31. Unglücklich

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Völlig gestresst betrat Arzu an diesem grauen, verregneten Mittwoch Mittag den Kindergarten ihres Sohnes. Klatschnass, auf dem Arm die quengelnde Pauline, wollte sie nur Max abholen, um dann so schnell wie möglich zu Hause das Mittagessen vorbereiten zu können, bevor Oskar hungrig aus der Schule kam. Pauline schien schon jetzt großen Hunger zu haben, nach dem Lärm zu urteilen, den sie veranstaltete. Arzu war keine 5 Meter weit gekommen, als sie auch schon, von der Leiterin des Kindergartens aufgehalten wurde. „Hallo Frau Ritter! Gut, dass ich sie hier antreffe! Kommen sie, doch kurz mit in mein Büro. Ich habe etwas Wichtiges mit ihnen zu besprechen!" Aufgebracht darüber, dass es jemand wagen konnte, ihre Pläne zu durchkreuzen, starrte Arzu die Mitte fünfzig Jährige, resolute Chefin des Kindergartens verärgert an. Doch bevor sie, dieses Gespräch, aus wohl offensichtlichen Gründen, auf einen anderen Zeitpunkt verlegen konnte, plapperte die Frau weiter auf sie ein und nötigte die Mutter, durch ihr forsches Auftreten in ihr Büro. „Nein!" stöhnte Arzu innerlich, nicht das auch noch! Heute hatte sie wirklich keine Zeit und erst recht keine Nerven, für ein solches Gespräch. Merkte denn diese Frau, überhaupt nicht, wie quengelig Pauline war? „So Frau Ritter, bitte nehmen sie doch Platz" ,fing die Kindergärtnerin an und deutete auf einen Stuhl, gegenüber des wuchtigen Schreibtisches. Arzu setzte sich mit der nun lautstark protestierenden Pauline, demonstrativ auf die äusserste Kante des Besucherstuhls, um klar zu stellen, dass sie hier, nicht lange bleiben würde. „Frau Ritter! Ihr kleiner Max, macht uns wirklich große Sorgen!" ,erklärte die Kindergärtnerin und setzte eine sorgenvolle Miene auf. „Wirklich? Was hat er denn angestellt?" ,fragte die Mutter erstaunt. Sie rechnete damit, für irgendeinen von Max's Einfällen, welche er normalerweise von seinem großen Bruder Oskar abschaute, zu diesem Gespräch, gebeten worden zu sein. „Gar nichts hat er angestellt! Nein, Frau Ritter, unsere Sorge ist ganz anderer Natur! Ihr Sohn wirkt in letzter Zeit sehr unglücklich und abwesend auf uns!" Nun schaute Arzu die Frau verdutzt an: Unglücklich? Wirklich? Mir ist nichts besonderes aufgefallen. „Max lebt doch mit ihnen, ihrem Mann und ihren 2 gemeinsamen Kindern hier in Leipzig, sein leiblicher Vater hingegen in Erfurt. Habe ich das so richtig verstanden?" ,wollte die füllige Frau wissen. Arzu nickte, so langsam, konnte sie sich vage vorstellen, in welche Richtung dieses Gespräch gehen würde. Sie nahm, die immer noch quengelnde Pauline, auf den anderen Arm und erkundigte sich genervt: „Ja und, ist das verboten?" Diese Frau, schien sich gar nicht an Paulines Geschrei zu stören, während es Arzu schon fast rasend machte. Vielleicht, gewöhnten sich Kindergärtnerinnen einfach an eine solche Geräuschkulisse, bis sie diese gar nicht mehr wahr nahmen. „Bleiben sie ganz ruhig Frau Ritter!" ,beschwichtigte Frau Rosenstiel, die aufgebrachte Mama. „Natürlich ist das nicht verboten! Wir möchten sie doch unterstützen. Uns geht es nur um das Wohl der Kinder. Darum, berichten wir ihnen von unseren Beobachtungen." Arzu atmete hörbar ein. Als ob sie nicht ganz gut allein zurecht kämen! Angestrengt versuchte sie, einigermassen ruhig zu bleiben, was ihr die jammernde Pauline, fast unmöglich machte. „Wir haben beobachtet." ,holte die Kindergärtnerin aus. „Dass Max oft sehr traurig und zurückgezogen wirkt. Bei den Spielen und Bastelarbeiten, fehlt ihm oft die Motivation mitzumachen. Auch erzählt er, in letzter nicht mehr viel. Das Einzige, was ihm Freude zu machen scheint, sind seine Besuche bei seinem Papa, was aber wohl nicht allzu oft vorkommt oder? Überhaupt scheint sein Papa die Person zu sein, die ihm am Wichtigsten ist. Wenn er überhaupt einmal spricht, dann von seinem Vater und von seinen Besuchen in Erfurt." Ausdruckslos, ohne ein Wort zu sagen, starrte Arzu die Wand hinter der Kindergärtnerin an. Ein kalter Schauer breitete sich über ihren Rücken aus. Was nahm sich diese Frau eigentlich heraus, sich in ihr Leben einzumischen? Sie würde nicht zulassen, dass man ihr Max wegnahm. Er war ihr Sohn, er musste doch bei seiner Mama sein. Deshalb, musste sie verhindern, dass diese Frau, Kontakt zu Niklas aufnahm, er sollte von diesem Gespräch besser gar nichts erfahren. „Gibt es denn gar keine Möglichkeit, dass Max seinen Vater öfter sehen kann? Ich habe das Gefühl, das er im Moment seinen Vater dringend braucht!" ,schlug die Kindergärtnerin unbeirrt vor und versetzte der Mutter damit einen Stich ins Herz. Sie sollte einfach still sein, was wusste diese blöde Gans schon von den Bedürfnissen ihres Sohnes! Immer noch schwieg Arzu beharrlich. „Oder bestünde vielleicht, nicht doch die Möglichkeit, dass Max's Vater, ihn zu sich nach Erfurt holt?" ,versuchte Frau Rosenstiel, dass Problem zu lösen. „Auf keinen Fall!" Nun riss Arzus Geduldsfaden entgültig. Sie ließ sich doch nicht von dieser Tante vorschreiben, bei wem Max wohnen sollte. Ruckartig stand sie auf, presste, die inzwischen noch lauter weinende, oder besser ausgedrückt schreiende Pauline, an ihren Oberkörper und pfefferte, der erschrocken dreinblickenden Frau, entgegen: „Sie haben doch keine Ahnung von unserem Leben und davon, wo Max am Besten aufgehoben ist. Nach meiner Meinung sollte ein Kind bei seiner Mama leben! Was glauben sie, was die Tatsache, dass Max's Vater in Erfurt wohnt, immer für logistische Schwierigkeiten mit sich bringt! Besonders, da er Chirurg ist, genauso wie mein Mann. Die Arbeiten immer viel!" Das für Niklas, Max's Wohl an erster Stelle stand, brauchte sie dieser Frau, ja nicht auf die Nase zu binden. „Ich bitte sie, sich nicht in unsere Angelegenheiten zu mischen! Wir kommen ganz gut, selbst zurecht und wissen schon, was gut für unser Kind ist! Ich muss jetzt schleunigst nach Hause, mein Großer kommt gleich aus der Schule und die Kleine ist hungrig, falls sie es noch nicht bemerkt haben sollten. Mit diesen Worten machte Arzu auf dem Absatz kehrt und verließ erhobenen Hauptes das Büro. Wobei sie sich keineswegs so Selbstbewusst fühlte, wie sie es vorgab zu sein.

Als Abends, endlich die Kinder eingeschlafen waren, ließ Arzu sich seufzend auf der Couch nieder. Die Worte der Kindergärtnerin, hatten sie den ganzen Tag nicht losgelassen. Die anfängliche Entrüstung war verflogen und einer tiefen Traurigkeit gewichen. Ihr Verhalten gegenüber dieser Frau, war so schrecklich falsch gewesen, total überreagiert hatte sie. Es war einfach zu viel zusammen gekommen, der Stress, Paulines gejammere und obendrauf diese Worte, die Azu eine heiden Angst eingejagt hatten. Es war ja nicht so, dass der Mutter, dieses Problem unbekannt war. Arzu hatte sich einfach nicht getraut, es zuzugeben. Seit einigen Wochen schon, sorgte sie sich um ihren Max. Ihr kleiner Sohn schien in letzter Zeit, nicht sonderlich glücklich zu sein, er stritt viel mit Oskar, wobei dieser öfter einmal die „Papa ist nur mein richtiger Papa" Karte ausspielte.  Diese Worte verletzten Max jeweils so sehr, dass er sich auf einmal, ständig nach seinem Papa sehnte. Wenn er zu Niklas durfte, war er überglücklich und wollte danach, gar nicht mehr zurück nach Hause. Der Kleine hatte sogar schon einige Male gefragt, warum er denn nicht bei Papa wohnen könne. Es schmerzte die Mutter zutiefst, dass ihr Sohn sich so unwohl zu fühlen schien, dass er von ihr wegwollte. Sie hoffte immer noch, dass diese Phase, bald wieder vorbei sein würde. Arzu hatte schon einige Nächte wach im Bett gelegen und sich ängstlich gefragt, wieviel Niklas von dieser Situation mitbekommen hatte und wie lange er noch tatenlos zuschauen würde. Sie wusste genau, dass Niklas sofort bereit wäre, Max zu sich und Julia zu holen. Ebenso, kannte sie den Grund, der ihn bis jetzt davon abgehalten hatte; er wollte ihr diesen Schmerz nicht zufügen. Max's Vater war es bewusst, wie wichtig es Arzu war, dass sie ihren gemeinsamen Sohn bei sich hatte. Nie hatte er Max erzählt, dass die Möglichkeit überhaupt bestünde, dass er in Erfurt, bei ihm leben könnte. Lediglich gegenüber ihr hatte Niklas dieses Thema vorsichtig erwähnt. Verzweifelt blickte Arzu auf ihre Hände, die verkrampft auf ihrem Schoß lagen. Eine Träne nach der anderen lief ihr die Wangen hinuter. Wenn Niklas von diesem Gespräch erfahren würde, dann würde es vorbei sein und er würde durchsetzen, das Max zu ihm zog. Das ging nicht! Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, ihren eigenen Sohn weggeben zu müssen, auch wenn er bei seinem Vater wohnen würde, der sicher gut für ihn sorgte. Ihr war sehr wohl bewusst, wie egoistisch, ihre Gedanken waren. Niklas hatte schliesslich auch die ganze Zeit, ohne ein einziges Mal zu jammern, auf seinen Sohn verzichten müssen, was ihn sehr wohl traurig gemacht hatte und ihm nie leicht gefallen war. Trotz dieser Einsicht, ließen es ihre Muttergefühle nicht zu, sich ernsthaft mit dem Gedanken auseinander zu setzen, dass Max zu Niklas zog. Die Vorstellung allein, zeriss ihr das Herz. Sie mochte Julia wirklich gern und freute sich sehr, dass Niklas so glücklich mit ihr war. Der Gedanke daran aber, dass Julia für Max, statt ihr,  die Mamarolle übernehmen würde, schnürte ihr die Kehle zu. Wie gerne hätte sie jetzt, ihre trübsinnigen Gedanken mit jemandem geteilt. Leider gab es niemanden, dem sie sich hätte anvertrauen können. Mit ihrem Ehemann zu reden, würde keinen Sinn machen, dieser würde die Lösung, dass Max zu Niklas zog, auf jeden Fall  begrüssen. Bei Niklas, konnte sie ihr Herz erst recht nicht ausschütten, dieser sollte, so wenig wie möglich von der ganzen Sache wissen. Arzu wusste ganz genau, dass sie, damit, ihre gute Beziehung zu Niklas, ernsthaft gefährdete. Er hatte ihr, als Max wegen Eva nicht nach Erfurt wollte, klar zu verstehen gegeben, dass er mehr in Max Leben einbezogen werden und solche wichtigen Dinge unbedingt wissen wollte.

 Niklia „Die Richtige"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt