„Ähm … ich bin wieder da.“ Der Mann stand grinsend neben uns. Nico ließ mich los, blieb aber direkt neben mir sitzen. Nervös starrte ich die ganze Zeit auf den Verbandskasten, aus dem der Mann ein Verband, eine Tube und eine Schere entnahm. Der Schnitt an meinem Arm war nicht tief, hatte aber geblutet und musste erst einmal sauber gemacht werden. Nichts dramatisches, für meine Verhältnisse. Still sah ich ihm zu, wie er danach eine Crème auf meiner Wunde verteilte und schließlich den Verband drum machte.
Plötzlich knurrte mein Magen laut. Erschrocken und verlegen sah ich auf den Fußboden. Ohne ein Wort zu sagen stand Nico auf und ging. Misstrauisch sah ich ihm hinterher.
„Er ist nicht so kalt und grob, wie du vielleicht denkst“, sagte der andere plötzlich. „Er hat es nicht einfach. Aber … wie alt bist du eigentlich?“
„Acht“, nuschelte ich.
„Mein Gott bist du jung! Was du denn da draußen gemacht?“ Einen Moment überlegte ich, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte. „Ich bin weggelaufen. Aus dem Waisenheim.“
Der Mann schwieg einen Moment dann sagte er: „Ich bin übrigens Mate.“
„Liz“, murmelte ich und sah ihn schüchtern an. Mate machte den letzten Knoten in den Verband und half mir den Pullover auszuziehen.
„Ich hole mal kurz einen neuen, warte, ok?“
Ich nickte und sah ihm hinter her, wie er in ein Zimmer ging. Jetzt war die Möglichkeit zur Flucht. Dieser Mate war zwar total nett zu mir, netter als ein Erwachsener in den letzten Jahren zu mir gewesen war, doch ich konnte ihnen nicht trauen. Schließlich wollten sie mich mit Sicherheit in ihre doofe Bande zwingen. Möglichst lautlos stand ich auf und wollte gerade losschleichen, als mir der Geruch von heißer Schokolade und Brötchen in die Nase zog. Mein Magen fing wieder an zu knurren und mir lief das Wasser im Mund zusammen.
Vorsichtig pirschte ich in die Richtung und entdeckte die Küche. Ich kann ja immer noch später abhauen, beschloss ich und verschwand in die Küche. Nico hatte mir den Rücken zugedreht und bemerkte mich nicht. Ich schlich mich von hinten auf ihn zu, die Brötchen im Visier. Gerade als ich direkt hinter ihm stand und die Hand ausstrecken wollte schüttelte er den Kopf und lachte.
„Hier, dein Brötchen.“ Er drückte mir ein noch warmes Brötchen in die Hand.
Ich sah es mit leuchtenden Augen an und haps war es in meinem Mund verschwunden. Das war einer der Methoden um im Waisenheim zu überleben. Runtergeschluckt konnte es dir keiner mehr wegnehmen.
„He he, nicht so schnell!“, protestierte er und zog mir das andere Brötchen, nachdem ich gerade greifen wollte unter der Nase weg.
„Stück für Stück.“ Er gab mir ein kleines Stück, dann musste ich wieder warten.
„Bitte“, maulte ich und versuchte wieder das Brötchen in die Finger zu bekommen, doch er hielt mich mit seinem anderen Arm auf Abstand. Es brach ein Tumult los. Ich hatte es geschafft mich auf ihn zu stürzen und wir rollten uns über den Boden. Im Endeffekt stand ein wütender Mate in der Küchentür. Nico und ich waren unter den Tisch gerollt, und die eine Hälfte des Brötchen war in seinen Einzelteilen in der ganzen Küche verteilt, die andere steckte in meinem Mund.
„Das macht ihr Sauber! Alle beide!“ Mates Augen sprühten Funken. Ich schluckte das Brötchenteil hinunter und wir trollten uns unter dem Tisch hervor.
„Also, ich bin der Boss …“ , setzte Nico an, doch Mate schüttelte bloß den Kopf.
„Alle beide!“ Er kam auf mich zu und hielt mir einen blauen Pullover hin.
„He, der ist mir“, brummte Nico.
„Der hat wenigstens halbwegs ihre Größe“, entgegnete Mate seelenruhig und gab ihn mir. Ich stülpte ihn mir über den Kopf. Mir gefiel die Farbe und er roch nach Nico. Am liebsten währe ich schreiend im Kreis gerannt. Was war nur mit mir los? Der Pullover passte ganz gut, nur die Ärmel waren zu lang. Ungeschickt krempelte ich sie mir hoch, doch sie rutschten gleich wieder runter.
Mate lachte. „Warte, ich helfe dir.“ Mit einem atemberaubendem Tempo krempelte er die Ärmel hoch und nickte zufrieden. Einen Moment war es still, nur das leise Ticken der Küchenuhr war zu hörn. Alle schauten gleichzeitig auf. Halb eins. Normalerweise war ich schon seit drei einhalb Stunden im Bett.
„Ich bring dich erst mal ins Bett, Liz“, bestimmte er und streckte einen Arm nach mir aus. Ich folgte ihm aus der Küche. Plötzlich hielt Nico mich fest und sah mir in die Augen.
„Wir klären das Morgen.“
Ich streckte ihm die Zunge raus und flüchtete hinter Mate her um mich in Sicherheit zu bringen.
„Ok, ich nehme alles zurück. Sie ist heute Abend noch dran!“, knurrte Nico und versuchte mich zu packen.
Ich sprang vor Mate und hielt mich an ihm fest. „Nico will mir wehtun!“
Mate blieb verdutzt stehen und drehte sich leicht zu Nico um.
„Was?“
„Sie hat mir die Zunge rausgestreckt!“, konterte der.
„Gar nicht wahr“, log ich.
„Wenn ich dich in die Finger bekomme“, fluchte Nico, doch Mate schüttelte nur grinsend den Kopf.
„Wir haben halb eins. Sie muss dringend ins Bett. Irgendwelche Rachepläne könnt ihr Morgen vollstrecken.“ Er brachte mich in einen Raum wo ein Bett und ein Schreibtisch stand. Müde kroch ich unter die Decke und Mate machte das Licht aus.
„Schlaf schön.“ Eine wohlige Wärme machte sich in mir breit und ich schlief zum ersten Mal seit langem mit einem Lächeln im Gesicht ein.
Ich erwache auf. Es muss mitten in der Nacht sein, alles ist dunkel, nur die kleine Stehlampe hinter dem Sofa leuchtet schwach. Als ich mich leicht aufrichte merke ich, dass ich noch im Wohnzimmer bin. Ich liege auf Mates Schoß und Nico ist auf mich draufgerutscht. Nico? Was macht denn der hier? Ich kann mich nicht erinnern, dass er hier war, als ich eingeschlafen bin.
Mate hält immer noch ein Buch, wahrscheinlich ist er wieder beim lesen eingeschlafen. Ich halte einen Moment ganz still, höre nur die beiden atmen. Mit geschlossenen Augen sieht Nico irgendwie friedlich aus, man könnte gar nicht vermuten, dass er der Kopf einer größeren Diebesbande ist.
Ganz vorsichtig streiche ich ihm über die Haare. Sie sind weich, zumindestens weicher, als ich gedacht hatte und warm. Eigentlich will ich aufstehen, doch er liegt auf meinen Beinen und ich will ihn nicht wecken. Ich sehe mich in dem schwach beleuchteten Wohnzimmer um. Auf einem kleinen Tisch stehen Fotos von uns.
Eins von mir und Mate, wie wir gerade Eis essen. Eins wo ich kopfüber an der Schaukel hänge und Nico oben drauf mit einer Packung Schokolade. Ich muss grinsen. Die Bauchmuskelübungen habe ich am wenigsten gemocht. Beim letzten Foto stehe ich über das ganze Gesicht strahlend mit Mate zu hause. Ich zeige ganz stolz meinen neuen Schulranzen, während im Hintergrund Nico meine Schultüte ausraubt.
Ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich, nachdem das Foto entwickelt wurde, Nico durch die ganze Wohnung gejagt hatte. Langsam lege ich meinen Kopf wieder auf Mates Schoß und schließe die Augen. Ich schlafe wieder ein, meine Hand immer noch in Nicos Haar.
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Geheimagenten reden nicht
Teen FictionSeit sie aus dem Waisenhaus geflohen ist, arbeitet Liz für eine Verbrecherbande, deren Anführer der freche, zu allem Überfluss auch noch verflucht gutaussehnde Nico ist. Während Liz in ihrem Schulalltag kein Wort spricht, um ja nichts über die Bande...