Chapter 38

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Ich drehe mich um und laufe. Laufe so schnell ich kann, die Sirenen sind jetzt so laut, dass sie in den Ohren wehtun.

Für diesen Moment spüre ich weder Schmerz noch Erschöpfung, meine Beine sind taub. Plötzlich zuckt blaues Licht über die Wände. Sie sind da.

Wie in Trance jage ich die vielen Stufen nach oben, erreiche das Buch in seinem Kasten, schlage mit einem kleinen Hammer an meinem Gürtel die Scheibe ein und nehme es vorsichtig heraus.

„Stopp, du Dieb!“

Entsetzt fahre ich herum und stehe einem Sicherheitsoffizier direkt gegenüber.

Diesmal bin ich froh, dass es so dunkel ist. Zumindestens hoffe ich, dass er mein Gesicht nicht erkennt.

Ich versuche an ihm vorbei zu laufen, doch er packt mich. Sofort fange ich an zu zappeln, obwohl ich den Mund zu einem Schrei geöffnet habe, kommt kein Ton heraus.

Ich habe versagt. Der Satz geistert in meinem Kopf herum, lässt alle Müdigkeit und Erschöpfung mit einem Schlag über mich hereinbrechen.

Meine Bewegungen werden langsamer, ich zucke nur noch. Auf einmal geht mit einem lauten Klicken und Knacken das licht wieder an und ich muss für einen Moment die Augen schließen.

„Das war’s mit Klauen!“ Der Mann schüttelt mich ein bisschen.

Ein letztes Mal versuche ich noch mal alle Kraft aufzubringen, doch in dem Moment höre ich Schritte auf der Treppe. Viele Schritte.

Mindestens zehn Polizisten kommen hinein gestürmt.

Mein Angreifer lässt für eine Sekunde locker und ich reiße mich los.

„Stehen bleiben!“ Ich werde mit einer Taschenlampe geblendet, deren Licht deutlich heller ist als das der spärlich flackernden Deckenlampen. Instinktiv reiße ich die Hände vors Gesicht, dreh mich um und flüchte zu der Notausgangstür.

Ein Polizist springt mir in den Weg. Mit einen erstickten Schrei weiche ich ihm aus, sehe mich noch mehr Leuten gegenüber, ducke mich, drehe mich um meine eigene Achse, und sause an ihm vorbei.

Jetzt habe ich die Feuertür fast erreicht, als mich jemand am Arm festhält.

Ich schreie, beiße, kratze und schaffe es noch ein Stück weiter zu meinem rettenden Ausgang zu kommen, als mich noch mehr Leute packen. Doch das Buch lasse ich nicht los, klammere mich daran fest, wie an einen Anker.

Meine Finger schwitzen und zittern, trotzdem schaffe ich es, eine kleine Rauchbombe aus meinem Gürtel zu fischen.

„Was … passt auf!“, ruft eine Frauenstimme, doch da habe ich die Bombe schon fallen gelassen. Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen, dann kommt das kleine Ding auf dem Boden an, zerbricht und sofort sind wir von dickem, weißem Rauch eingehüllt. In der allgemeinen Verwirrung schaffe ich es, mich zu befreien, reiße die Tür auf und befinde mich auf einer Feuerleiter.

Ohne groß nachzudenken sprinte ich die enge Treppe hinunter, als ich plötzlich ein surrendes Geräusch über mir höre.

Der Helikopter scheint unheimlich nah zu sein, er wirklich riesig groß und meine Haare wirbeln wie wild um meinen Kopf.

Ein Leuchtstrahl, dick und gleißend hell tastet sich über den kleinen Platz hinter der Museum.

Hat dieser Museumsdirektor etwa eine ganze Privatarmee hier her geschickt?

Ich erreiche das Ende der Treppe und stürze in den Hinterhof, wo schon einige Polizisten sind. Dann entdecke ich Nico, er wird von zwei Beamten festgehalten und diskutiert wild mit ihnen. Ich kann kein Wort verstehen, der Helikopter ist einfach zu laut. Mein Herz klopft so stark, das ich das Gefühl habe zu zerspringen. Sie haben ihn.

Zitternd bleibe ich stehen, meine Haare werden immer noch von dem Sog der Rotoren hin und her gerissen, dass Buch fest an mich gedrückt. Hinter mir kommen schon die ersten Polizisten die Feuerleiter hinunter, als Nico mitten im Diskutieren abbricht und zu mir hinüber sieht.

Jetzt haben mich auch die anderen Leute gesehen, doch bevor irgendjemand etwas tun kann, reißt Nico sich los und rennt auf mich zu.

Ich schließe die Augen. Das war’s, denke ich und fühle mich auf einmal seltsam taub.

Dann spüre ich seine starken Arme, wie sie sich um mich schließen und seinen warmen Körper.

„Was hast du dir dabei gedacht?!“ Er klingt wütend und sehr aufgebracht, doch trotzdem glaube ich noch etwas anderes in seiner Stimme zu hören.

Ich bringe keinen Ton über meine Lippen.

„Wie konntest du mir das antun?“ Er umarmt mich so fest, dass ich keine Luft mehr bekomme.

„Ich, … du hast gesagt, dass das der Moment ist, um zu entscheiden, ob es sich gelohnt hat“, bringe ich schließlich hervor.

Sein Körper bebt. „Du Dummerchen, dass war doch nicht so gemeint“, flüstert er, sein Mund direkt neben meinem Ohr. Plötzlich merke ich, dass ich angefangen habe zu weinen.

Plötzlich findet uns der helle Lichtstrahl des Helikopters. Durch den Tränenschleier sehe ich Nicos zerzauste Haare direkt vor mir, zum greifen nahe, jede Strähne scheint von einem silbernen Glanz überzogen zu sein.

„Ich wollte, hicks, keine Last sein“, schniefe ich während mir weiter Tränen über die Wangen rollen.

Nico nimmt mein Gesicht in beide Hände, seine dunkel und stürmischen Augen sehen in meine.

„Ach Liz“, murmelt er, dann kommt er mir plötzlich näher und drückt seine Lippen auf meine.

Nicos Kuss ist viel zärtlicher, als ich gedacht habe und sein rechter Arm ist fest um mich geschlungen, als meine Knie nachgeben.

Um mich herum ist alles still, ich habe das Gefühl von Watte umgeben zu sein.

Dann bricht der ganze Lärm wieder über mich herein, ich öffne die Augen und sehe seine direkt vor mir.

Nico hält mich immer noch fest, er riecht einfach umwerfend. Ich habe das Gefühl zu platzen vor Glück.

Die Polizisten kommen von allen Seiten auf uns zugerannt.

„Und jetzt zeige ich dir, wie man so was richtig macht“, neckt er mich, und zieht mich mit sich. Ich stolper ihm hinter her, wir erreichen ein niedriges, jedoch sehr schiefes Dach.

„Stehen bleiben, Polizei!“, brüllen Stimmen hinter uns, doch ich beachte sie gar nicht.

Ich kletter auf das Dach, Nico hinterher.

Die Ziegel sind verdammt glatt und ich rutsche ab, doch Nico packt mich, bevor ich abstürzen kann.

„Komm, wir haben es gleich geschafft.“ Er zieht mich das letzte Stück bis oben an die Kante, dann rutschen wir auf der anderen Seite wieder hinunter, landen in einer kleinen Ecke und rennen.

Blind jage ich ihm hinter her, vertraue einfach darauf, dass er weiß, wohin er läuft, dass Buch habe ich immer noch fest umklammert.

Schließlich werden die Häuser weniger, wir laufen einen Feldweg hoch und ich erkenne den Ort mit der Bank sofort wieder.

Schwer atmend stütze ich mich auf meine Knie und schließe die Augen. Wir sind entkommen.

Ich lasse mich einfach ins Gras fallen und als ich nach oben sehe, sehe ich unheimlich viele Sterne.

„Wunderschön, nicht?“ Nico legt sich neben mich und schließt die Arme ganz fest um mich.

Ich kuschel mich dicht an ihn und schließe die Augen. Alles kommt mir so weich und angenehm vor, als letztes spüre ich seien Kuss auf meinen Lippen, dann schlafe ich erschöpft, aber überglücklich ein.

Geheimagenten reden nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt