Kapitel 39

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Am frühen Sonntagmorgen nehme ich plötzlich wie aus weiter Ferne die leisen Stimmen einiger Menschen in meiner Nähe, die mich aus dem Schlaf reißen. Erst will ich versuchen mich einfach umzudrehen, die Stimmen zu ignorieren und weiter zu schlafen, doch das erweist sich als unmöglich, als ich mit meinem Bein auf einmal gegen etwas Hartes neben mir stoße. Verwundert runzele ich die Stirn und öffne dann ganz langsam die Augen. Um mich an das grelle Licht in meinem Zimmer gewöhnen zu können, blinzele ich mehrmals nacheinander, woraufhin sich auf mein Blick schärft.

Sofort erkenne ich Camerons Bein, gegen das ich gestoßen bin. Im Schlaf scheint mein Nachbar seine Beine um meine Hüften geschlungen zu haben, während ich meinen Kopf auf seine Brust gelegt habe. Nachdem ich mehrmals in meinen Erinnerungen gegraben habe, kann ich mir auch endlich erklären, warum er kein Oberteil trägt.

"Katherine Freeman", als die laute Stimme meiner Mutter plötzlich links von meinem Ohr zu hören ist, erschrecke ich total und zucke zusammen: "Was hat das zu bedeuten, Fräulein!" Oh Gott, sie benutzt meinen vollen Namen. Das tun Mütter sonst nur, wenn sie richtig, richtig wütend sind, was scheinbar auch in diesem Moment der Fall ist.

Geschockt versuche ich sofort mich aufzusetzen und Cameron von mir weg zu schieben, doch er klammert sich, noch im Halbschlaf, fester an meine Taille und hindert mich daran. Seinen Kopf lenkt er gegen meinen eigenen und seufzt leise, was eigentlich ziemlich süß wäre, wenn meine Mutter nicht daneben stehen würde.

Der wütende Blick auf meiner Mutter ist unverkennbar und am liebsten würde ich im Boden versinken. Glücklicherweise ist mein Mate noch nicht richtig wach, sonst würde er wahrscheinlich alles nur noch schlimmer machen. Darauf wette ich, schließlich schafft er das sonst auch immer wie ein richtiges Naturtalent.

Als ich endlich wieder alles richtig sehen kann und wirklich wach bin, erblicke ich nun auch meinen großen Bruder Ryder, der sich entspannt gegen den Türrahmen gelehnt halb im Zimmer steht und das ganze Geschehen amüsiert beobachtet. Wenn er will, kann er richtig schadenfroh sein. Nachvollziehen kann ich es jedoch, dass er die ganze Situation lustig findet, schließlich würde ich nicht wirklich anders reagieren, wenn nicht gerade ich in dieser Situation wäre.

"Es ist nicht so, wie es aussieht, Mom", versuche ich ihr stotternd klar zu machen. Irgendwie fühle ich mich verdammt ertappt: "Gestern Abend war es doch so spät und wir waren beide so müde, also habe ich Cameron gefragt, ob er hier schlafen will. Das ist alles!" Ein verächtliches Schnaufen entfernt meiner, sonst so entspannten Mutter, doch, wie so oft, wird sie unberechenbar, wenn sie einmal ihren Beschützerinstink aktiviert hat.

Aus dem Augenwinkel bemerke ich in diesem Moment, dass nun auch Cameron aus seinem Halbschlaf erwacht ist und sich müde blinzelnd umsieht. "Was ist denn hier los?", fragt er mit einer kratzigen Stimme, was wohl daran liegen muss, dass er die ganze Nacht mit offenem Mund geschlafen zu haben scheint. Das kenne ich selbst, nämlich nur zu gut. "Cameron Elliot Ross", beginnt meine Mutter mit ihrer nachwievor wütenden und skeptischen Stimme, doch dieses Mal geht mein Bruder dazwischen, während ich versuche mit der Tatsache klar zu kommen, dass meine Mutter gerade meinem Freund eine Ansage machen wollte. Wieso erinnert sie sich überhaupt noch an seinen Zweitnamen? Daran konnte ich mich ja selbst, bis grade, nicht mehr erinnern.

"Entspann dich, Mom. Wenn Katherine sagt, dass nichts geschehen ist, dann kannst du ihr das glauben oder denkst du, dass sie dich deshalb anlügen würde?", fragt meinen Bruder nun schnell und klingt dabei ziemlich vorwurfsvoll. Genervt verdreht sie die Augen: "Nein, ich vertraue Katherine, aber diesem Jungen nicht." Sie deutet auf Cameron, der daraufhin zusammen zuckt, weshalb ich meiner Mutter einen wütenden Blick zu werfe: "Ich bin fast achtzehn Jahre alt und ich weiß genau mit wem ich mich abgebe, Mom. Lass mich doch einfach selbst entscheiden. Ich bin verantwortungsbewusst genug." Scheinbar erinnert sich meine Mutter nun doch wieder, dass ich mich nicht mehr die kleine, zehn-jährige Kitty, sondern die siebzehn-jährige Katy bin. "Na gut, ich vertraue darauf, dass du weißt, was du da tust, Schatz", sind ihre letzten Worte, bevor sie sich an meinem Bruder vorbeischiebt und den Flur entlang, bis in die Küche, rauscht.

Erleichtert lasse ich mich wieder tiefer in die Kissen sinken und starre für wenige Sekunden auf die weiße Decke über mir. Dann drehe ich meinen Kopf in Richtung Ryder, der gerade dabei ist, aus dem Zimmer zu verschwinden, doch ich halte ihn auf: "Hey, Ry." Er bleibt kurz vor der Tür stehen und dreht sich zum mir herum: "Ja, Katy?" Ein breites Lächeln hat sich auf seinem Gesicht ausgebreitet und sein Blick huscht immer wieder zwischen Cameron und mir hin und her. Fast wie automatisch färben sich meine Wangen knallrot und ich winke abwehrend mit den Händen: "Das ist nicht so, wie es aussieht." "Wirklich?", fragt er nochmal nach, während das Lächeln noch breiter wird. Ich sehe ihm dabei zu, wie er seine Sachen faltet und beteure erneut: "Ja, wirklich, Ry." Er scheint zwar noch lange nicht beruhigt zu sein, was mir sein skeptischer Blick verrät, lässt mich aber in Ruhe und verlässt den Raum, nachdem er seinem Teamcollegen und Nachbarn eine scharfe Warnung entgegengezischt hat: "Wehe du bringst sie in Gefahr, Cam. Dann breche ich dir jeden deiner armseligen Knochen einzeln." Mit diesen Worten ist er dann endgültig verschwunden.

Dann sind wir wieder endlich allein, doch anstatt ein Gespräch zu beginnen, herrscht eine bedrückende, kalte Stille zwischen uns, der ich am liebsten sofort entfliehen würde.

Nach einiger Weile fragt er: "Das hat er nicht ernst gemeint, oder?" Natürlich lache ich laut und schmiege mich an den Jungen, der mich mit einer gewissen Unsicherheit in seinem Blick mustert. Sofort beginne ich mich zu fragen, warum er mich das fragt. Schließlich ist er ein Werwolf, während mein Bruder nur ein normaler Mensch ist, und könnte ihm wahrscheinlich mit einem einzigen, leichten Schlag das Genick brechen. "Nein, das war natürlich ein Witz", beruhige ich ihn und verschränkte sanft meine Finger in seinen. Als unsere Fingerspitzen sich berühren, durchfährt mich plötzlich etwas, was sich wie Starkstrom anfühlt, doch anstatt sich unangenehm anzufühlen, sorgt diese Energie zwischen uns für ein unglaubliches Glücksgefühl in meinem Inneren, das mich fast zum Explodieren bringt und ein angenehmer Schauer breitet sich über meinem ganzen Rücken aus. Unsere Blicke treffen sich und mit seiner freien Hand führt mein Mate seine Finger zu meinem Kinn und führt mein Gesicht ein Stück näher an seines. Seinen warmen Atem spüre ich auf meiner rechten Wange und kaum scheint er seinen Blick von meinen Lippen abwenden zu können. Küss mich, flehe ich innerlich und atme den süßen Duft ein, den er versprüht. Wie von Gotteshand werden meine Gebete erhöht und unsere Lippen berühren einander. Seine Zunge findet den Weg in meinen Mund und vergrabe eine Hand in seinen Haaren. Ein leises Stöhnen entflieht meiner Kehle, als er den Kuss intensiviert und seine Beine feste um mich schlingt.

Nach einer kleinen Ewigkeit lösen wir uns voneinander und während ich nach Luft schnappe, bahnen seine Lippen sich den Weg zu meinem Ohr. Erneut erzeugt sein Atem an meinem Hals, einen Schauer auf meinem Rücken, bringt aber auch ein leichtes Ziehen im Unterleib mit sich und am liebsten würde ich ihn erneut an mich ziehen.

Als er spricht, ist seine Stimme tief und leidenschaftlich, was dieses ungewohnte Ziehen nur noch mehr verstärkt: "Katy?" Unfähig zu sprechen, ohne die Kontrolle über meinen Geist zu verlieren, nicke ich deshalb nur still und warte auf das was, als Nächstes kommen wird. "Ich habe heute große Pläne und du bist eine große Komponente darin", erklärt er und ich spüre sein Lächeln an meiner Haut, ohne es zu sehen: "Also, hast du Zeit?" "Ich gehöre ganz dir", flüstere ich nun ziemlich interessiert. Was er wohl mit mir vorhat!

Garvin LakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt