41. Entsetzen

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Mit einem mulmigen Gefühl betrat Prof. Patzelt, Niklas Büro. Das Ehepaar so hilflos auf dem Sofa sitzen zu sehen, bereitete ihr Sorgen. Es musste wirklich schlecht um das ungeborene Kind bestellt sein, denn wer, wenn nicht Dr. Ahrend konnte einschätzen was mit dem Kind los war. Langsam ließ sie sich auf dem Sessel gegenüber den Beiden nieder und blickte sie mitfühlend an. „Was ist denn los? Möchten sie mit mir drüber reden?" Niklas streckte ihr die Ultraschallbilder entgegen und erklärte ihr völlig enttäuscht, welche Diagnose er hatte stellen müssen. Während die Chefärztin, die Ultraschallbilder gründlich betrachtete, war es mucksmäuschenstill im Zimmer, so dass man sogar eine Stecknadel hätte fallen hören können. Nach einigen Minuten hob die ältere Ärztin, langsam ihren Kopf und blickte das junge Ehepaar traurig an: „Es tut mir so furchtbar leid!" ,sagte sie bedauernd. „Leider kann auch ich, zu keiner anderen Diagnose kommen. Ich kenne mich zwar höchstens halb so gut damit aus wie sie, aber es scheint eindeutig zu sein. Diese Kombination der Herzfehler lässt die Möglichkeit, dass ihr Kind leben wird nicht offen!" Julia umklammerte Niklas Arm, während sie immer mehr schluchzte. Es fühlte sich an, als ob gerade ihr ganzes Glück, dass sie noch vor ein paar Stunden so sehr genoßen hatte, sich von einer Sekunde zur nächsten in Rauch aufgelöst hatte und nun so weit weg war, dass sie es nicht mehr Greifen konnte. Weiter erklärte die Chefin, während sie nach Julias Hand griff und diese leicht massierte.  „Ihre Kind wird höchstwahrscheinlich unter der Anstrengung der Geburt oder sofort danach sterben, auf jeden Fall, bevor wir die Möglichkeit haben operativ einzugreifen! Julia, es tut mir so schrecklich leid!" ,duzte sie die junge Frau, die sie noch aus Kindertagen kannte wieder, während auch sie ein paar Tränen weg blinzelte. Prof. Pazelt wagte sich gar nicht vorzustellen, wie unsagbar schlimm diese Vorstellung für die Beiden sein musste. Des öfteren hatte sie sich an dem Anblick der Beiden gefreut wie glücklich sie miteinander waren und mit welcher Vorfreude sie ihr gemeinsames Kind erwarteten. Und jetzt sollte das einfach von einer Sekunde zur nächsten vorbei sein?
Julia schüttelte energisch den Kopf und rief aus: „Nein, Nein bitte nicht, mein kleines Mädchen! Das darf nicht wahr sein! Das ist doch alles nur ein schlechter Traum aus dem wir gleich wieder erwachen!" Der Oberarzt nahm seine Frau noch etwas fester in den Arm und streichelte über ihren Bauch ohne ein Wort sagen zu können, da auch ihm schon wieder Tränen über das Gesicht rollten. Eine ganze Weile saßen sie einfach nur da und hofften, dass sie aus diesem Alptraum aufwachen würden. Julia konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass dies das Todesurteil für ihre kleine Prinzessin sein sollte. Zum wiederholten Male wollte sie, mit Tränen erstickter Stimme wissen: „Niklas man kann doch etwas tun oder? Sag doch dass man etwas tun kann! Wir können doch nicht einfach so tatenlos dasitzen und das einfach so akzeptieren!" Die Chefärztin reichte ihr die Ultraschallbilder. „Man kann leider wirklich nichts tun, schauen sie sich das Herz doch einfach einmal an!" Aber Julia weigerte sich. Sie hatte jetzt wirklich nicht die Nerven, sich mit mit medizinischen Details zu beschäftigen. Vorsichtig erwähnte Prof. Pazelt: „Vielleicht ist es das Beste, wir beenden die Schwangerschaft, da das Baby sowieso nicht lebensfähig sein wird, ist es vielleicht besser für dich, wenn du es nicht ständig spüren musst!" Dies war das gängige Vorgehen in einem solchen Fall und Niklas war froh, daß er dieses schwierige Thema nicht hatte zur Sprache bringen müssen. „Nein auf gar keinen Fall! Ich werde mein Mädchen nicht töten! ,schrie Julia ganz panisch, riss sich aus der Umarmung ihres Mannes und stand auf, als ob sie davonrennen wollte. Der Oberarzt erhob sich ebenfalls, nahm Julia in die Arme und zog sie wieder mit sich zurück auf das Sofa, während er beruhigend auf sie einredete: „Mein Schatz ganz ruhig! Niemand sagt, dass wir das tun müssen! Wie möchtest du denn vorgehen? Wenn du möchtest können wir das Herz auch noch von einem guten Kollegen, aus meiner Zeit in Hannover anschauen lassen. Er ist spezialisiert auf Herzchirurgie bei Neugeborenen und Babys und einer der Besten! Ich bin mir zwar sicher, dass er uns nichts anderes erzählen wird, aber trotzdem können wir ihn noch um seine Einschätzung bitten!" Julia nickte langsam, sie war bereit alles zu tun und sich an jedem kleinen Zipfel festzuklammern, auch wenn er noch so klitzeklein war, wenn er nur etwas Hoffnung bot, dass sie ihren winzigen Engel nicht sterben lassen müsste. „Ja bitte, frag ihn um einen Termin an, ich möchte ganz auf Nummer sicher gehen! Aber auf gar keinen Fall werde ich die Schwangerschaft abbrechen, dass kann ich einfach nicht tun! Ich werde die Kleine ganz normal zur Welt bringen, ganz egal, was dann passiert!" Wieder brach Julia in Tränen aus und redete mit zittriger Stimme weiter: „Wenn sie dann sterben sollte, kann ich mich wenigstens von ihr versbschieden!" „Ist in Ordnung Julia, wenn du das so möchtest, machen wir es so!" ,versuchte Niklas sie zu beruhigen, während ihm allein der Gedanke daran, zusehen zu müssen, wie Julia stundenlang in den Wehen lag um, sobald dieses kleine Wunder geboren war, miterleben zu müssen wie es zu atmen aufhörte und dann tot in ihren Armen lag, das Herz brach und ihn fast um den Verstand brachte. „Bitte überlegen sie sich das gut!" ,bat Prof Pazelt. „Sein eigenes Kind sterben zu sehen ist nicht leicht, erst recht nicht, wenn sie eine anstrengende Geburt hinter sich haben. „Ich weiss!" ,bestätigte Julia nur und krallte sich Halt suchend an Niklas Arm. „Aber es zu töten, weil es sowieso keine Chance mehr hat, fühlt sich für mich noch viel schlimmer an und ist daher erst recht keine Option. „Besprechen sie das weitere vorgehen doch bitte noch einmal in Ruhe miteinander, wir müssen nichts überstürzen, bat Prof. Pazelt, da ihr der Schmerz in Niklas Augen, beim Gedanken daran sein totes Kind in den Armen zu halten, nicht entgangen war. „Es ist schon spät, kann ich sie nach Hause bringen?" ,bot die Chefärztin nun fürsorglich an. Niklas blickte auf die Uhr und erschrak, Hannah würde bestimmt schon krank vor lauter Sorge um sie sein. Gerne nahmen sie das Angebot von ihrer Chefin an. Da Max am nächsten Tag wieder zur Schule musste, hatte Hannah Max ins Bett gebracht, worüber Niklas wirklich dankbar war. Im Moment schien es besser, wenn Max sie Beide nicht so aufgelöst sehen würde. Natürlich mussten sie, der vor Sorge total aufgewühlten Hannah, erst einmal alles erklären. Auch sie konnte diese traurige Botschauft kaum glauben. Sie hatten sich doch schon alle so sehr auf das Kind gefreut. Als sie, die Beiden lange umarmte, konnte sie den Schmerz, der dem Ehepaar sichtlich ihre Welt zusammen brechen ließ, richtiggehend fühlen. Julia's Mama entschied, im leeren Gästebett bei Max zu übernachten um am Morgen für ihn da sein zu können. Als Julia sich später im Bett eng an Niklas schmiegte stellte sie erschüttert fest, während sie die heftigen Tritte ihrer Tochter spürte: „Es ist so gemein, sie tritt so kräftig und es fühlt sich an, als ob alles ganz normal ist. Wenn ich doch die Kleine für immer in meinem schützenden Bauch behalten könnte, dort tut dieser Herzfehler nichts zur Sache!" „Ja!" ,seufzte Niklas hoffnungslos: „Er wird erst zum Problem, wenn sie deinen Bauch verlassen muss!" Die ganze Nacht lagen sie grübelnd wach, zu aufgewühlt waren sie, über diese so schmerzhafte Nachricht, dass es ihnen nicht gelang Ruhe zu finden und einzuschlafen.

Die nächsten Tage durchlebten Beide, wie in einem Nebel. Sie versuchten möglichst normal mit Max umzugehen und ihren unermesslichen Schmerz, noch vor ihm zu verbergen, was den beiden Ärzten aber extrem viel abverlangte und  sie an ihre Grenzen brachte.
Niklas schaffte es, sich zwei Tage im Klinikum frei zu schaufeln, um mit Julia nach Hannover zu seinem früheren Kollegen und Baby-Herzchirurgen fahren zu können. Da sie Beide total ausgelaugt waren, entschlossen sie sich mit dem Zug zu reisen, einen Zwischenhalt in Leipzig zu machen und dort Max von Arzu abholen zu lassen. Julia seufzte tief auf, als sie endlich zu Zweit ihre Reise fortsezten. „Niklas, ich halte es fast nicht mehr aus, Max Fröhlichkeit vor zu spielen, während in mir drin einfach nur tiefe Trauer herrscht. Wenn wir wieder zurück sind, sollten wir unbedingt mit ihm sprechen und ihm die Wahrheit sagen." Niklas gab ihr recht, auch wenn er sich vor dieser schwierigen Aufgabe fürchtete. Aneinandergekuschelt schwiegen sie den größten Teil der Fahrt. Julia fiel auf, dass Niklas seit der Diagnose, das Baby weder streichelte noch irgendetwas mit ihm sprach. Der Gedanke an seine Tochter, schien ihn zu sehr zu schmerzen, so dass er schon jetzt eine Distanz zu dem Kind aufbaute. Julia vermisste seine süßen Streicheleinheiten und Gespräche mit der kleinen Maus sehr. Schliesslich lebte sie doch noch, diese Tatsache konnte er nicht einfach ignorieren. Nach einiger Zeit brach Niklas das Schweigen: „Mein Schatz bitte erwarte dir einfach nicht zu viel. Du weisst, dass ich mich in diesem Gebiet gut auskenne, wenn ich sage, dass man da nichts machen kann, dann wird das auch, zu 99% Dr. Moser so bestätigen. Wir fahren nur zu ihm, um uns 100%ig abzusichern." Julia nickte traurig, aber ganz tief in ihrem Inneren machte sie sich doch Hoffnungen, Niklas könne sich doch geirrt haben.
Einige Stunden später saßen sie total unruhig und angespannt im Wartezimmer von Dr. Moser. Halt suchend krampfte sich Julias Hand um Die von Niklas. Kurz darauf erschien Dr. Moser persönlich um sie ins Untersuchungszimmer zu bitten. Herzlich umarmte er seinen jungen Kollegen. „Niklas, ich hätte mir wirklich gewünscht, dich unter erfreulicheren Umständen wieder zu treffen!" ,begrüsste sie der Herzchirurg mitfühlend.  Der ältere Arzt ließ sich sehr viel Zeit, um sich gründlich und konzentriert, per Ultraschall ein Bild von dem kleinen Herzen zu machen. Nachdem er endlich die Untersuchung beendet hatte bat er die Beiden in sein Büro, blickte Julia traurig an und erklärte, während er leicht den Kopf schüttelte: „Es tut mir wirklich schrecklich leid Frau Ahrend, aber auch ich,  kann keine andere Diagnose stellen als ihr Ehemann. Ihre Tochter kann diesen Herzfehler nicht überleben, sie wird sterben, sobald sie auf der Welt ist. Auch wenn sie per Kaiserschnitt geholt würde, was sowieso unabdingbar wäre, bliebe uns einfach nicht genügend Zeit, um sie zu operieren." Obwohl sie damit hatte rechnen müssen, fühlte es sich, für die Assistenzärztin an, wie ein Schlag ins Gesicht, als der Arzt Niklas's Diagnose bestätigte. In Julia zog sich alles schmerzhaft zusammen, während sie sich auf die Lippen biss und sich anstrengte ihre Tränen zurück zu halten. Den Rest des Gesprächs und die Vetabschiedung bekam die junge Ärztin gar nicht mehr mit, zu groß war ihre Verzweiflung. Im Hotel sank sie kraftlos auf ihr Bett und ließ ihrer ganzen Trauer und Wut freien Lauf. Ihr Körper zitterte, so sehr schluchzte sie. Dann schrie sie: „Warum muss unser kleines Mädchen krank sein? Warum unser kleiner Engel! Wir haben so lange auf sie gewartet! Wofür? Das sie uns jetzt einfach wieder genommen wird? Haben wir in letzter Zeit, nicht wirklich schon genug durchmachen müssen?" Wütend schlug sie auf die Matratze ein. Niklas, der ebenfalls mit den Nerven am Ende war, versuchte für seine Frau irgendwie stark zu bleiben. Er ließ sich neben ihr aufs Bett fallen, näherte sich ihr langsam und zog sie in seine Arme, während auch ihm dicke Tränen über die Wangen liefen. Eine ganze Weile lagen sie so da und versuchten mit diesem Schmerz irgendwie zurecht zukommen. Als die Sonne langsam unterging, rafften sie sich auf, setzten sich an dem kleinen Hotelzimmer Tisch und stocherten in ihren Salaten herum, die Niklas beim Zimmerservice bestellt hatte. Da Keiner von ihnen die Kraft gehabt hatte, sich ins Restaurant zu setzen. Ein wenig zuckte Julia zusammen, als sie die heftigen Tritte ihrer kleinen Tochter spürte. Dann legte sie liebevoll die Hand auf ihren Bauch und streichelte ihn, bevor sie total verzweifelt, ihren Mann anschaute und sagte: „Ich weiss nicht wie ich das aushalten soll Niklas! Ich habe sie doch jetzt schon so lieb und sie gehört doch schon zu uns. Der Oberarzt schob seinen Salat, von dem er sowieso nicht viel hatte essen mögen zur Seite, stand auf und legte von hinten seine Arme um seine Frau. Ein wenig zaghaft, aus Angst vor den Gefühlen, die dies gleich in ihm auslösen würde, legte er seine Hand auf Julias Bauch und fühlte die kleinen Tritte ihrer Prinzessin. Mit Tränen in den Augen flüsterte er: „Wir haben dich sehr lieb kleineMaus, ganz egal was passieren wird."

 Niklia „Die Richtige"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt