51. geteiltes Leid

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Während die Sonne am Horizont versank und es langsam immer kälter wurde, machten sich die beiden Ärzte wieder auf den Rückweg zum JTK. Schweigend gingen sie nebeneinander her, in stillem Einvernehmen, welches viele Worte unnötig machte. Ganz in Gedanken versunken, versuchte Niklas immer noch, all das zu verdauen, was sein Kollege ihm heute anvertraut hatte. Viele unbeantwortete Fragen gab es dazu noch, welche in seinem Kopf herumschwirrten. Gerne hätte er von Matteo erfahren, wie dieser mit all seinen Verlusten umgegangen war und wie es tief in ihm drinnen aussah. Doch der Oberarzt begriff schnell, dass dies im Moment alles war, was sein Kollege mit ihm hatte teilen wollen. Daher unterließ er es, einen erneuten Versuch zu starten, noch mehr aus ihm heraus zu bekommen und ihn damit wohlmöglich vor den Kopf zu stossen. Ausserdem, war sich Niklas bewusst, dass die Tatsache, dass der sonst so verschlossene Dr. Moreau, ihn in sein Innerstes hatte blicken lassen, etwas sehr besonderes war. Bald konnten sie, in der Ferne, die Konturen des JTK's ausmachen, welches gerade noch schwach von den letzten Sonnenstrahlen beleuchtet wurde. Dieser Anblick veranlasste Niklas, seine Gedanken, von Matteos Problemen zu lösen und wieder über seinen Eigenen zu brüten. Warum, sollte er es nicht, auf einen Versuch ankommen lassen und einfach einmal eine Nacht in Julias Zimmer übernachten? Um so länger er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm der Gedanke. Er konnte keinesfalls leugnen, dass ihn die Vorstellung allein schon glücklich machte. Endlich wieder die Nähe seiner Frau, beim Einschlafen spüren zu können, wie lange sehnte er sich schon danach. Trotzdem, dass er davor zurückschreckte, Julia seinen Panikattacken auszusetzen, suchte er als erstes Prof. Pazelt auf, um ihre Meinung dazu zu erfahren. Nachdem diese, ganz unkompliziert, ihr Einverständnis, für eine Trestnacht, unter der Bedingung, dass Julia einverstanden war, gegeben hatte, beeilte sich der Oberarzt, endlich zu Julia zu kommen. Wie schon erwartet, hatte ihn die junge Ärztin schon vermisst. Müde, ließ sich Niklas neben der werdenden Mama auf das Bett sinken und gab ihr einen zärtlichen Kuss zur Begrüssung. Sofort bemerkte seine Frau, dass er heute wohl einen besonders schweren Tag gehabt hatte. Gerade als sie nachhaken wollte, was genau los gewesen war, kuschelte sich Nikas zu ihr und berichtete, was heute vorgefallen war, wobei er den Teil mit Matteo ausließ. Dieser hatte ihn auf sein Innerstes blicken lassen, dieses Vertrauen, wollte der Oberarzt nicht dadurch gefährden, dass er etwas weiter erzählte. „Was würdest du davon halten, mein Schatz, wenn ich versuchen würde, bei dir zu übernachten, um herauszufinden, wie sich das auf meine Alpträume auswirkt? Du musst aber damit rechnen, dass es heftig werden kann!" Zur Antwort bekam Niklas einen stürmischen Kuss und zwei glücklich strahlende Augen, die auf ihn gerichtet waren. „Ja bitte Niklas, lass uns das versuchen! Ich warte schon so sehr darauf, endlich nicht mehr allein einschlafen zu müssen. Du brauchst dir dabei, um ich keine Sorgen zu machen! Ich kann das aushalten! Falls du Panik bekommst, werde ich mich ganz bestimmt gut um dich kümmern!" Ein müdes Lächeln huschte über Niklas Gesicht, beim Anblick seiner Frau, die einfach so bezaubernd war, in ihrem Enthusiasmus. Erschöpft ließ er seinen Oberkörper nach hinten gleiten und schloss für einen Moment die Augen, um dann zwei Minuten später wieder aufzustehen, um alles für seinen Zimmerwechsel in die Wege zu leiten. Julia war war einfach nur glücklich, ihren Mann so nahe bei sich zu haben, als sie ein paar Stunden später eng umschlungen in ihrem Bett lagen. Innerhalb kürzester Zeit, war die junge Ärztin, beruhigt durch den Herzschlag ihres Schatzes friedlich eingeschlummert. Niklas stattdessen, lag noch lange wach. Einerseits, genoß er Julia's Nähe extrem, andererseits  fürchtete er sich davor, dass die Alpträume nach diesem emotional anstrengendenTag, besonders schlimm werden könnten.

Irgendwann, konnte aber auch der Oberarzt seine müden Augen nicht länger offen halten und wurde vom Schlaf übermannt. In den frühen Morgenstunden, erwachte Julia plötzlich, ohne die Ursache dafür ausmachen zu können. Total übermüdet, wollte sie sich schon wieder in ihr Kissen kuscheln, als etwas ihren Rücken streifte. Mit angehaltenem Atem, lag sie wie erstarrt da und traute sich nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Wer oder was, war da in ihrem Zimmer? Als die Bewegungen neben ihr stärker wurden, und sie ein wenig wacher war und somit klarer denken konnte, fiel es ihr auf einmal wieder ein. Ja klar! Niklas lag doch neben ihr. Mit einem leichten Grinsen, über ihre eigene Dummheit, drehte sie sich ruckartig um. Nun konnte, die junge Ärztin, in das dumpfe Licht, der Notlampe getaucht, ihren Mann erkennen, der sich unruhig hin und her wälzte und am ganzen Körper zitterte. „Oh nein, er träumt!" Schoss es ihr durch den Kopf, was bewirkte, dass sie auf der Stelle hellwach war. So schnell sie konnte, rutschte sie ein wenig näher zu dem Oberarzt und legte ihre Hand auf seine Schulter, während sie beruhigend flüsterte: „Niklas, es ist nur ein Traum!" Unbedingt, musste sie ihn nun wach bekommen, damit er begriff, dass das was gerade in ihm vorging, nicht die Realität war. Einige Sekunden später aber, zuckte Julia, wie vom Blitz getroffen, vor Niklas zurück, als er auf einmal lauthals schrie und um sich schlug: „Nein! Julia! Du darfst nicht sterben! Nein!" Ihr ganzer Körper erschauerte bei seinem Anblick. Sein Gesicht, wirkte vor Angst total verzerrt, während die Schatten, des Notlichtes ihr übriges taten, um das Ganze noch schauriger wirken zu lassen.  Schnell, versuchte die junge Ärztin, den Anblick, der sich in ihre Seele einbrannte, zu ignorieren und rüttelte den Mann, den sie über alles liebte und der gerade immer panischer zu werden drohte, nun heftig an der Schulter und rief energisch: „Niklas, wach auf! Ich bin doch da! Ich lebe! Das ist alles nur ein böser Traum!" Mit Vollem Einsatz und total verschwitzt, gelang es der werdenden Mama, schlussendlich ihren Ehemann zu wecken. Niemals, hätte sie erwartet, dass dies so schwer zu bewerkstelligen sein würde. Völlig orientierungslos und mit weit aufgerissenen Augen, blickte der Oberarzt nun, seine Frau an. Liebevoll strich sie ihm, mit ihrem Handrücken über die Wange, während sie eindringlich auf ihn einredete: „Es ist alles in Ordnung Niklas! Ich lebe! Du hast nur geträumt!" Als er immer noch nicht aus seiner Erstarrung zu lösen war, nahm sie vorsichtig, seine Hand und legte sie auf ihr, wie wild pochendes Herz. Angespannt forschte sie in seinen Augen, in der Hoffnung, dort erkennen zu können, ob er endlich begriff, was Realität war und was nicht. Es dauerte lange, bis sich Niklas endlich erholte und aus seiner Starre löste. Langsam zog er seine Frau in seine Arme und wisperte schwach. „Julia! Du lebst! Es tut mir so leid, dass du das miterleben musstest!" Dann ließ er sich erschöpft in sein Kissen sinken, ohne dabei auch nur für einen Moment, seine Frau loszulassen. Während sie fest umklammert, im Arm ihres Mannes lag und seinem Atem lauschte, der sich ganz langsam, immer ein wenig mehr beruhigte, verstand Julia, warum er ihr dieses Erlebnis hatte ersparen wollen. Es war wirklich beängstigend gewesen, ihren Schatz so panisch zu erleben zu müssen. Wenn sie die Augen schloß, konnte sie immer noch ganz deutlich vor sich, sein angstverzerrtes Gesicht sehen, welches ihr noch immer eiskalte Schauer über den Rücken jagte. Es tat ihr so weh, ihn so leiden zu sehen und zu wissen, dass sie selbst daran nicht unschuldig war. Trotzdem, war Julia froh, dass Niklas sie nicht mehr aussen vor hielt und sie ein Teil des Ganzen sein durfte. Julia war es egal, wie beängstigend diese Momente für sie waren, sie war bereit, auch noch ganz viele solche Nächte, mit ihrem Schatz durchzustehen, wenn sie ihm dadurch helfen konnte. Niklas war das Wichtigste, was es in ihrem Leben gab, sie würden jetzt gemeinsam dafür kämpfen, möglichst bald, ihr gemeinsames Leben, wieder richtig genießen zu können.
In den folgenden Wochen, wiederholten sich diese Szenen nächtlich, wobei sie bei Julia, mit jedem Mal, weniger Angst auslösten. Nach jedem Alptraum, schaffte sie es, Niklas wieder zu beruhigen und es ihm zu ermöglichen, wieder einzuschlafen. Auch Niklas sperrte sich nicht mehr länger dagegen, Julia in seine Probleme mit hinein zu ziehen, da  er merkte, wie gut es ihm tat, nach einem so schrecklichen Traum, in ihren Armen zu liegen, ihren Herzschlag zu spüren mit der Gewissheit, dass sie wirklich lebte. Hier, ganz nah bei seiner Frau, war der einzige Ort, an dem er, in diesem Moment sein wollte und wo er es wirklich schaffte, nach solchen Träumen wieder zur Ruhe zu kommen. Ausserdem hatte er begriffen, wie gut es ihrer Beziehung tat, dass sie sich gemeinsam diesem Problem stellten. Der Chirurg, lernte zu akzeptieren, dass es in Ordnung war, diese Gefühle zu haben und sie auch zuzulassen. Er war nun wirklich bereit, Hilfe von seiner Frau anzunehmen und sich die nötige Zeit zu nehmen, die er brauchen würde, um das alles zu verarbeiten.

 Niklia „Die Richtige"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt