Kapitel 34

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Gelangweilt spiele ich mit dem pinken Radiergummi am Ende meines Bleistiftes, während unsere Deutschlehrerin gerade ein Gedicht vorträgt. Am liebsten würde ich gerade einfach meinen Kopf auf den Tisch legen. Sogar eine schlechte Ausrede hätte ich bereit, wenn man mich erwischen würde. Ich hasse Gedichte und besonders diese, die kein Schwein versteht. Wie kann ein Mensch nur auf so eine Idee kommen? Ich meine, kann man nicht einfach mal alles so formulieren, dass man das Geschriebene auch versteht.

Laut seufzend wende ich meinen Blick ab und starre ich aus dem Fenster und versuche irgendwas anderes zu finden, was meine Aufmerksam verdient. Scheinbar habe ich meiner Langeweile jedoch zu laut Luft gemacht, was mir klar wird, also meine Lehrerin sich mit einer säuerlichen Miene an mich wendet: "Langweile ich sie, Miss Freeman?" Sofort wende ich meinen Blick wieder der Frau zu und stottere: "Äh, nein. Ich habe nur ..." Wie wild suche ich nach einer Ausrede. "Die wunderschöne Architektur des Fensters betrachtet", erkläre ich wie in Zeitlupe und schaue die Lehrerin dann unschuldig an. Still bete ich, dass ich den Unschuldsblick noch so gut drauf habe wie früher. Kopfschüttelnd wendet die Pädagogin sich wieder ihrem Gedicht zu und liest weiter. Erleichtert atme ich durch und beginne mit meinem Bleistift auf dem Karopapier meine Collegeblockes herum zu kritzeln und fast schaffe ich es mit meinen Gedanken der Realität zu entfliehen, doch dann trifft mich plötzlich ein Zettel am Kopf und holt mich zurück ins hier und jetzt.

Verwirrt drehe ich mich zur Bankreihe hinter mir um und erblicke Morgan, die hinter mir sitzt und genauso gelangweilt zu sein scheint wie ich selbst. Fragend sehe ich sie an. Mit ihren Lippen formt sie einige Worte und scheint zu denken, dass ich es verstehe, doch mit einem Kopfschütteln bedeute ich ihr, dass sie da falsch liegt. Ich war noch nie gut im Lippenlesen. Genervt verdreht sie die Augen und deutet dann auf ein kleines, zusammengeknülltes Papier, welches einige Meter von meinem Stuhl entfernt auf dem Boden liegt.

Nun verstehe ich endlich, was sie von mir will und zeige beide Daumen nach oben, bevor ich überlege wie ich wohl, möglich unauffällig zu dem kleinen Zettelchen gelangen kann. Wieso kann meine Freundin nicht einfach bis zur Pause warten und dann sagen, was sie zu sagen hat? Noch nie war ich ein Fan diesem komischen Zettelsystem, welches in der ganzen Schule verbreitet zu sein scheint.

Obwohl ich weiß, dass es eine schlechte Idee ist, nehme ich meinen Bleistift in die Hand und wende eine Taktik an, die ich schon oft bei anderen gesehen habe. Schnell werfe ich den Stift neben den Zettel und setze dann eine total überraschte Miene auf. Dann klettere ich von meinem Stuhl runter, krabbele über den Boden, bis ich am Zettel angekommen bin und stecke diesen so schnell in meine Hosentasche, dass es keiner sehen kann, weil ich keine Lust darauf habe, verraten zu werden. Dann nehme ich auch den Stift und husche geduckt zurück zu meinem Stuhl, um mich wieder darauf fallen zu lassen.

Erneut drehe ich mich zu meiner Freundin zu, die mir grinsend zugesehen hat, und zeige ihr erneut einen Daumen nach oben. Sie nickt mir dankbar zu, was mich dazu verleitet mich wieder nach vorne zu drehen und das Papier aus meiner Tasche zu ziehen.

Interessiert falte ich das kleine Papier auseinander und lese, was darin steht. Meine Augen fliegen über die Wörter und spüre dabei, wie mir plötzlich heiß wird und die Röte mir in den Kopf steigt. Innerhalb von wenigen Sekunden muss ich mich in eine Tomate verwandelt haben und traue mich nicht meinen Blick zu heben. Am liebsten würde ich den Zettel in tausende kleine Stücke reißen, damit nichts geschieht. Auf dem Zettel macht sie lauter Andeutungen darauf, dass Cameron etwas von mir will und weist mich darauf hin, dass Cameron mich die ganze Stunde lang anblickt.

Schell hebe ich, mit roten Wangen, den Kopf und blicke zu Cameron, der neben mir sitzt. Unsere Blicke treffen sich und ich betrachte seine schönen braunen Augen, die plötzlich, fast magisch, zu leuchten beginnen. "Cameron, was ist mit deinen Augen los?", frage ich leise flüsternd. Schnell beginnt er mehrmals hintereinander zu blinzeln, weil er wahrscheinlich hofft, dass das Leuchten verschwindet, aber das tut es nicht. "Wovon kommt das?", flüstere ich eindringlich. Unsicher blickt Cameron um sich, bevor er näher an mich heranrückt und mir dann ins Ohr flüstert: "Bald ist wieder Vollmond und einige Tage vorher zeigt mein Körper schon wenige Anzeichen zum Beispiel leuchten meine Augen dann, die dies sonst nur tun, wenn ich mich verwandle oder kurz davor bin." "Das bleibt also den ganzen Tag so?", frage ich geschockt und hoffe, dass seine Antwort meine These widerlegt. Glücklicherweise werde ich nicht enttäuscht: "Nein, nur hin und wieder. Besonders kurz vor der Verwandlung ist es schlimm." "Wann ist das? Etwa eine Woche. Mach dir keine Sorgen", erklärt er und schaut wieder nach vorne, ist aber scheinbar noch nicht fertig: "Kann ich nachher mit dir essen?"

Verwundert blicke ich ihn an. Im Gegensatz zu mir, scheint er das Thema für fertig besprochen zu halten. "Ich esse eigentlich immer mit Kyle und Morgan", enttäusche ich ihn. Traurig sieht er mich an und ich sehe, wie ein wenig Hoffnung in seinen Augen schimmert, als er vorschlägt:"Ich kann mich doch zu euch setzen. Dann kannst du mit deinen Freunden und mit mir essen und später komme ich dann mit zu dir und wir verbringen gemeinsam Zeit."

Mir geht das alles viel zu schnell und ich fühle mich total überfordert, als ich zu stottern beginne: "Äh, ich muss erst Morgan fragen, ob es okay für sie ist. Wenn sie ja sagt, kannst du mit mir essen. Wenn nicht, dann nicht, in Ordnung?" Er seufzt: "Na gut, kann ich denn danach mit zu dir kommen?" "Wieso musst du mir etwas total Wichtiges sagen", necke ich grinsend. Einen gespielt beleidigenden Gesichtsausdruck aufsetzend, kontert er: "Es ist für mich immer wichtig Zeit mit dir verbringen und ich würde am liebsten vierundzwanzig Stunden an deiner Seite sind, Kat." Unsicher beginne ich mit dem Bleistift auf meinem Tisch herum zu kritzeln, bis ich nachgebe: "Okay, du kannst mit zu mir kommen, aber ich muss wirklich erst Morgan fragen, ob sie noch etwas mit mir machen will. Meine Freunde sind für mich, genauso wichtig, wenn nicht noch, wichtiger also du. Zwar sehe ich, dass er schmollt, aber trotzdem akzeptiert er meine Antwort und dafür bin ich ihm unglaublich dankbar.

Garvin LakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt