Kapitel 17 - Mara

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Sie war schnell. Sie war wirklich schnell, doch ich hatte nicht vor zu verlieren. Auf keinen Fall. Schlamm spritzte bei jedem meiner Schritte meine Wanden hoch und der Regen ließ die Welt verschwommen erscheinen. So als stände man hinter einem Wasserfall. Ich vernahm Mrs. Freys Lachen und legte noch einen Zahn zu. Gleich hatte ich sie eingeholt.

„Bis zur Weggabelung", stieß ich hervor und rutschte im selben Moment weg.

„Der Verlierer gibt einen aus", schnappte sie und versetzte mir einen leichten Schubs.

„Hey", rief ich überrascht und geriet für Sekunden aus dem Gleichgewicht. Instinktiv griff ich nach ihrem Handgelenk, wir ruderten mit den Armen und dann geschah es. Mit einem spitzten Schrei landete ich mit dem Hintern voran in einer Pfütze und zog die Direktorin mit.

„Ihh", keuchte ich, während meine Hände sich stützend in den Matsch gruben. Da saß ich nun. Klitschnass und dreckverschmiert, während der Regen unablässig auf mich niederprasselte.

„Mrs. Frey?", fragte ich noch immer um Atem ringend. „Alles in Ordnung?"

Der Blick mit dem sie mich bedachte, ließ mich erstarren. Ihr Gesicht wirkte wie versteinert, ihre grünen Augen funkelten. Wassertropfen rollten über ihre Haut und ihre Mundwinkel zuckten. Dann stahl sich ein amüsiertes Grinsen auf ihr Gesicht und ich stieß erleichtert, aber auch ein bisschen beleidigt die aufgestaute Luft aus. Sie hatte mich voll erwischt.

„Such schon mal dein Geld zusammen", meinte sie und rappelte sich auf. Mir klappte die Kinnlade herunter. Das konnte jetzt nicht ihr Ernst sein.

„Vergessen Sie es", erwiderte ich schnell und kämpfte mich ebenfalls auf die Beine. Verlieren kam nicht in Frage. Erstens hatte ich eindeutig nicht genug Geld dabei und zweitens würde ich es nicht ertragen können, wenn Will mich damit aufzog, dass ich gegen eine Frau verloren hatte, die etwa zwanzig Jahre älter war als ich. Das würde mein Ego eindeutig nicht verkraften. Mit wildem Kampfgeschrei jagte ich ihr hinter und überholte sie auf den letzten Metern mehr schlitternd als laufend.

„Gewonnen", rief ich triumphierend und streckte die Faust in die Luft. Eine Haarsträhne klatschte mir im Zuge meines Siegesausbruches triefendnass ins Gesicht und ich wischte sie rasch hinters Ohr.

„Ach ja?", fragte die Direktorin herausfordernd und im nächsten Augenblick traf mich ein Klumpen Schlamm mitten auf dem Bauch. Überrascht schnappte ich nach Luft, während Direktorin Frey in Gelächter ausbrach.

„Das werden Sie büßen", drohte ich und unterdrückte den Drang, ebenfalls loszulachen. Langsam bückte ich mich und vergrub meine Finger im Matsch. Das Gefühl erinnerte mich an vergangene Reisen mit meiner Familie ans Meer. Wenn ich mit meinem Bruder Sandburgen gebaut und wir uns gegenseitig mit nassem Sand abgeworfen hatten. Rasch vertreib ich die Erinnerungen aus meinem Kopf und richtete mich auf, bereit, die Schlammkugel loszulassen, als James und Will uns atemlos erreichten und mir die Wurflinie verdeckten.

„Könntet ihr bitte zu Seite gehen?", rief ich. „Ihr steht mir im Weg."

„Ach, sag bloß", spottet Will und ich verdrehte die Augen.

„Ja."

„Ich würde sagen, du hast für heute genug im Matsch gespielt."

„Du hast mir überhaupt nichts zu sagen", widersprach ich und schleuderte den Matsch nach ihm, doch er wich leichtfüßig aus und ich stöhnte frustriert auf.

„Will, das reicht", ertönte Mrs. Freys Stimme. „Ich glaube, ein bisschen Matsch mehr oder weniger hätte keinen Unterschied mehr gemacht." Sie zog eine Grimasse und deutete an sich hinunter. Das weinrote Top klebte an ihrem Körper und war dreckverschmiert. Ebenso wie die beige Sommerhose und ihre weißen Stoffschuhe, die jetzt einen sehr interessanten dunkelbraun-verwaschenen Ton angenommen hatten. Sie sah furchtbar aus. Und wenn ich so an mir hinunterblickte, konnte ich nicht behaupten, es besser überstanden zu haben.

Der Regen hatte nachgelassen und ein feiner Sprühregen legte sich wie ein Schleier auf meine Haare.

„Wir sollten zurückfahren", meldete sich nun James zu Wort, der seine Augen nicht von Mrs. Frey zu lösen können schien. Auch seine Sachen waren vollkommen durchnässt und sowohl er als auch Will sahen unglaublich sexy aus. Dummerweise gehörte der Feuer-Elementary zu Hannah und der Wächter war zum einen viel zu alt für mich, zum anderen war die Direktorin im Besitz seines Herzens.

„Du hast recht", stimmte Mrs. Frey ihm zu und wrang ihre nassen Haare aus. „Aber so wird uns niemand in die Bahn lassen."

„Wiiiiill", machte ich und klimperte bittend mit den Wimpern. Der Feuer-Elementary stieß ein unwilliges Ächzen aus, mit dem er seinem Unmut offensichtlich zur Schau stellen wollte, doch nachdem auch die Direktorin ihm einen auffordernden Blick zugeworfen hatte, machte er sich an die Arbeit und im Nu waren meine Sachen wieder trocken. Eilig klopfte ich den Matsch, der nun wie von selbst abbröckelte von meinem Top und kämmte mit den Fingern durch mein zerzaustes Haar. Zwar benetzte der feine Sprühregen uns wieder mit Feuchtigkeit, doch wir sahen nicht mehr so aus als wären wir in voller Montur in einen Pol gesprungen und hätten uns danach genüsslich im Schlamm gesuhlt.

„Herzlichen Dank", meinte ich und Will ließ die kleine Flamme in seiner Hand erlöschen.

„Stets zu Diensten", erwiderte er und noch immer schwang dieser spöttelnde Unterton darin mit.

„Dann eben nicht."

Rasch wandte ich mich an die Direktorin und biss mir bei ihrem Anblick augenblicklich auf die Lippe, um nicht zu kichern. Ihre Haare sahen aus als hätte sie in eine Steckdose gefasst. Noch etwas an dieser Frau, das sie mir sympathischer machte. Als hätte sie meine Gedanken gelesen – wahrscheinlicher war wohl eher, dass sie meinen schrägen Gesichtsausdruck gedeutet hatte – glättete sie ihre Mähne notdürftig und zwirbelte sie in atemberaubender Geschwindigkeit zu einem strengen Dutt, der nicht halb so schlecht aussah wie der, den sie des Öfteren trug.

„Können wir?", wollte Will ungeduldig wissen und Mrs. Frey nickte.

Der Heimweg war deutlich entspannter und die Bahn beinahe menschenleer. Der Regenguss hatte die Hitze aus der Luft gewaschen und eine angenehme Wärme lag über der Stadt. Als wir schließlich an unserer Station wieder ausstiegen, zeigte sich sogar die Sonne wieder und tauchte die breite Straße in ein sanftes Gold.

Müdigkeit kroch schleichend durch meinen Körper und ich unterdrückte ein Gähnen. Dieser Tag musste der erste seit Wochen gewesen sein, an dem ich mich so unbeschwert hatte fühlen können. Ich hatte kaum einen Gedanken an Hannah verschwendet, doch nun – mitten im frühabendlichen Getümmel Berlins – kehrten die dunklen Gedanken zurück. Und mit ihnen der Druck. Der Druck diesen Wettlauf gegen Raven Dragoni zu gewinnen und Hannah zu retten. Bereits morgen Mittag würde das nächste Flugzeug in Richtung Süden starten – in Richtung der „Ewigen Stadt". Rom war schon immer ein Ort gewesen, den ich sehen wollte. All die Hinterlassenschaften des Römischen Reiches, Pizza und die römische Mythologie übten eine unbeschreibliche Faszination auf mich aus – vor allem die Pizza. Ich seufzte lautlos und bemerkte, dass ich zurückgefallen war.

Will schlenderte mit federnden Schritten den Gehweg entlang. Seine schwarzen Haare glänzten im Sonnenlicht wie Ebenholz und in Momenten wie diesen verstand ich, was Hannah an ihm fand. Aber nur in diesen.

Etwas weiter vorne entdeckte ich die Direktorin. James' Arm lag auf ihrer Hüfte und sie schien es zu genießen. Für den Augenblick sog ich die entspannte Atmosphäre in mich auf und verschloss sie sicher in meinem Herzen. Morgen würde unsere Jagd weiter gehen und ich wusste nicht, wann es wieder so sein würde wie jetzt, denn eine unbekannte Stadt bedeutete neue Sitten, neue Menschen und vor allem neue Gefahren. Und das hieß, ich würde jede Sekunde wachsam sein müssen, denn ich hatte wirklich keine Lust auf noch mehr Unglück, Verletzungen oder gar Kämpfe, die oft nur ein Ende nahmen – ein Schlechtes.


Academy for Elementarys 2 - Vernichtender KampfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt