30. Vatergefühle

1.6K 36 1
                                    

Zu Hause verfolgten Niklas, immer noch die Gedanken, an sein unprofessionelles Verhalten bei der Geburt des kleinen Luca. War es möglich, dass Leyla vielleicht doch recht hatte und er sich wirklich noch ein Kind wünschte? So einfach, konnte der Oberarzt diese Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten, er wusste es einfach nicht. Zu viele gegensätzliche Emotionen, löste dieses Thema in ihm aus. Niklas schlüpfte aus seinen Schuhen und holte sich ein gekühltes Bier aus dem Kühlschrank. Der Hunger war ihm gerade vergangen und große Lust für sich alleine zu kochen, verspürte er, auch nicht. Der Oberarzt vermisste seine Verlobte und stellte sich vor, wie schön es jetzt wäre, gemeinsam mit ihr, etwas zu kochen, sich nach dem Essen aneinander gekuschelt auf die Couch zu legen und ihre Nähe zu spüren. An diesem Abend fühlte er sich besonders einsam. Die Vorstellung, dass Julias Reha mit Sicherheit noch einige Wochen dauern würde, vermochte auch nicht seine schlechte Laune zu heben. Komisch, dachte er, heute Morgen war er noch voller Enthusiasmus, über Julias Motivation und jetzt, war er einfach nur erledigt, von dem anstrengenden Tag und den Gefühlen, die auf ihn einströmten. Vielleicht dachte er, stellte sich jetzt die Erschöpfung ein, welche davor, vor lauter Kümmern und Sorgen um Julia nicht hatte hochkommen dürfen. Leider schien auch er, die Belastungen des Unfalls, nicht so locker wegstecken zu können. Dieses Gespräch heute Abend mit Leyla, hatte dann das Fass zum überlaufen gebracht. Frustriert setzte sich Niklas an die Küchentheke, setzte die Flasche an seinen Mund, nahm einen tiefen Schluck und genoß es, zu spüren, wie das kalte Bier seine Kehle hinunter rann. Während er sich an seinem Bier erfrischte, sann er über Leylas Worte nach: Was auch immer seine Freundin meinte zu Wissen. In einem Punkt hatte sie auf jeden Fall recht gehabt; Julia würde ganz bestimmt ein Kind haben wollen, so vernarrt, wie sie in die Kleinen war. Ausserdem, da war sich Niklas sicher, würde seine Verlobte eine wundervolle Mama abgeben. Beim Gedanken daran, wie süß Julia mit Max umging, musste Niklas unweigerlich schmunzeln. „Ganz dringend, musste er sich, damit auseinander setzen, ob er bereit war, noch einmal Vater zu werden. Es wäre einfach nicht fair von ihm, Julia zu heiraten, ohne in dieser Frage, zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Niklas fuhr sich mit beiden Händen durch die dichten, lockigen Haare, bis sie ganz verwuschelt nach allen Seiten abstanden. Eigentlich verstand er selbst nicht, warum er sich diese Gedanken, nicht schon längst einmal gemacht hatte. Vielleicht, weil sein Kopf in letzter Zeit, so voll mit anderem gewesen war, mit der Sorge um Julia und leider auch immer wieder mit Sorgen um Max. Der Oberarzt stand auf und begab sich ins Wohnzimmer. Dort trat er ans Fenster und starrte gedankenverloren auf den Spielplatz vor dem Haus. Während er die 4 Nachbarskinder betrachtete, die vergnügt, alle Spielgeräte unsicher machten, wurde er daran erinnert, wie gerne sein kleiner Max, diesen Spielplatz besuchte. Der Kleine Mann war in der Zeit nach Julia's Unfall noch seltener bei ihm gewesen, als es zuvor schon der Fall gewesen war. Von seinem Gewissen angeklagt, was für ein lausiger Vater er doch sei, fuhr Niklas sich seufzend mit der Hand über sein Gesicht. Was hätte er denn tun sollen? Schliesslich konnte er sich nicht zerteilen. Julia hatte ihn in dieser Zeit wirklich dringend gebraucht. Leider war Max, dabei schon wieder zu kurz gekommen. Ständig, musste der Oberarzt den kleinen Mann enttäuschen. Vielleicht kam seine Unsicherheit in Bezug auf ein zweites Kind, auch ein wenig daher, dass er sich als Vater so völlig unzulänglich fühlte. Einen letzten wehmütigen Blick auf die fröhlich spielenden Kinder werfend, kehrte  Niklas dem Fenster den Rücken zu und nahm aus dem Regal an der Wand ein kleines flaches Fotoalbum, womit er es sich auf der Couch gemütlich machte. Es war das Einzige, was er aus Max's ersten Jahren hatte. Langsam blätterte er es durch und betrachtete jedes einzelne Bild ganz genau. Mit jeder Seite, wurde sein Herz ein wenig schwerer und es überkam ihn ein Gefühl der Traurigkeit, welches sich langsam steigerte. Während der Oberarzt die ganzen Babyfotos von Max ansah, wurde ihm wieder einmal schmerzlich bewusst, dass er nicht wirklich ein Teil, im Leben seines Sohnes gewesen war. Die Schwangerschaft und die ersten Lebenswochen, hatte Niklas nur am Rande miterlebt, ohne zu wissen, dass er, der Vater war. Nie konnte der Oberarzt mit dem kleinen Kerl im Bauch sprechen, oder ihn durch die Bauchdecke streicheln. Zwar hatte Niklas ihn selbst per Kaiserschnitt geholt, aber auch nicht als seinen Sohn, sondern eher wie jedes andere Baby auch. Als er endlich erfahren durfte, dass er Max's Vater war, hatte der Oberarzt sich bei Max's Stiefvater Philipp jeden Besuch bei seinem Sohn schwer erkämpfen müssen. Sein Umzug nach Erfurt hatte zwar Entspannung zwischen ihm und Philipp gebracht, aber den Kleinen, sah der Vater nun noch seltener als zuvor. Nie hatte Niklas für Max, der Papa sein können, der er gerne gewesen wäre. Die meisten Entwicklungsschritte hatte der Oberarzt einfach verpasst. Er wäre so gerne mit dabei gewesen, als der Kleine seine ersten Schritte machte, oder hätte seine ersten drolligen Worte hören wollen. Wenn Max traurig, krank oder verletzt war, wäre Niklas so gern derjenige gewesen, der den Bub tröstend in seinen Arm genommen hätte. Der Oberarzt stand von der Couch auf und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Es zerriss ihn innerlich, zu sehen, welche weitreichenden Konsequenzen aus seinem großen Fehler, damals mit Arzu, entstanden waren. Natürlich war er glücklich, den keinen Mann zu haben, dass war gar keine Frage. Niemals würde der Vater ihn zurück geben wollen. Aber wenn er darüber nachdachte, was er seinem Sohn, mit seinem unüberlegten Handeln, aus dem dieser entstanden war, angetan hatte, wurde ihm ganz schlecht. Dieser kleine süße Junge, der total unschuldig an der ganzen Situation war, musste mindestens genauso viele Konsequenzen aus der ganzen Geschichte tragen, wie seine Eltern. Der Kleine litt sehr darunter, nur bei seiner Mama wohnen zu können und seinen Vater so selten zu sehen. Nie würde Max mit beiden Elternteilen Eine Familie sein können. Niklas bereute diese kurze Bettgeschichte sehr. Wie kurzsichtig und naiv er damals gewesen war. Jetzt war es zu spät, es war geschehen und es konnte nicht mehr Rückgängig gemacht werden. Der Oberarzt würde sich, wohl oder übel, mit den Konsequenzen, die er als Folge seines Fehltrittes tragen musste, abfinden müssen. Niklas würde irgendwann, akzeptieren müssen, dass er mit Max, nicht die Vater Sohn Beziehung haben konnte, die er sich wünschte. Dabei schmerzte es ihn am Meisten, dass Max in letzter Zeit, bei jeder Gelegenheit erwähnte, bei ihm und Julia leben zu wollen. Wenn es Arzu nicht so wichtig wäre, Max bei sich zu haben, würde der Vater nichts lieber tun, als seinem Sohn, diesen Wunsch zu erfüllen und ihn zu sich holen. Dann könnte er endlich einmal richtig als Papa für ihn da sein.  Sein schlechtes Gewissen, Arzu gegenüber hielt ihn immer noch davon ab, diesen Schritt zu tun.
Wie konnte er sich, in dieser Situation, mit einem neuen Baby auseinander setzen? Niklas hatte Angst davor, dass ein zweites Kind, wie ein Vorwurf für ihn sein würde, dass ihn in immer wieder, an die verpasste Zeit mit Max erinnern und ihn anklagen würde. Ausserdem schreckte er vor dem Gedanken zurück, dass Max noch mehr an den Rand geschoben werden würde, durch ein weiteres Geschwisterchen, welches Aufmerksamkeit verlangte und die Tatsache, daß Mama und Papa, je eine Familie mit Kindern hätten. Zu keiner dieser Beiden Familien würde Max dann so richtig dazu gehören. Erdrückt von dieser Last der Vergangenheit, konnte Niklas keinen Zugang zu seinen Gefühlen finden. Es war alles so verwirrend und belastend, dass er nicht sagen konnte, ob er sich über ein Baby mit Julia freuen, oder ob es in seinen Augen, alles noch schlimmer machen würde. Niklas gab einen schweren Seufzer von sich, während er sich auf den Weg ins Bad machte. Hoffentlich würde Julia ihn nicht schon bald, auf das Thema Kinder ansprechen. Er brauchte noch ein wenig Zeit, sich all das durch den Kopf gehen zu lassen und herauszufinden, was für ihn die richtige Entscheidung war.

 Niklia „Die Richtige"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt