinem dicken Mantel kam und schon vernahm ich etwas von der Wärme im Haus. Herrlich. James hatte sich offensichtlich im Wohnzimmer den Kamin angemacht.

Eigentlich wäre ich lieber in mein Zimmer und damit der ganzen Situation aus dem Weg gegangen, doch die Wärme des Kamins rief mich wie das Licht die Motten.
Schnell schlüpfte ich aus meinen schweren Schuhe als auch nassen Socken und schnappte mir eine Decke vom Sessel sowie ein Gedichte-Sammelband aus dem Regal und krabbelte über den  harten Dielenfußboden näher an den Kamin.

James beobachtete mich scheinbar gleichgültig, doch ich beschloss ihn getrost zu ignorieren auch wenn mir sein folgender Blick einen wohligen Schauer in Form Gänsehaut über die Haut jagte. Ich rutschte so nah ans Feuer, wie es meine Haut zuließ und schaute den Flammen beim Tanzen zu bis meine Augen zu brennen begannen. Dann gähnte ich laut, breitete mich auf der Decke sitzend vor dem Kamin aus und schlug mein Buch auf. Das Knistern des Feuers spielte eine stetige Hintergrund Musik für mich, während die sanften Reime und Träume fremder Poeten mich langsam in den Schlaf wiegten.

Mein Herz hatte sich bis hier hin weitestgehend beruhigt, auch wenn ich ab und an noch meinte James Blick auf mir zu spüren, was sich jedes Mal als ein Kribbeln in meinem Nacken äußerte. Ich beschloss das Richtige zu tun und es zu ignorieren. Das würde schon vorbei gehen, richtig? Es war einfach nur ein merkwürdiger Tag. Merkwürdig und surreal. Vielleicht war ich ja gar nicht wach? Genau, ich würde morgen aufwachen, und alles würde sich nur als merkwürdiger, verwirrender Traum herausstellen und die Welt wäre wieder in Ordnung. Ich gähnte erneut, während die Wärme weiterhin auf mein Gesicht strahlte. Langsam aber sicher döste ich weg.

Where The Lightning StruckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt