Kapitel 36

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Mit schnellen Fingern tippe ich auf dem Display meines Smarthphones herum, um meiner Mutter eine Nachricht zu schreiben, denn meine Eltern sollten wenigstens wissen, dass ich mit zu Cameron gehe, auch wenn nur unsere Gärten das Haus unseres Nachbarn von unserem eigenen trennen. Zwar könnte ich auch einfach durch den Garten rüber zu uns gehen, aber ich sage es ihr lieber jetzt, damit ich es nicht vergesse, weil sie sich viel zu schnell Sorgen macht.

Als meine Finger den grünen Sendeknopf verlassen haben, schalte ich das Handy aus und stecke es in meine Jackentasche, der Jacke, die ich nach dem Cheerleadertraining, welches heute sogar, selbst mit Ashley, erträglich war, angezogen habe. Es fühlt sich beruhigend an ein Kleidungsstück an den Beinen zu tragen, welches länger ist als der Rock meiner Cheerleaderuniform, der mir nicht mal bis zu den Knien reicht. Mit einem leichten Ziehen in den Knochen, welches wohl meiner sonstigen Faulheit zu verdanken ist, erhebe ich mich von der hölzernen Bank, auf der ich gesessen habe und schnappe mir meine moosgrüne Tasche, die ich auf den grauen Fliesen unter mir abgestellt hatte. Absichtlich habe ich darauf gewartet, dass die anderen fertig sind, bevor ich selbst mich umziehe, da ich keinen Bock auf irgendwelche Kommentare von Ashley habe, obwohl ich nicht dick oder total hässlich bin, aber sie hasst mich seit Cameron mit ihr, meinetwegen, Schluss, gemacht hat, noch mehr. Typisch Ashley eben! Immer scheint sie einen Grund zu haben, um mich zu nerven und Cameron hat ihr mit der Trennung einen perfekten geliefert.

Mit bereits müden Knochen öffne ich die Tür langsam und trete aus der Umkleide heraus, um nach Cameron zu suchen, der irgendwo in der Nähe warten wollte, bis ich fertig bin.

Als ich ihn nicht sofort erblicke, schaue ich verwundert durch die Gegend. Wo hat er sich versteckt? Wenn er denkt, dass das lustig ist, muss ich ihn leider enttäuschen, denn richtig witzig ist das nicht. Ich will einfach hier weg und nach Hause, um meinen Knochen wenigstens eine kurze Pause zu gönnen.

Ziellos schlendere ich durch den Flur, um nach ihm zu suchen, bis ich plötzlich einige laute Geräusche nur wenige Meter von mir entfernt wahrnehme. Etwas schneller laufe ich weiter um die Ecke und erstarre, als ich Cam erblicke, der lautstark mit einem Snackautomaten streitet. Für wenige Sekunden betrachte ich das äußerst merkwürdige Szenario. Sowas sieht man echt nicht jeden Tag! Das Bild erinnert mich an eine Statistik, die ich vor kurzer Zeit gelesen habe. Darin war deutlich zu sehen, dass zehn Menschen jährlich an der Nutzung eines Snackautomaten sterben. Wie man daran sterben kann, weiß ich echt nicht, aber es ist schon eine komische Vorstellung und dieses Bild erinnert mich einfach so sehr an diese Todeszahl, weshalb ich lieber dazu wischen gehe.

Sanft lege ich meine Arme von hinten um den Körper meines Nachbarn und stelle mich auf die Zehnspitzen, um meinem Nachbarn etwas ins Ohr flüstern zu können: "Was hat dir dieser arme Automat getan, Cam?" Bei meiner Berührung zuckt er zusammen, beginnt aber dann wie ein kleines Kind zu grinsen, als er merkt, dass ich es bin: "Dieses blöde Gerät weigert sich meinen Snickers auszuspucken. Ich will mein Geld zurück!" Seine Stimme erinnert mich an die meines Bruders im Alter von zehn Jahren, welche durch das leichte Zittern seiner Lippe nur noch verstärkt wird. Mir ist zwar klar, dass er das absichtlich macht, aber witzig ist es trotzdem. Auch auf meinen Lippen erscheint das gleiche Grinsen wie auf Camerons und ich löse mich von ihm, um feste gegen den Automaten zu hauen. Sofort fällt der braune Riegel aus der Halterung und landet so, dass Cameron ihn sich, mit einem beleidigen Blick im Gesicht, schnappen kann. "War ja klar! Ich habe ihn erst vorgelockert", verteidigt er seine Ehre. Ich verdrehe nur die Augen und gehe mit meiner Tasche in der Hand den Flur entlang: "Komm jetzt, meine Beine tun weh!" Als ich das letzte Wort ausgesprochen habe, weiß ich, was ich angerichtet habe. Sofort spüre ich Cams Arme, die meine Taille sanft umfangen. Wenige Sekunden später lösen sich meine Beine vom Boden und ich schwebe in der Luft. Ein entsetzter Schrei entflieht meiner Kehle und ich finde mich in den Armen von Cameron wieder, der mich im Brautstile durch die Gänge der Schule trägt. Sofort sehe ich, wie sich ein zufriedenes Grinsen auf seinen Lippen ausbreitet und dann sind seine weichen Lippen auf meinem Hals. Ein sanfter Schauer überkommt mich und ich spüre, wie mich ein Gefühl überkommt, das ich vorher bei nur wenigen Menschen gespürt habe. Angenehm überrascht schließe ich meine Augen und genieße einfach nur die Situation, anstatt mich zu wehren oder ihn anzulügen und zu sagen, dass ich rein gar nichts für ihn empfinde, denn so fühle ich mich schon lange nicht mehr. Zwar habe ich noch lange nicht vergessen, was in der Vergangenheit geschehen ist, doch in jeder Sekunde, die ich mit ihm verbringe, verblassen diese Erinnerungen immer weiter und werden durch glücklich mit ihm ersetzt und ich will einfach nur grinsen und jedem um mich herum zeigen wie glücklich ich bin. Ist das Liebe?

Garvin LakesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt