Chapter 36

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Ich weiß nicht, wie lange ich so daliege, schließlich stehe ich auf, werfe ausversehen einen Blick in den Spiegel und seufze. Mein Gesicht sieht ziemlich verheult aus, kein Wunder.

Es ist schon fünf. Überrascht sehe ich auf die kleine Uhr auf meinem Schreibtisch.

„Fünf“, murmel ich. Bald kommen die anderen und dann müssen wir los. Ich seufze erneut, als ich wieder an meinen Auftrag denke.

Vorsichtig gehe ich zur Tür und lege ein Ohr an das Holz. Nichts zu hören.

Blitzschnell schließe ich auf, öffne die Tür und sprinte ins Badezimmer, bevor ich jemandem begegne.

Nach einer ausführlichen Dusche geht es mir zumindestens etwas besser und ich sehe wieder normal aus.

Hastig ziehe ich mir meine schwarzen engen Sachen an und sehe in den leicht beschlagenen Spiegel. Die schwarze Jacke schmiegt sich an meinen Körper. Es ist meine Lieblingsjacke, obwohl ich normalerweise keine engen Sachen mag. Dann noch eine ebenfalls schwarze Hose, darüber kommt noch mal eine Schicht normaler Klamotten, damit ich nicht auffalle, also einen blauen Pullover und eine beige Hose.

Als ich aus dem Badezimmer komme sind schon die ersten Leute da und begrüßen mich freundlich. Nico steht bei ihnen und sieht mich an.

Bewusst sehe ich an ihm vorbei und lächel die anderen an.

„Heute ist es also soweit.“ Ein Mann sieht sich den Gebäudeplan an, der auf dem Tisch liegt. Ich versuche die aufkommenden Gefühle zu unterdrücken und nicke.

„Ich brauche zwei Leute draußen und einen an der Hintertür“, sage ich möglichst ruhig.

„Ihr zwei seit schnelle Läufer.“ Ich deute auf zwei Männer mittleren Alters. „Der eine läuft mit dem Buch hier hin.“ Mein Finger fährt auf dem Papier eine Linie zu einer Baumgruppe. „Dort wartet Phil auf dich. Mit dem Fahrstil können sie uns gar nicht erwischen.“ Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich mache für mich einen Entschluss: Ich werde diesen Auftrag so gut meistern wie ich kann um es Nico zu zeigen! Und dann kann ich ja mal weitersehen.

Phil lacht ebenfalls. „Ich habe schon als kleines Kind gerne Autorennen gespielt.“

„Und wo soll ich hin?“, fragt der andere Läufer.

„Nach hier.“ Ich zeige ihm einen Weg durch ein paar Hintergassen, bis zu einer kleineren Kreuzung. „Hier wird sie auf dich warten.“Er lächelt die Frau an, auf die ich zeige.

„Jetzt sind nur noch drei Leute übrig. Mit dir.“ Ein Mann sieht mich an.

Ich nicke. „Ich habe mir gedacht, dass du bei den Wachen bleibst, wenn wir sie ausgenockt haben, um aufzupassen, dass sie nicht wieder zu sich kommen.“

„Plus Elektronik?“

„Ja, wäre super.“

„Und was soll ich tun?“, fragt in dem Moment Nico.

Kalt sehe ich ihn an. „Du bist der, den ich für die Hintertür gedacht habe. Du kannst schnell laufen und, … und mir Rückendeckung geben.“

Er nickt. „Ok, kein Problem.“

„Ich weis“, denke ich und sehe auf den Boden.

„Und ich gehe erst nach oben. Auf den Toiletten sind keine Kameras, also können wir nach den Putzleuten auch aus diesem Schacht raus. Dann geht’s los: Du“, ich deute auf den Mann, der sich um die Wachen kümmern soll, „gehst los und wenn alles ok ist piepst du uns an, ok?“

Er nickt und grinst. „Cooler Plan, gefällt mir!“

Erleichtert lächel ich auch. Hoffentlich klappt auch alles.

„Die Läufer müssen sich auf das Piepen hin in die Nähe der Hintertür stellen und Nico muss sie knacken“, erkläre ich weiter, wobei ich auf den Gebäudeplan sehe.

„Ich komme dann die Treppe hinunter, schnappe mir noch das Buch und gebe die zwei Sachen den Läufern. Ach ja, auf dem Weg nach unten sammel ich dich im Wachraum ein“, nicke ich zu dem Mann.

„Und dann rennen wir?“, fragt Nico und verlagert seinen Schwerpunkt.

„Ja. Unser Wachmann-Mann läuft zu der Allee hier und von da aus zurück. Nico und ich“, ich stocke einen Moment. Warum hatte ich mir den Plan auch ausgedacht, bevor ich mich so mit ihm gezankt hatte? Nein – bevor er mich verraten hatte.

„Dann können wir ja los“, lacht Nico und bindet sich unter seinem roten Tarnpullover seine Lieblingswaffe um.

„Nur für alle Fälle“, meint er, als er meinen entgeisterten Blick bemerkt. Ich – die einen Moment vergessen hatte auf ihn sauer zu sein – schaue wieder finster. Warum sieht er auch so bildhübsch aus, wenn er lächelt?

„Gut. Wir haben jetzt halb sechs. In zwei Stunden macht dieses Museum zu. Wir sind in zehn Minuten da, also gehen zuerst, …, du und Nico rein, dann ich“, sagt der eine Mann.

„Und warum wir zwei?“, frage ich entrüstet.

„Ihr könnt ein Liebespaar spielen. Bei uns ist leider der Altersunterschied zu groß.“ Er grinst mich an und ich hoffe, dass ich nicht rot werde. Das wäre wirklich peinlich.

„Was hältst du von der Idee, Süße?“ Nico legt einen Arm um mich und lächelt sein Nico-Lächeln.

„Gar nichts, aber ok“, knurre ich und stoße ihn von mir.

Mate, der sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hat, kommt auf mich zu und schließt mich dann ganz fest in seine Arme.

Ich rieche seinen angenehmen Geruch und noch ganz leicht Zigarette in seinem Pullover. Hoffentlich hat er sich nicht zu viele Sorgen gemacht.

„Pass auf dich auf und komm mir heil wieder!“, murmelt er in meine Haare und erdrückt mich fast.

„Ich hab dich lieb“, flüster ich. „Ich schaff das schon.“

„Da bin ich mir ganz sicher!“ Er strahlt mich an, dann gehen wir zur Tür und er winkt mir. „Ich warte so lange, bis du zurück kommst.“

Am liebsten wäre ich ihm noch mal um den Hals gefallen, doch wir müssen los. Ich schenke ihm noch schnell ein Lächeln und gehe dann nach draußen.

Es ist leicht kühl, sodass ich meine Atemwölkchen sehen kann. Wir fahren mit zwei Autos los, die beiden, die für unsere Flucht später bereit stehen.

Phil fährt uns bis in die Nähe des Museums, dann müssen wir laufen.

Er nickt mir noch mal zu, dann fährt er an den Punkt, wo er jetzt zwei Stunden warten muss. Irgendwie tut er mir leid.

Nico und ich gehen schweigend nebeneinander her.

„Liz, wegen heute Morgen“, fängt er an, doch ich unterbreche ihn.

„Schon ok.“ Meine Stimme ist sogar noch kälter, als beabsichtigt.

„Nein, hör mir zu …“, versucht er es noch mal, doch ich schüttel nur den Kopf.

„Es spielt doch sowieso keine Rolle! Ich mache diesen Auftrag und das war’s.“

Er sieht leicht bekümmert aus, doch dieser Ausdruck verschwindet ebenso schnell, wie er gekommen ist.

Nach weiteren Schritten bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob er wirklich da war.

Geheimagenten reden nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt