⚜️Kapitel 4⚜️

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Viel Zeit zum Grinsen hatte ich schließlich doch nicht. Jonas packte mich am Arm und zog mich von den anderen weg. "Ian, ihr habt nicht viel Zeit, ihr müsst los. Bring Amelie so schnell es geht von hier weg. Ich habe für euch einen Fluchtwagen vorbereiten lassen, du weißt wo du ihn findest." Während der alte Mann sich hektisch umsah, drückte er mir einen zusammen gefalteten Zettel in die Hand. Er sah mir besorgt in die Augen und flüsterte, das wir uns beeilen sollten. Noch bevor ich mich versah, zog er mich in eine feste Umarmung. "Pass gut auf mein Baby auf, hörst du! Tue alles was nötig ist um sie zu beschützen und mach dir keine Sorgen um die Konsequenzen, ich kümmere mich um alles." Noch nie hatte ich ihn so erlebt und das hatte schon was zu sagen, denn wir beide mussten schon so einiges durchstehen. Jonas war kein Mensch der bei aufkommenden Problemen den Kopf in den Sand steckte. Oh nein ganz bestimmt nicht. Wenn er was wollte, dann gab es Nichts und Niemanden, der ihn davon abbringen konnte, sein Ziel zu erreichen. Ich nickte und ging schnell auf Amelie zu. "Wir müssen hier verschwinden. Sofort." Amelie sah mich verstehend aus ihren großen Teddybäraugen an und nickte. "Was ist mit Cockie?" Ich schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, aber die kann nicht mit, ich möchte nicht auch noch für Cockies Leben verantwortlich sein." Amelie sah mich traurig an. Sie nahm ihre Hündin in den Arm und redete beruhigend auf sie ein. Milan gesellte sich zu den beiden hinzu und sprach Amelie Mut zu.

Im Hintergrund hörte ich Susanne schimpfen, dass es nicht in Ordnung sei, dass wir jetzt verschwinden wollen, wo doch Amelie noch nicht mal umgezogen war. Der Rest der Schimptirade blieb mir dann doch Dank Jonas erspart, denn der alte Mann brachte Susanne mit nur einem Satz zum Schweigen. "Susi bitte. Wenn Amelie leben soll, dann ist ihr Schlafanzug das geringste Problem, das wir haben." Die beiden sahen sich einen Moment lang stumm an. Wenn man gerade in diesem Moment, ein brennendes Streichholz hätte hier fallen lassen, dann wäre mein Haus explodiert. Die entstandene Spannung, die im Moment in der Luft lag, konnte man sehen und fast berühren. Meine Nerven fühlten sich wie Drahtseile an. Gerade als ich dachte das Susanne meinen Mentor erwürgen wollte, spürte ich eine kleine Hand an meinem Arm. "Lass uns hier verschwinden." Ich nickte. Ohne was zu sagen nahm ich sie an der Hand und zog sie hinter her mir in den Keller. Ich war dankbar dafür dem "Ehegatten Krieg" entkommen zu sein, denn obwohl die beiden nicht verheiratet waren, benahmen sie sich so.

Hinter uns hörten wir die Hündin aufheulen und Milan der ihr den Befehl gab zu bleiben.

Ich hörte Amelie sich unsicher räuspern. "Ian, ich will mich ja nicht beschweren, aber ich kann Keller nicht ausstehen. Die sind immer so kalt, dunkel und modrig. Außerdem habe ich eine wahnsins große Arachnophobie und werde schreien wie eine Irre, sollte eine von diesen widerlichen Kreaturen sich auf mir niederlassen." Ihre Stimme wurde zum Schluss immer leiser, gedrückter und dumpfer. Ich schnappte mir vom Regal eine Taschenlampe und zog die junge Frau in eine noch dunklere Abstellkammer. Als ich ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht leuchtete, wusste ich auch sofort wieso ihre Stimme so dumpf klang. Amelie hielt sich, um nicht zu schreien vorsorglich den Mund zu. Das Licht der Taschenlampe blendete sie und sie zischte mich an. Die ganze Zeit über, lies sie nicht von mir ab, erst jetzt wo sie geblendet wurde, verdeckte sie sich das Gesicht mit der freien Hand.

In der Abstellkammer gab es nur wenig Platz, also zog ich sie ganz nah an mich ran. "Ump" ich hörte wie ihr die Luft aus der Lunge entwich. Mit soviel Körperkontakt hatte sie zwar nicht gerechnet, jedoch versuchte sie auch nicht mich weg zu stoßen. "Jetzt geht's Abwärts, wenn du schreist, wird man uns finden." Wie auf Kommando legten sich ihre Arme um mich. "Vater im Himmel, bitte steh mir bei" flüsterte sie ängstlich. Ich konnte mir ein Lächeln einfach nicht verkneifen. Ich drückte den versteckten Hebel seitlich am Regal und wir stürzten ins Nichts.

Kalte Luft peitschte über unsere Körper, der Luftzug war so stark und schneidend kalt, dass mir die Fußsohlen brannten. Unangenehme Gänsehaut überzog unsere Körper. Mir blieb kurz die Luft weg. Das aufsteigende Adrenalin schnürte mir die Kehle zu. Bei Amelie bewirkte der freier Fall ins Ungewisse eher das Gegenteil, sie bekam eine Panikattacke. Ihre Fingernägel bohrten sich in meinen Rücken, der Körper vetsteifte sich und sie umschlang meine Talie mit den Beinen.

Ich war in dieser Situation definitiv im Vorteil, denn ich wusste wo wir landen werden, die junge Frau, die sich wie ein Klammeräffchen an mir fest gekrallt hatte, nicht. Gerade als ich dachte, dass sie lauthals zu kreischen anfängt, war er soweit............

Der rauer und knisternder Untergrund unter unseren Füßen tat sich auf und verschlang unsere Körper. Meine nackte Haut berührten abertausende kleine und spitze Nadeln. Manche von denen bohrten sich mir ins Gesicht, manche zerkratzten meine Arme, andere wiederum streiften nur meine Haut und doch fand ich es nicht schlimm. Die Kratzer werden heilen, der Schrecken wird vergehen. Alles was jetzt zählte, war das wir schnell und lebend von hier wegkamen. Mit einem dumpfen Aufprall landeten wir auf dem Boden. Amelie hing immer noch fest umklammert an mir. "Verdammter Mist, das tat weh" keuchend versuchte ich die junge Frau von mir weg zu bekommen, doch das war überhaupt nicht einfach. "Amelie, wir müssen so schnell es geht weiter. Bitte steig von mir ab." "Ich kann nicht, ich glaube meine Knochen sind vor Schreck eingefroren" piepste sie mit zittriger Stimme. "Sieh mich an, bitte" kreidebleich hob sie langsam den Kopf und blinzelte mehrfach bevor sie mich ansah. "Du musst von mir ablassen, wir müssen weiter." Nervös schluckte sie und lies mich langsam und immer noch zitternd los. Ich glaubte ihr wurde langsam klar, dass sie sich eben an einen wild fremden Kerl fest geklammert hatte. Ihre Wangen färbten sich langsam vor Verlegenheit in einen zarten rosaroten Ton. "Tschuldigung. Wo sind wir hier?" flüsterte sie. Jetzt gerade sah sie überall hin, nur bloß nicht zu mir. Irgendwie fand ich es schon süß, aber ich schafte es, mir nichts ansehen zu lassen. "Wir sind in einem riesigen Strohhaufen gelandet." Ich zupfte ihr Strohhalme aus den eh schon abstehenden Haaren und versuchte sie aufmunternd anzulächeln. "War doch gar nicht so schlimm, oder?" Sie nickte zustimmend. Ihr Blick glitt zu meiner Schulter rüber und die schönen karamellfarbende Augen wurden immer größer und größer. Erschrocken schlug sie sich die Hand vor Mund und sprang wie von einer Tarantel gestochen, Richtung Ausgang. Gerade als ich dachte, dass sie mir gleich wegläuft, blieb sie an der großen Holztür stehen. Amelie sah erschrocken zu mir rüber. Sie trampelte und sprang wie ein aufgescheuchtes Huhn auf der Stelle herum und zeigte die ganze Zeit mit dem Finger in Richtung meiner Schulter. Die seltsamen Laute, die sie von sich gab, brachten mich zum Schmunzeln. "Was soll das werden, wenns fertig ist? Führst du einen Regentanz auf?" Amelie schüttelte schon fast hysterisch den Kopf. "Spiiiine. Spiiiene. Ach du heiliges Kannonenrohr ist die grooooß!!!!" Beide Hände legte sie quitschend sich aufs Gesicht und ging völlig außer sich, in die Knie. Was zum Geier ist ihr Problem?

Im Augenwinkel vernahm ich eine leichte Bewegung auf meiner Schulter wahr. Vorsichtig und ohne sich rückartig zu bewegen, sah ich schielend rüber. Zuerst sah ich den Tischtennisball große, schwarze und haarigen Etwas. Als ich merkte, das dazu noch mindestens genauso so lange und beharrte Beine gehörten, verstand ich.

Eine Spinne.

Auf meiner Schulter ruhte sich gerade eine etwas benommene, wahrscheinlich mit der Situation überforderte und zugegebenermaßen ziemlich große Spinne aus. Mit der linken Hand schubste ich sie hastig runter und beeilte mich zu der völlig aufgelösten jungen Frau vor mir.

Ich half ihr hoch. "Na komm schon Angsthase. Das ist nur eine Spinne, kein Grund um in Ohnmacht zu fallen. Denke immer daran: die Menschen sind die größten und schlimmsten Monster auf der Welt. Davor sollst du dich in Acht nehmen, nicht vor Spinnen. Im Gegensatz zu den Menschen, wird eine Spinne dich in Ruhe lassen, wenn sie merkt, dass du ihr überlegen bist. Menschen dagegen können feige und hinterhältig sein. Vor genau solchen, versuchen wir gerade weg zu kommen." Ich wischte mit dem Daumen die angesammelten Tränen aus ihren Augen und zog sie hinter mir her. Durch die Aufregung bekam sie jetzt auch noch Schluckauf, was echt seltsam klang. Amelie sah mich entschuldigend an, doch ich lächelte sie nur schief von der Seite an.

Sollte es nach mir gehen, so würde die kleine Blondine neben mir nie erfahren, dass auch ich Spinnen nicht ausstehen kann. Sie würde nie erfahren, dass ich immer noch unter den Alpträumen litt, und mich immer wieder fragte, was meine Bestimmung war. In meinem Leben gab es keinen Platz für Angst oder Zweifel, also würde ich mich Kopfüber in meine neue Mission stürzen und herausfinden, wieso eine kleine und zierliche Frau, einen großen, bulligen Kriminälen, mit nur einer Pfanne in der Hand, in die Knie zwingen konnte und gleichzeitig beim Anblick einer kleinen, haarigen Spinne fast den Verstand verlor.

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Der VollstreckerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt