22. Aufgewacht

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Und tatsächlich, er schien sich doch nicht geirrt zu haben. Julias Augenlieder begannen ganz leicht aber merklich zu flattern. So, als ob sie angestrengt versuchen würde, ihre Augen zu öffnen. Niklas beobachtete ganz angespannt ihr Gesicht. Würde seine Freundin jetzt wirklich aufwachen? Er hoffte es so sehr, es gab nichts, was er sich mehr wünschte. Er hörte nicht auf, ihr liebe mutmachende Worte zuzuflüstern. Und plötzlich geschah es, Julia öffnete schwerfällig ihre Augen und schaute ihn verwirrt an. „Julia!" Niklas strich ihr vorsichtig mit dem Handrücken über die Wange und schaute sie liebevoll an. „Ich bin so froh, dass du endlich wach bist!" Julia's Augen bewegten sich ratlos, hin und her. Sie versuchte zu verstehen, was hier vor sich ging. Verzweifelt mühte sie sich ab, etwas zu sagen. Warum brachte sie nur keinen Ton heraus? Doch nach einiger Zeit kam ein leises ganz heiseres „Niklas?" über ihre Lippen. „Ich bin da Julia!", er streichelte ihre Hand und gab ihr einen ganz vorsichtigen Kuss auf die Lippen. Niklas's Zärtlichkeiten, beruhigten sie ein wenig. Warum lag sie auf der ITS? Es musste irgendwie damit zu tun haben, dass sie sich fühlte, als wäre sie von einem Lastwagen überrollt worden. Jeder Teil ihres Körpers schmerzte so fürchterlich. „Niklas was?" ,sie stockte und versuchte mit aller Kraft weiterzusprechen. Da ihr Freund aber schon begriffen hatte, was sie sagen wollte, hinderte er sie daran noch mehr zu sagen. „Psssst mein Schatz, versuch noch nicht so viel zu reden, es strengt dich viel zu sehr an. Erst vor kurzem wurdest du exturbiert. Du wolltest wissen, was passiert ist oder? Ich erzähl's dir ganz in Ruhe ok?" Julia nickte vorsichtig. Niklas setzte sich auf ihre Bettkante. Während er Julia erzählte, was in den vergangenen Stunden alles passiert war, hielt er mit einer Hand die Ihre und streichelte mit den Fingern der anderen Hand ganz langsam und sanft über ihre Wange. Am Ende seiner Ausführungen wurde Julia unruhig und stöhnte immer wieder leicht. „Hast du starke Schmerzen?" fragte Niklas ganz besorgt? Nur durch ein schwaches Nicken deutete sie ihm, dass dies der Fall war. Es schmerzte ihn so sehr, seine Freundin so zu sehen, er hätte viel dafür gegeben, mit ihr zu tauschen und ihr alles abnehmen zu können. Niklas drückte den Notfallknopf. Da Moreau der behandelnde Arzt war, hielt der Oberarzt es für besser, sich nicht in Julias Medikation einzumischen. Sogleich öffnete sich die Tür und Dr. Lindner erschien. „Was ist den los?" Sein Blick fiel auf Julia und er meinte sehr erfreut: „Ja das nenn ich doch mal eine Freude, sie sind aufgewacht Julia! Mit einem geübten Blick checkte er kurz ihre Werte und trat dann zu ihr ans Bett. „Julia? Wie fühlen sie sich?" Nun übernahm Niklas das Sprechen: „Reden strengt sie noch sehr an. Sie muss heftige Schmerzen haben, können sie die Schmerzmitteldosis etwas erhöhen?" „Auf jeden Fall, da liegt sicher etwas drin." Antwortete Dr. Lindner und gab der Krankenschwester, die gerade den Raum betreten hatte Anweisungen, für die neue Schmerzmedikation. Nach kurzer Zeit, konnten die beiden Oberärzte richtiggehend zuschauen, wie die Anspannung aus Julias Körper wich und sie sich langsam entspannte. „Ist es etwas besser mit den Schmerzen?" ,fragte Dr. Lindner verständnisvoll. „Ja!" krächzte Julia." Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf Dr. Lindners Gesicht und mit den Worten „Dann lass ich sie mal wieder allein, melden sie sich einfach, wenn irgendetwas ist!" ,verließ er das Zimmer. Erschöpft schloß Julia die Augen und fiel in einen unruhigen Schlaf.
An diesem Morgen hatte Dr. Lindner eine gute Nachricht für die vier Assistenzärzte, deren Betreuung er übernommen hatte solange Niklas nicht da war. „Guten morgen! Ich darf ihnen mitteilen, daß Julia in der Nacht aufgewacht ist!" Die Freude unter den Kollegen war groß. Sofort bestürmten sie Dr. Lindner, wann sie denn nun Julia besuchen dürften. „Sie müssen bedenken, dass es ihr wirklich schlecht geht und sie sehr starke Schmerzen hat. Darum möchte ich, dass sie sich abwechseln und immer nur einer von ihnen bei ihr ist. Ich werde jeden von Ihnen benachrichtigen, wann sie zu ihr dürfen und wie lange. Wer von ihnen den Anfang machen darf, machen sie bitte unter sich aus." Die Assistenzärzte einigten sich darauf, dass Theresa als Erste gehen, sollte, da sie eine sehr enge Freundin von Julia war.
Die erste Zeit auf der Intensivstation schlief Julia sehr viel. Sie hatte kürzere Wachphasen, in denen sie davon Notiz nahm, dass ihre Eltern, Kollegen und natürlich Niklas oft bei ihr vorbeischschauten. Die meiste Zeit aber verbrachte sie, wie in einem Nebel, der sicher auch durch die Medikamente, gegen ihre starken Schmerzen verursacht wurde. Nur sehr langsam erholte sie sich von ihren schweren Verletzungen. Nach einer Woche ging es ihr schon etwas besser und der Nebel lichtete sich langsam. Nach zwei Wochen hatte sie sich wieder so weit erholt, daß Dr. Moreau beschloß, Julia auf die Normalstation zu verlegen. Ein Patient auf Normalstation zu sein, war doch um einiges angenehmer als auf der ITS. Zu Beginn genoß Julia die Vorzüge, die das mit sich brachte. Ihre Kollegen besuchten sie oft und hielten sie mit lustigen Geschichten aus dem Klinikalltag oder persönlichen Storys bei Laune. Sie hatte endlich einmal Zeit, einige gute Bücher zu lesen und schrieb an ihrer Doktorarbeit. Niklas schaute in jeder freien Minute bei ihr vorbei und verwöhnte sie nach Strich und Faden. Da Julia aber kein sehr geduldiger Mensch war, wurde ihr auch dort bald einmal langweilig und sie begann ihre Arbeit zu vermissen. Ihre Kollegen bemerkten dies und versuchten sie immer wieder in Fälle mit einzubeziehen. Sie setzten sich zu Julia, stellten ihr den Patientenfall vor und diskutierten mit ihr die Diagnosestellung oder die Behandlungsmethoden. Niklas ließ seine jungen Ärzte gewähren, da er sah, das diese Ablenkung Julia's Psyche gut tat.

An einem Dienstag Morgen bei der Visite meinte Dr. Moreau: „So Frau Berger, jetzt müssen wir einmal miteinander besprechen, wie wir weiter mit ihnen verfahren werden. Unser Problem ist, dass zuerst ihr Arm verheilen muss, bevor sie wieder aufstehen können. Mit den Brüchen in Arm und Handgelenk funktionieren Krücken einfach nicht. Ich werde jetzt nicht um den heißen Brei herum reden. Sie müssen sich darauf einstellen, dass sie uns hier auf der Station noch einige Wochen erhalten bleiben. Sobald die Knochen ihrer Hand soweit zusammengewachsen sind, dass sie belastet werden können, bekommen sie Physiotherapie für die Hand und den Arm, damit ihre Muskeln wieder aufgebaut werden. Ein guter Muskelaufbau ist überhaupt Voraussetzung dafür, dass sie an Krücken wieder gehen lernen können. Ich empfehle ihnen sehr dringend, dass sie, sobald ich sie dafür, für bereit erkläre, eine Rehabilitation in einer Klinik machen, die spezialisiert ist auf Muskelaufbau und Mobilitätsförderung, gerade für Fälle, in denen Arme und Beine betroffen sind. Ich werde die Schwester bitten, ihnen Prospekte dieser Klinik rauszusuchen." Dr Moreau nickte ihr ermutigend zu und eilte in die Notaufnahme,  wohin er gerade übers Handy gerufen worden war.
Julia blieb allein zurück, ganz erschlagen von Moreau's Monolog. Die ganze Zeit, hatte sie tapfer durchgehalten, aber die Nachricht, noch so viele Wochen hier herumliegen zu müssen, versetzte ihr einen gehörigen Dämpfer. Die Reha, da machte, sie sich nichts vor, würde bestimmt extrem anstrengend und langwierig werden. Als die Schwester, ihr die Rehaunterlagen brachte, wurde Julia wirklich enttäuscht. Der Ort, in dem diese Klinik war, lag exakt 3 Stunden von Erfurt entfernt. Julia schossen die Tränen in die Augen. Dort würde es nicht möglich sein, dass Niklas sie nach der Arbeit kurz besuchte und ihr wieder etwas Mut machte. Es waren doch immer wieder seine Besuche, seine kleinen Geschenke, die lieben und aufmunternden Worte, seine Umarmungen und Küsse gewesen, die ihr bisher die Kraft zum durchhalten gegeben hatten. Kleine Oasen zum auftanken hatte Niklas da jeweils für sie geschaffen. Dies alles würde in der Reha so nicht möglich sein, obwohl sie es dort wohl viel nötiger haben würde, da so eine Reha körperlich und auch psychisch alles von ihr fordern würde. Es kam ihr alles wie ein großer unbezwingbarer Berg vor. Müde und total überfordert mit der ganzen Situation lag sie in ihrem Krankenhausbett und weinte.
Niklas beendete seine Schicht und bestellte bei Julia's Lieblingsitaliener zwei Pizzen. Er hatte geplant, seine Freundin heute Abend mit einer Pizza zu überraschen, da sie den Wunsch endlich wieder eine gute Pizza zu essen vor kurzem geäussert hatte. Das Krankenhausessen schien sie langsam zu langweilen und Niklas hoffte seinem Schatz damit eine Freude zu machen. Er war wirklich froh, daß es Julia immer besser ging. Der Oberarzt war sich bewusst daß es noch ein langer Weg sein würde, aber sie machte das so gut, sie würde das schaffen. Während er seinen Gedanken nachhing, hatte er die Pizzen am Haupteingang des JTK's in Empfang genommen und eilte damit zu Julia's Zimmer.

 Niklia „Die Richtige"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt