Kapitel 26 - Von Hass und Freundschaft

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Der Hass wacht und
die Freundschaft schläft ein.
~ Antoine Houdart de La Motte~

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„Ich hasse dich."

Der Adler starrte sie geschockt an. Das konnte sie nicht gesagt haben, nein. Seine beste Freundin, seine Retterin. Auf keinen Fall hatte sie diese Worte benutzt. Er suchte ein Zeichen dafür, dass die Frau, die um ihn kreiste, gelogen hatte, doch er fand nichts. Ihre Augen waren leer und kalt, ihr Gesichtsausdruck starr, wie eingefroren. Ein unbeherrschtes Kreischen kam aus seiner Kehle, als sie sich wegdrehte und durch den Regen davonflog. Er blieb zurück. Auch wenn es ihm viel Mühe kostete, ihr nicht nachzufliegen. Sie hasste ihn. Doch warum? Das fragte er sich nun. Sie hatte ihm das Leben gerettet, war mit ihm geflogen und hatte mit ihm gelacht, ihm alles erzählt, sie konnte das nicht ernst meinen, doch warum sollte sie so etwas sagen? Seine Freundin. Wieder und wieder hallte im Kopf ihre Stimme nach. ›Ich hasse dich‹, hörte der Adler immer wieder, während er sich langsam hinab schraubte und im Wald landete. Sehnsüchtig sah er seiner ehemaligen Besitzerin nach. Er wollte nicht glauben, dass sie ihn wirklich hasste, doch er konnte ihr nicht mehr folgen. Er riss den Schnabel auf und kreischte einmal so laut er konnte, um seiner Trauer irgendwie Ausdruck zu verleihen.
Die Hitomi hörte den Ruf des Adlers noch, Tränen stiegen ihr in die Augen und rollten ihr über die Wangen. Auf der nächsten Lichtung landete sie und kniete sich auf den Boden. „Es tut mir leid, Kemono... bitte verzeih mir...", murmelte sie leise und sah auf den Boden. „Aber ich kann das nicht...", fügte sie noch leiser hinzu. Der Regen prasselte unentwegt auf sie nieder, tropfte von ihren langen Haaren, perlte an Ihren silbernen Flügeln ab und fiel zusammen mit ihren Tränen auf den schlammigen Boden. „Es tut mir leid...", wiederholte sie, während sie sich die Tränen wegwischte. Wieder hörte sie das Kreischen ihres Adlers, es hörte sich so verloren und einsam an, dabei waren Adler Einzelgänger. Er musste ohne sie leben können, das war klar, doch weder für ihn noch für Asai war es leicht, den jeweils anderen zu verlassen. Und dennoch war es richtig. Ein leises Schluchzen kam von ihr. Sie bewegte sich kein Stück, ihre riesigen Flügel waren noch immer ausgebreitet, sie hockte am Boden, rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. „Es tut mir leid...", hauchte sie nochmal.
»Das hat sie nicht gesagt...«, murmelte Shukaku erstaunt, als er hörte, wie sie ihrem Adler sagte, dass sie ihn hasste . »Doch...«, erwiderte der Nibi leise. »Warum macht sie sowas?«, fragte Kokuo mit gesenktem Kopf, da sie alle wussten, wie viel der Adler ihr eigentlich bedeutete. Die neun standen im Kreis, nutzten Asais Unterbewusstsein als eine Art Versammlungsort, ließen diese selbst aber nicht mithören. »Hast du nicht zugehört? Wenn er weiter bei ihr bleiben würde, würde sie eine noch stärkere Bindung zu ihm aufbauen, damit wäre es noch schlimmer für sie, wenn er irgendwann stirbt.«, brummte Kurama teilnahmslos. »Was machen wir jetzt? Das Gejammer von ihr nervt...«, knurrte Shukaku genervt, wofür er von Matatabi, Isobu, Son, Kokuo, Saiken, Chōmei und Gyuuki erstmal geschlagen wurde, nur Kurama nicht. Dieser sah ihn nur kurz wütend an, wendete dann den Blick von ihm ab.

Wochenlang wanderte die Hitomi seitdem durch die einsamsten Gegenden, nur selten traf sie auf Menschen, die meisten von ihnen waren Diebe oder andere Verbrecher, die meist nur flüchtig an ihr vorbeigingen. Sie hielt sich so weg von Städten entfernt wie möglich, weil sie keinen Menschen begegnen wollten. Immer wieder musste sie an Kemono denken. Ich hasse dich, hatte sie ihm gesagt. Sie hatte es nicht so gemeint, doch es ließ sie nicht los, dass sie es überhaupt gewagt hatte, so dermaßen zu lügen. Vor allem, da sie es hasste, zu lügen, nur im Notfall würde sie so etwas tun, doch es war kein wirklicher Notfall. Im Nachhinein betrachtet hatte sie nur auf ihr eigenes Wohl geachtet, nicht auf den Schmerz, den sie Kemono damit zufügen würde. Sie hatte öfter erlebt, das für sie wichtige Personen sie verlassen, sie kannte sich mit diesem Schmerz aus. Er hatte sowas noch nie erlebt, für ihn war sie das einzig wichtige seit der Rettung vor dem Fuchs. Und nun war ausgerechnet sie es, die ihn im Stich ließ, und dann noch mit Worten, dessen Sinn er nicht einmal kannte. Er kannte keinen Hass, er wusste, was die Worte bedeuteten, aber nicht das Gefühl dahinter. Er war sich nicht einmal sicher, ob sie es wirklich so gemeint hatte, er konnte keine Gefühle zuordnen. Vor allem nicht solche, die er selbst nicht nachvollziehen konnte. Nur eines hatte Asai bei diesem Abschied ernst gemeint, nur einmal hatte sie an jenem Tag nicht gelogen: es tat ihr wirklich leid, was sie dem Adler angetan hatte.

Asai saß grade in einem kleinen, zerfallenen Dorf an einem Stand und trank ein Glas kaltes Wasser, als Versuch, ihre Gedanken zu ordnen, da sie dies nicht mal mehr beim Meditieren schaffte. „Kann ich Ihnen sonst noch etwas anbieten?", fragte eine Frau sie höflich. „Nein. Danke.", gab die Braunhaarige knapp zurück und legte ihr Geld auf dem Tisch ab, ehe sie wieder auf die Straße ging. Mit schnellen Schritten lief sie durch das dunkle Dorf, es war längst Nacht geworden. Hier gab es viele Obdachlose, die bei der wohlhabend-aussehenden Frau um Geld bettelten, dabei hatte sie selbst kaum etwas, sie brauchte ja auch so gut wie nichts. Schnell verließ sie das Dorf, lief durch die Finsternis der Nacht in die steppenartige Landschaft hinein, um von diesem erbärmlichen Ort wegzukommen. Auf ihrem Weg unterhielt sie sich mit den Bijuus, ohne wirklich auf die Richtung zu achten, die sie einschlug, sie beachtete lediglich, dass sie nicht in die Nähe einer Stadt kam. In ein Dorf wollte sie auch nicht nochmal, nicht nachdem sie gesehen hatte, wie es den ärmeren Leuten hier ging. Wenn das überall hier so war, wollte sie schnellstmöglich zurück, aber auch nicht zu Kriegszeiten, weshalb sie noch lange warten müsste. Wie lange wusste sie nicht genau, sie vertraute einfach auf ihr Gefühl.
Leise klackte der schwarze Stab auf dem Steinboden, als sie das Gebirge durchkämmte. Ihr Blick schweifte von einer Seite zur anderen, als suche sie etwas unbestimmtes. „Wie es wohl Kemono geht...?", überlegte sie flüsternd, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Ich sollte aufhören, darüber nachzudenken. Er ist ein Adler, er wird klarkommen.", antwortete sie sich selbst und lief dann weiter. Seit sie weggegangen war, war sie nicht einmal geflogen, das wollte sie jetzt ändern. Dass ihre Gedanken meist ganz wo anders waren, interessierte sie dabei reichlich wenig. Sie wollte nicht mehr laufen, dafür trug sie die Flügel nicht. Sie hatte lange genug versucht, ihre Gedanken zu ordnen, doch da das nicht geklappt hatte, wollte sie nun trotzdem fliegen. Sie konnte nicht mehr warten, dafür war ihr der Himmel, dieses Gefühl, zu wichtig, und die Erde zu klein, um sie am Boden zu halten.

Zum Fliegen Geboren ||Naruto FF|| [Abgebrochen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt