Das Kind in mir

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Willst du meine Flügel stutzen?
Meinen Leichtsinn nutzen
um selbst zu schweben
Abzuheben – das Leben
von oben zu genießen.
Lass mich sprießen
und reiß nicht meine Wurzeln heraus.
Bau mir kein Backsteinhaus
um es weg zu pusten.
Holst dir nur Husten
vom mir ins Gesicht blasen.
Nimm deine Pflichtphrasen
aber lass mich verschont.
Und wer im gläsernen Käfig wohnt
sollte nicht mit Steinen spielen.
Und solltest du auf das Meine zielen
fürchte nicht der Scherben Schnitte.
Oder der Zeiten Tritte
wenn sie dir davon rennt.
Und wer die Antwort kennt
möge sprechen, oder für immer schweigen.
Möge gehen oder für immer bleiben.

Lass mich dir zeigen.

Ich lass dich sehen was vorher blind war.
Lass neu entstehen was früher Kind war.
Damals war Freiheit noch kein Ideal.
Philanthropisch gedacht aber wenig real.
Sondern lebhaft und kein Gedankenkonstrukt,
keim traumkonzipiertes Wunschprodukt.
Es war aufstehen, raus gehen
die Welt bunt und nicht grau sehen.
Engelsflügel in Schneemassen drücken
Bonbonsträucher am Straßenrand pflücken.
Als auf deinen Wangen
der Klatschmohn blühte
vom rennen und fangen
alles hitzig heiß glühte.
Das war Paläste und Burgen im Sandkasten bauen
Auf Herz anstatt Verstand vertrauen.
Das waren Wolkenfiguren, aus Watte geformt
Die Gedanken noch frei und nicht telegenormt.
Das war Tautropfen von Blüten lecken
geschmolzenes Eis von Fingern schlecken
Finger im Wald verdrecken
Sich in Labyrinthen verstecken
und hinter Ecken
mit Staunen und Schrecken
sich selbst entdecken.

Zwei Streifen allein
ließen dich Indianer sein.
Ein Bein – von der Couch auf den Tisch
denn der Boden ist Lava und tötet dich.
Zwischen Stühlen von Decken bedeckt
bauten wir unser Höhengeheimversteck.
Das war Fensterscheiben anhauchen,
Finger in den Dunst tauchen
und Strichmännchenkunst taufen.
Auf Zehenspitzen zwischen Ritzen laufen
laut aus Nüstern schnaufen
und denken es wäre Drachenfeuerrauch.
Alles erdacht aber echt war es auch.
Genauso echt, wie alles, das ist
So lange du deiner Sache sicher bist.

Als die Welt sich noch nicht -spiegelverkehrt und plasmaverzerrt – bricht
und ein weißes Kaninchen noch Wunder verspricht.
Wo die Leichtigkeit des Seins noch darin bestand
das man Heil in den Momenten fand.
Man nicht im Vergangenen lebte,
was nie wieder sein wird.
Man nicht nur nach Zukunft strebte,
was einmal passiert.
Sondern in Gegenwart, dem Augenblick,
mit Leib und Seel' zu Hause ist.
Als man Ameisenkolonien,
ihre disziplinäre Monotonie,
bestaunte und irgendwie spannend fand.
Und nicht selber in Reih und Glied Schlange stand.
Man nach Glück und nicht nach Arbeit strebte
nicht nach der Macht des Gehaltes lebte
sondern Halt gemacht hat- im Tunnel.
Wo es schallt wenn man gelacht hat.
Man nicht auf Überschall schaltete um im Plan zu bleiben,
sondern Plan-, Kursdaten-, Karten- und Leinen los im Strom der Zeit zu treiben.
Als man dir sagte: „Was willst du mal werden?“
Statt „Vorsorge treffen, dann Rente und sterben.“
Du wolltest immer groß sein. Nun bist du groß und weltgewandt.
Aber die Tür zum Wunderland - die bleibt klein.
Jetzt kannst du weinen und weinen und weinen
bis du ersoffen bist.
Oder lernst, wenn man betroffen bist,
Hilft manchmal ein kleiner Schluck Schlupflutsch
und ruckzuck ist man durchs Schlupfloch durchgeflutscht.
Aber auf deinen Partys wird kein Tee mehr ausgeschenkt.
Niemand mehr, der seinen Hut aufhängt
oder dir ein Grinsen schenkt.

Sag, wann hast du es verlernt?
Dich abgewandt und entfernt.
Dich so weit aus dem Fenster gelehnt
bis der Boden der Tatsachen dich empfing.
Für den „Hans-guck-In-Die-Luft“ geschämt
bis der Himmel ein Stückchen tiefer hing.
Du wolltest keine Phantasiewelten
sondern die Realität.
Wo echte Regeln gelten,
nach denen es zu leben geht.
Kein Firlefanz!
Hokus-Pokus, EinZweiDrei,
Kein Walpurgisnacht Tanz,
sondern Walzer, Gleichschritt, Eins und Zwei.
Und auf Bäume kletterst du schon lange nicht mehr.
Nur Karriereleitern empor, das sei auch sehr schwer.
Natürlich hast du Bilder durch Schriften ersetzt.
Wissen mehr als Phantasie geschätzt.
Erinnerungen verstauben jetzt
in Kisten unterm Bett versteckt.
Und nur manchmal noch klaubst du sie hervor
hebst ganz sachte den Deckel empor.
Ein Hauch Melancholie,
du blickst hinein.
Denn du weißt nie
wird es wieder so sein.
Vielleicht ist es auch gut
auf jeden Fall gehört's dazu.
Erwachsen werden ist eigentlich ganz leicht,
so lange das Kind in dir nicht von deiner Seite weicht.

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