Frau Einsamkeit

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Fräulein Einsamkeit ist wieder da.
Hat Kekse und Kuchen mitgebracht und sich neben mich gesetzt.
"Na, altes Haus. Da sind wir wieder!"
Ich kann ihre Euphorie nicht teilen. Blicke sie nur an, nicke etwas hilflos. "Och, jetzt lass dich nicht so hängen, so schlimm bin ich nicht." Ein verräterisches Lächeln huscht ihr übers Gesicht.
"Ehrlich gesagt", ich greife nach einem Keks, "wäre es mir lieber gewesen, wir hätten uns erstmal nicht so schnell wiedergesehen."

Ein Krümel hängt mir am Mundwinkel, wenn Fräulein Einsamkeit zu Besuch kommt, esse ich immer zu viel. Sie grinst. "Ja, ja schon klar, wäre schön, du könntest deine Träume und Wünsche und das ganze Blabla mal mit jemand anderem teilen als mit mir, aber hey, immerhin höre ich dir sehr geduldig zu". Sie hängt ihren Mantel der Verschwiegenheit an meinen Gaderobenständer und geht in die Küche.
"Aber du bist langweilig", rufe ich zickig hinterher.
"Kann schon sein", sie kramt nach einer Tasse in meinem Schrank, "und trotzdem lädst du mich immer wieder ein. Du kannst ja auch rausgehen und dich amüsieren. Du musst nicht mit mir hier sein."
Ich brummel vor mich hin. Es nervt mich, dass sie da ist. Und es nervt mich, dass sie Recht hat.
"Außerdem weiß ich gar nicht, was du hast", erklärt sie weiter, "ich bin zumindest ehrlich zu dir. Ich schlafe nicht mit dir und verspreche ein Leben zu zweit, nur um dich dann wieder zu verlassen. Ich mache dir nichts vor, lüge dich nicht an oder beschönige irgendwas. Ich lasse dich genauso wie du bist. Schau dich doch an: du sitzt hier noch in Trainingshose und Sturmfrisur. Störts mich? Nein."

Sie stellt mir einen Kaffee hin.
"Ja, schon klar. Aber trotzdem will ich nicht, dass du immer noch hier auftauchst."
Sie lacht. "Ja, ja, irgendwann, wenn du deinen Traumman findest, dann kann ich ja gehen. Wobei wir beide wissen, dass ich auch ein gern gesehener Gast in Beziehungen bin. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Affären ich mit verheirateten Menschen habe. Nur weil jemand in einer Beziehung ist, heißt das nicht, dass er Fräulein Einsamkeit nicht kennt." Sie zwinkert mir zu.

Ich trinke den Kaffee und tippe lustlos auf meinem Handy rum.
Fräulein Einsamkeit setzt sich neugierig neben mich.
"Oh oh, sieh an, sieh an. Madame hat über vierhundert Freunde auf Facebook. Und sitzt trotzdem hier mit mir rum. Sollte ich mich geschmeichelt fühlen? Oder bist du einfach soziophob?" Sie scrollt über meinen Display, "und wer ist dieser Sven, der dir da immer schreibt und Jan und... was ist los mit dir? Wenn ich das so sehe, haste doch genug Alternativen zu mir?"
Ich zucke mit den Schultern. "Kann schon sein..."
Fräulein Einsamkeit setzt ihren investigativen Blick auf:
"Ha, höre auf, mich zu beschimpfen, wenn du hier gar nicht mit mir sitzen müsstest. Oder bist du mal wieder unglücklich verliebt?"
Ich antworte nicht und greife lustlos nach einem Schokoladenkeks.
Sie verdreht die Augen, "lass mich raten, er ist ja sooo toll, und sooo witzig. Mensch, echt. Wenn er sooo toll ist, warum sitzt er dann nicht hier, sondern ich?"
Schuldbewusst rühre ich in meinem Kaffee. "Hast ja recht, hast ja recht. Aber ich vermisse ihn. Und ich will gerade niemanden anderen. Und wenn du da bist, vermisse ich ihn am meisten. Aber ich kann es ja auch nicht ändern."

"Weiß du, was ich manchmal glaube", sie zwickt mich in die Schulter, " ich glaube, dass du mich eigentlich doch ganz gerne magst. Aber das willst du nicht zugeben, weil die meisten Menschen ein bisschen Angst vor mir haben. Weil ich ihnen ehrlich ins Gesicht sage, wer sie sind. Weil ich sie nicht ablenke oder anlüge. Aber die meisten Menschen wollen abgelenkt werden, weil keiner Lust hat, sich mit sich selbst zu beschäftigen."
Das stimmt. Und es stimmt, dass ich es manchmal schön finde, wenn Fräulein Einsamkeit da ist. Sie hört mit mir meine Lieblingsmusik, meckert nicht rum, wenn ich nicht aufgeräumt habe und sie will abends, wenn meine Lieblingssoap kommt, nicht lieber die Tagesthemen sehen.

"Vor was hast du denn Angst?" Sie blickt mich an.
"Ich hab einfach Angst, dass du irgendwann nicht einfach nur noch zu Besuch kommst, sondern dass du hier einziehst."
"So ein Blödsinn", sie schneidet ein Stück Kuchen ab, "ich werde hier nicht einziehen, vorher holste dir ein paar Katzen." Sie grinst. "Außerdem bin ich auch nur da, weil du unglücklich verliebt bist. Und das wissen wir beide. Du hast gerade keine Lust auf andere Menschen, insbesondere Männer. Und das kann ich auch verstehen, aber das wird auch wieder anders werden. Und dann kommt der Zeitpunkt, wo du froh sein wirst, wenn ich mit Keksen und Kuchen vorbeikomme. Aber so lange musst du mich einfach noch ein bisschen ertragen, denn es ist immer noch besser mit mir in Trainingshose Kekse und Kuchen zu essen, als bei ihm zu sein und dir dein Herz brechen zu lassen."
Ich seufze. Ja, manchmal ist es auch gut, wenn Fräulein Einsamkeit zu Besuch ist.

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