⚜️Kapitel 32⚜️

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Amelie

Ich wurde von Hannes angerufen, der mir mitteilte, dass Harper wahrscheinlich tot war, weil Marco sie von der Klippe gestoßen hatte. Nach seiner Aussage, war Ian in eine Art Starre verfallen. Er weigerte sich die Klippe, von der Harper gestürzt war, zu verlassen.

Ich hatte während der Fahrt überlegt, wie ich ihn von da weg bekommen könnte, doch mir wurde klar, dass dies ein besonderer Fall war. Ian war mit Harper aufgewachsen, er hatte sie vor Allem und Jedem beschützt. Harper war seine Familie und egal was ich sagen oder machen würde, seine Schuldgefühle würden ihn kaputt machen. Kurz gesagt, meine Erste-Hilfe Maßnahme zum jetzigen Augenblick hieß, Hoffnung zu geben und Vertrauen zu signalisieren.

Kurz vor dem Ziel, fuhr ich zur Tankstelle und wie der Zufall es wollte, sah ich blaue, wunderschöne Pulpen. Meine absoluten Lieblingsblumen. Ohne einen Gedanken darüber zu verschwenden, schmiedete ich einen Plan. Ich kaufte die Blumen und sah zu, dass ich noch vor der Dämmerung an der verwunschenen Klippe ankam.

Die Bennett-Brüder begleiteten mich stillschweigend zu dem Mann, der mir mittlerweile mehr bedeutete, als mein eigenes Leben. Ich setzte mich leise neben Ian und sah in die Weite. Es tat mir weh ihn so zu sehen.

Wir schwiegen. Der Wind war kalt, er zerrte an meinen Haaren. Wir waren völlig durchnässt und schon nach kurzer Zeit, merkte ich, wie mir kalt wurde. Ich flüsterte. "Es tut mir sehr leid." Ian sah mich gleichgültig und erschöpft an. "Was tut dir leid?" Seine Stimme hörte sich kratzig an. "Das du dich schlecht fühlst. Das du zu spät warst..." Wir sahen uns lange in die Augen, bis er schließlich nickte und weg sah. Ich konnte ihm ansehen, dass er sich Mühe gab, die Tränen wegzublinseln. "Joshua meinte, dass man die Leiche von Harper nicht gefunden hatte?" Ich wartete und wartete und wartete, doch es kam nichts. Frustriert atmete ich schwer aus. "Also gut. Wenn du betüttelt werden möchtest, dann kannst du das von Harper machen lassen. Das zieht bei mir nicht." Mit diesem Satz löste ich eine Reaktionskette aus. Ian sah mich verwundert an, während Hannes hinter mir schockiert: "Ist das etwa deine Art ihn aufzumuntern? Verdammte Scheiße, das hätten wir auch ohne dich geschafft!" rief. Ich sah geduldig zu Hannes und hob warnend den Zeigefinger. "Hannes. Sitz. Mach Platz, sofort!" Ich sprach mit strenger und autoritärer Stimme zu ihm. "Ich bin doch kein Hund, was erlaubst du dir?" Ian und Joshua sahen sich gegenseitig verwundert an. "Möchtest du wissen wie ich Cockie bestraft hatte, wenn sie nicht gehorchte? Nein? Ich gebe dir einen Tipp. Es hatte ihr nicht gefallen." Gerade als Hannes den Mund aufmachen wollte, um zu wiedersprechen, schob ihm Joshua warnend die Faust unter die Nase. Hannes wurde still.

Ich widmete nun meine Aufmerksamkeit Ian. "Was ich dir damit sagen wollte, ist, dass es keine Leiche gab. Also ist sie am Leben. Sie ist mit Sicherheit von der Strömung erfasst und mitgezogen worden. Sie könnte irgenwo schwer verletzt gestrandet sein. Na ja, im Grunde genommen, kann ihr alles Mögliche zugestossen sein. Und ich wünsche mir, dass du aufhörst dich zu bemitleiden." Ich sah ihm forschend in die Augen, doch er wollte mehr. Ich nahm seine Hand und lächelte ihm zu. "Ian, du bedeutest mir mehr als mein eigenes Leben und wenn dies bedeutet, dass wir jahrelang nach Harper suchen müssen, dann ist es für mich okay. Schau mal, die habe ich mitgebracht." Ich schnappte mir eilig die Tulpen und zeigte sie ihm stolz. "Die sind von Menschen gezüchtet, denn in der Natur gibt es die nicht in dieser Farbe. Aber die Situation hier, ist fast genauso. Harper lebt in Wirklichkeit, nur ist ihr etwas zugestoßen und wir müssen sie finden, sonst sieht dein Gesicht in einer Woche, wie eine ausgetrocknete Tomate aus. Wir beide werden da runter gehen und jeder von uns wirft eine dieser wunderschönen Blumen ins Wasser. Damit versprechen wir uns beiden und Harper, dass wir sie nicht vergessen werden. Wir beide versprechen uns, sie zu suchen und zu finden." Ich hielt den Atem an und schaute ihn hoffnungsvoll an. Ich überflog seine Gesichtszüge und fand schließlich wonach ich gesucht hatte. Ian nahm mir die Blumen ab und sah mich verletzt an. "Eine symbolische Geste?" Ich flüsterte ein 'ja' und lächelte in der Hoffnung, dass er darauf reinfällt. "Das ist eine schlechte Aufmunterung und der Vergleich mit der Tomate ist auch nicht besser." Meinte er. Ich zog eine beleidigte Schnute. "Das hier ist kein Aufmunterugsversuch. Das ist eine Schadensbegrenzug. Du sollst erst dann leiden, wenn du einen Grund dazu hast. Nicht schon vorher." Ian Gesichszüge änderten sich. Zuerst wurden sie weicher, dann sah ich den sanfter Blick und schließlich zog er mich in eine Umarmung. Diese Umarmung war anders. Ich hatte das Gefühl, dass er sich an mir, wie an einer Art Strohhalm festhielt. Ich schloss die Augen und hörte hinter mit Hannes reden. "Ich will auch so eine Frau. Das war echt clever von ihr." Joshua grinste. "Jeder Mensch wünscht sich so jemanden, doch Ian hat sie auch verdient."

Ich fühlte wie Ian sein Gesicht in meinen Haaren vergrub und zitternd, den Duft meiner nassen Haare einatmete. Ich streichelte sanft seine Rücken. "Ich habe dich nicht verdient." Flüsterte er mir ins Ohr. "Ich errinnere dich daran bei unserem nächste Streit. Ok?" Meinte ich leiser und er fing an zu lachen. In diesem Lachen lag pure Erleichterung. Ian nahm mein Gesicht in seine Hände und sagte ganz sanft und so leise, dass nur ich ihn hören konnte: "Du liebst mich, obwohl du weißt was und wer ich bin?" Er wartete gespannt auf meine Antwort. "Du meinst, du der Vollstrecker und ich der Angsthase? Na ja, ich hatte mal gehört, das Gegensätze sich angeblich anziehen sollen. Finden wir es doch heraus." Ich war in diesem Moment selbst über meinen Mut überrascht, aber Ian störte das nicht. Er lächelte." Nichts lieber als das."

Wir gingen Händchen haltend und verliebt zum Fluss runter und taten das, was ich vorgeschlagen hatte. Die blauen Tulpen standen symbolisch für das Versprechen, Harper zu suchen und finden zu wollen. Außerdem besiegelten sie, schon fast wie ein Ehering, unser Versprechen zusammenzubleiben und für einander da zu sein.

Joshua und Hannes baten mich auch um eine Tulpe. Die beden sahen wie ein eingespieltes Team aus. Wie eine kleine Familie standen wir da und sahen uns den Fluss an. Die Blumen wurden von der Strömung mitgerissen und schon bald waren sie nicht mehr zu sehen. Der Wind wehnte durch meine Haare und ich fühlte mich stark. Ich drückte Ians Hand und meinte: "Wenn du jetzt nachgibst, dann hat Marco gewonnen. Lass es nicht zu. Finde deine Kraft, egal woher, egal wie, nur finde sie." Ian nickte ohne mich anzusehen, denn seine Gedanken waren schon wo anders.

"Behandle mich nie wieder wie einen Hund. Sonst könnte es passieren, dass ich tatsächlich zubeißen werde." Kam wie aus dem Nichts von Hannes. Ich streckte meine Hand nach ihm aus und streichelte seinen Arm. Mit einer verstellten Stimme meinte ich nur: "Mach ich nicht mehr. Du bist doch ein braver Junge. Ja, das bist du." Hannes knurrte. Als ich begriffen hatte, dass ich es damit noch schlimmer gemacht hatte, blieb mir nur die Flucht. Kreischend rannte ich zu meinem Wagen, während hinter mir nur noch Gelächter zu hören war.

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Der VollstreckerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt