Ruhe vor dem Sturm

987 47 4
                                    

Ich zitterte am ganzen Körper. Der Schock saß mir noch ein wenig in den Knochen und darüber hinaus war mir schlichtweg kalt. In meiner Eile hatte ich vergessen mir etwas überzuziehen und wie bereits festgestellt, diente mein Kleid auch jedem anderen Zweck, als zu wärmen.

Die Gruppe war in um die nächste Straßenecke verschwunden, sodass die sichtbare Anspannung aus James Schultern ein wenig abfiel. Betonung lag dabei auf "ein wenig".

Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass nicht mehr passiert war. James war nicht gerade dafür bekannt zimperlich mit anderen umzugehen. Bereits als Kind hatte ein ein starkes Temperament gehabt und sich gerne mit anderen Kindern geschlagen, was bei ihm jedoch als jungenhaftes Verhalten angetan wurde. Was ironisch war. Solange ich James kannte hätte ich ihn niemals als "jungenhaft" beschrieben, doch richtig kennen gelernt hatte ich ihn eigentlich auch nur als erwachsenen Mann, soweit man mit achtzehn Jahren erwachsen sein konnte. Er war schon immer anders, viel eher ernsthaft, bedacht und kalkulierend gewesen. Ein hübscher junger Junge mit einer alten zynischen Seele. 

Doch sie hatte gespannt den Geschichten gelauscht, die ihr Vater ihr erzählt hatte, oder mit denen Brace ihn aufgezogen hatte. Es schien als habe sich , anders als bei anderen Kindern, eben dieses Verhalten auch nicht verwachsen, sondern verfestigt. Er stellte sich zwar geschickter an und wusste kein großes Aufsehen mehr zu erregen, doch sein Wutpotenzial blieb bestehen. Es ging mittlerweile soweit, dass er sich und damit auch unserer Familie einen gewissen Ruf eingebracht hatte. 

Langsam drehte er sich wieder zu mir. Der Zorn, welcher zuvor auf die "Gentleman" gerichtet gewesen war, schien ein neues Ventil gebrauchen zu können. 

Also sah ich zu das ich in Bewegung kam. 

Bevor James sich komplett umgedreht hatte war ich bereits an ihm vorbeigerauscht und folgte dem Weg. Ich hatte zwar keine Ahnung wo ich hinwollte und eigentlich hätte ich wohl zurück ins Haus und mich umziehen und aufwärmen sollen, allerdings war ich nicht in der Stimmung, mir von James den Kopf abreißen zu lassen. Oder wieder ignoriert zu werden. Welche neuste Foltermethode er sich auch immer auszudenken vermochte. Es war eine nette Abwechslung zu sehen, dass es nun James war, der mir hinterher hechten musste, was mir wiederum die Oberhand in unserem Streit gab. Ein ernsthaftes Gespräch mit dem Sturkopf zu führen stellte sich komplizierter heraus als die Planung eines Kriegsangriffs. Es wollte kalkuliert sein. 

"Zilpha!" fauchte er. 

Ich gab mich unschuldig und drehte mich mit aufgesetzter Ruhe um.

"Ja?"

"Zurück!"

Ich blieb nicht stehen und stellte mich dumm.

"Wie bitte?"

Nun war seine Stimme ein Knurren, während er mit seinen langen Beinen an mir vorbei schritt und nun mir den Weg versperrte. 

"Ich sagte GEH ZURÜCK!"

Jetzt knurrte er. Um seine Aussage zu unterstreichen packte er meinen Arm und schob mich rückwärts in die Richtung unseres zu Hauses.Ich versuchte mich loszureißen, doch das festigte seinen Griff nur mehr. Auch das Versen in den Boden schlagen funktionierte nur bedingt.

"Lass mich los!"

Auch ich konnte ihn anknurren. Nur leider klang es lange nicht so eindrucksvoll. Das hörte nicht nur ich heraus. Selbst der wütende James musste über meinen kläglichen Versuch grinsen. Soweit er zu so einer Mimik im Stand war. Mein Stolz war zwar verletzt, aber sein Grinsen kochte mich wieder weich. Ich hasste ihn dafür. Hasste mich dafür. Er grinste viel zu selten. So selten, dass ich immer wieder überrascht war wie schön es ihn machte und wie sein ganzes Gesicht dabei zu leuchten schien. 

Mittlerweile waren wir beide stehen geblieben und starrten uns an. Halb wütend, halb amüsiert. Beide versucht, standhaft zu bleiben. Die bekannte Spannung baute sich wieder zwischen uns auf und ließ die Luft zwischen uns knistern. Und dann, unerwartet, prusteten wir beide los. Vielleicht spielte ein wenig Hysterie mit rein, doch zu lachen war eine willkommene Abwechslung um die furchtbare Anspannung zwischen und zu lösen.

 Die ganze Absurdität der Situation ließ das Lachen fast aus dem Ruder laufen und ich hatte vergessen wie ich mich stoppte. Auch James kämpfte um Luft und atmete tief ein. Ein Kontrollverlust war sehr untypisch für ihn. Während wir uns wieder beruhigten fuhr er sich immer wieder durch die Haare und schaute nach oben, hinter sich oder auf seine Füße. Nur mich nicht an. Ich wusste wieso. Hatte er so die Kontrolle über seine Gefühle verloren, würde es mir möglich sein, auch weitere Emotionen von seinem Gesicht abzulesen, bis er sich wieder im Griff hatte. Es war die reine Versuchung, doch schließlich folgte ich seinem Blick. 

Wir hatten Aufmerksamkeit erregt. Ein Paar lief an uns vorbei und beäugte und misstrauisch und abfallend. Der Blick des Mannes blieb an meinem Kleid hängen, ehe die Frau ihm wütend in die Seite stieß und über mein Auftreten mit der Zunge schnalzte. 

Peinlich berühert verschränkte ich die Arme vor der Brust. Auch wenn der Frühling bereits angebrochen war, hatten wir noch immer keine warmen Temperaturen und ich fror, sodass ich eine Gänsehaut hatte. Als ich dann auch noch mit den Zähnen zu klappern begann schaute James endlich in mein Gesicht und seufzte. Dann schälte er sich aus seinem Mantel und legte ihn mir über die Schultern. Sofort umschlossen mich Wärme und sein Duft und ich atmete erleichtert und tief ein. 

"Danke!"

Statt einer Antwort taxierte er mich. In seinen Augen, so sah ich, tobte ein Sturm. Er kämpfte mit sich. Also stand ich nur da und wartete geduldig, was als nächstes passieren würde. 

"Wie um alles in der Welt sind wir in dieser Situation hier gelandet?", fragte er dann unvermittelt. 

Nach dem kleinen hysterischen Anfall war ich am Ende meiner Kräfte. Also hob ich nur die Schulter und ließ sie dann wieder fallen. Auch seine Schultern fielen nach vorne und sämtliche Spannung in seiner Haltung war verschwunden. 

"Wir treffen uns in einer Stunde im Wald auf dem Weg zu Mühle. Der entwurzelte Baum..." 

"..wo wir als Kinder den Hasen gefunden hatten!" Beendete ich den Satz für ihn. Er zog die Nase kraus und strich sich mit der Hand übers Gesicht. Ein Versuch seinerseits die Anspannung loszuwerden. 

Wortlos gab ich ihm die Jacke zurück und nickte zustimmend. Dann drehte ich um und machte mich auf den Weg nach Hause um mich anständig anzuziehen.  Ich ging schnell, denn die Straße war lang und mir kalt. Doch selbst am Ende der Straße gute zwei Minuten später, konnte ich seinen Blick noch in meinem Rücken spüren.



Where The Lightning StruckWo Geschichten leben. Entdecke jetzt