Kapitel 39 - Mara

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„Ich gehe vor", sagte James sofort und stieg in die Finsternis. Die Taschenlampe seines Handys schaffte es nicht einmal ansatzweise, die drückende Dunkelheit zu durchbrechen.

„Mrs. Frey, hier", meinte ich und reichte der Direktorin ein Taschentuch, das sie sich dankbar um die Hand wickelte, bevor sie wieder den Saum der Decke umklammerte. Dann folgten wir dem Wächter hinunter in das Reich von Raven Dragoni. Es roch entgegen meiner Erwartungen nicht modrig oder verwest. Stattdessen lag ein frischer Geruch nach Meeresluft und trockenen Felsen in der Luft. Vorsichtig streckte ich die Arme zu beiden Seiten aus, um zu testen wie breit der Gang war und traf weder auf der einen, noch auf der anderen Seite auf Stein. Entweder war der Tunnel breiter als gedacht oder aber – und die Möglichkeit machte mir irgendwie Angst – wir liefen gerade durch das Nichts.

Minutenlang hörte ich nur unsere Schritte, unseren Atem und meinen eigenen Herzschlag. Dann wurde es schlagartig hell und ich kniff geblendet die Augen zusammen.

Langsam blinzelnd gewöhnte ich mich an den Überschuss an Helligkeit und riss staunend den Mund auf. Wir standen in einer kuppelartigen Höhle, deren Decke sich bestimmt zehn Meter über uns befand. Regale türmten sich an den Wänden in die Höhe. Alle gefüllt mit Flaschen, Fläschchen, Kristallflakons und verkorkten Reagenzgläsern, in denen Flüssigkeiten jeder Farbe glitzerten. Nachdem ich den Moment des Staunens überwunden hatte, wurde mir ganz schnell klar, dass wir ein Problem hatten.

„Wie sollen wir denn hier das Gegenmittel finden?"

„Wir finden es", sagte die Direktorin voller Überzeugung und ich seufzte.

„Dann los." Wir teilten uns auf und schritten systematisch den Raum ab. Meine Augen zuckten über jeden Flakon, jede Flüssigkeit. Manche waren beschriftet, einige nicht, in wieder andere waren Symbole gekritzelt, die ich nicht entziffern konnte. Nachdem wir die Runde vollendet hatten, trafen wir uns in der Mitte.

„Wir müssen nach oben", sprach James die unmögliche Tatsache aus und ich nickte. Hatte der Typ denn keine Leiter? Da kam mir eine Idee. Wir brauchten keine Leiter. Wenn die Regale fest waren, konnte man an ihnen hochklettern. Das war zwar extrem riskant, aber trotzdem machbar.

Weder der Wächter noch die Direktorin sah wirklich begeistert aus, doch sie stimmten schließlich zu und da ich die Leichteste war, übernahm ich die ehrenvolle Aufgabe des Kletterns. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb als wolle es ausbrechen und sich in Sicherheit bringen, auf meiner Stirn bildete sich Schweiß. Ich hangelte mich von Regalbrett zu Regalbrett, überflog jede Flasche bis mein Blick an einem Flakon über mir hängen blieb. Die Flüssigkeit darin schimmerte blutrot und silberne Wirbel bestätigten das Dasein von Magie.

„Ich glaub, ich hab es!", rief ich aufgeregt und löste die Finger meiner rechten Hand vom Holz.

„Sei vorsichtig", drang die Stimme von James an mein Ohr, doch meine gesamte Konzentration richtete sich nun auf den Flakon. Ich hing bestimmt acht Meter an einem senkrechten Regal in der Luft und streckte nun langsam meinen Arm aus. Ich bemerkte nicht einmal, dass ich mir vor Anstrengung die Unterlippe blutig biss.

„Komm schon", stieß ich hervor und reckte meinen Körper noch ein bisschen mehr. Meine Fingerspitzen berührten bereits das Glas, doch es reichte noch nicht. Schweiß rann mir über den Rücken, saugte sich in mein Shirt und in meiner Winterjacke war es mir viel zu warm. Ich nahm all meine Kraft zusammen, streckte meinen Arm, bis es schmerzte und umschloss den Glasflakon mit meinen Fingern.

„Hab ich dich."

Etwas klirrte und zischte an meinem Gesicht vorbei und ich hätte beinahe das Gleichgewicht verloren.

„Achtung!", brüllte ich nach unten und hofften, dass die Glasflasche keinen der beiden treffen würde. Das Krachen sagte mir, dass sie auf den Boden aufgeschlagen war. Hoffentlich war es keine tödliche Säure oder so. Rasch kletterte ich das Regal hinunter, das Gegenmittel für Hannah fest in den Fingern. Am Boden angekommen drehte ich mich zu James und der Direktorin um, die beide mit beunruhigten Gesichtsausdrücken auf die zersplitterte Flasche und deren Inhalt starrten. Eine schwefelfarbene Flüssigkeit, die merkwürdig zischelte.

Academy for Elementarys 2 - Vernichtender KampfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt