Kami öffnete empört den Mund, schloss ihn aber gleich darauf wieder. Beleidigungen fasste sie im allgemeinen nie gleichgültig auf, vor allem dann nicht, wenn sie sich gegen ihre Mutter Hana richteten. Diesmal aber biss sie sich auf die Lippe und schluckte ihren Konter herunter.
Dass Hana ihnen mehr über ihre Herkunft erzählen sollte war nämlich eines der wenigen Dinge, in denen sie sich alle einig waren. Wann immer sie darauf angesprochen wurde stellte Hana sich quer, erfand irgendeine dringende Angelegenheit, um die sie sich als Frau des Dorfoberhauptes umgehend kümmern musste und verschwand ohne eine Antwort zu geben. Doch die drei Adoptivgeschwister hatten nicht so schnell aufgegeben. So lange sie denken konnten entwickelten sie Strategien um ihre Mutter zu einer Antwort, einem Versprecher oder auch nur einer Andeutung auf ein solches zu bringen. Dieses Spiel hatten sie so lange gespielt bis ihnen so langsam die Ideen ausgingen und jetzt, aus heiterem Himmel, schien Hanko bereit, ihnen etwas zu erzählen. Eine merkwürdige Erregung ergriff Inuki. So aufgeregt war er nicht mehr gewesen, seit er an seinem sechsten Geburtstag zum ersten und einzigen Mal den Erdboden besucht hatte. Damals hatte er, wie die Tradition es verlangte, einen Tag ganz allein im Wald verbracht und dort seinen Dämon gefunden. Diese erste Begegnung mit Luna, seiner weißen Wölfin, hatte sein Leben verändert. Er hatte das Gefühl, dass auch das, was Hanko ihnen zu erzählen plante, ihn oder zumindest etwas, verändern würde.
„Wir wissen so gut wie nichts." erklärte Kuro.
Inuki drehte erstaunt den Kopf. Es war ungewöhnlich für ihn, zuerst zu sprechen. Auch wenn er es nicht zeigte war das Beweis genug, dass Kuro mindestens genauso aufgeregt war wie er selbst.
„Weder Mutter noch Vater oder einer der anderen Bewohner von Wolkenstett wollten uns etwas sagen.", ergänzte Kami.
„Wir wissen nur, dass Kami als einzige die leibliche Tochter von Hana und Wano ist. Und dass wir nicht Blutsverwandt sind.", sagte Inuki, da er das Gefühl bekam, zumindest etwas beitragen zu müssen.
In gespielter (oder vielleicht auch tatsächlicher?) Verzweiflung schüttelte Hanko den Kopf.
„Das ist nun wirklich nicht viel."
Der Adler krächzte heißer, als wollte er ihm beipflichten und rutschte auf der Stange hin und her, um eine bequemere Stellung für seine alten Knochen zu finden.
„Wo fang ich da am besten an?", Hanko sprach leise, als würde er mi tsich selbst reden.
„Am Anfang.", beschloss Kami für ihn.
„Nein ,nein, nein, nicht am Anfang.", widersprach der Alte, „ Besser ich fang mit mir selbst an."
Inuki stöhnte kaum hörbar und der Adler warf ihm einen tadelnden Blick aus den stechenden Augen zu. Hanko dagegen schien nichts mitbekommenzu haben.
„Besser ihr setzt euch."
Es dauerte einige unerträglich lang erscheinende Minuten, bis Hanko endlich drei ganze Stühle aufgetrieben hatte. Davon, dass sie sich auch auf den Boden setzen könnten, hatte der alte Mann nämlich nichts wissen wollen. Als sie endlich auf drei verschiedenen und allesamt kippelnden Stühlen Platznahmen konnte Inuki kaum noch stillhalten.
„Was wisst ihr über meine Arbeit als Navigator?"
Inuki stöhnte erneut. So wie er Hanko kannte, konnte es Stunden dauern, bis sie zum interessanten Teil kamen. Diesmal sahen ihn sowohl der Alte, als auch sein Vogel tadeln an. Sogar Kami betrachtete ihn ärgerlich. Beschämt sah er zu Boden.
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Die Kinder des Drachen, Teil 1: Der schwarze Tod
FantasyVor bald zehn Jahren brannte das Dorf Raboria in nur einer Nacht bis auf die Grundmauern nieder. Eine schreckliche Katastrophe die heute schon droht in Vergessenheit zu geraten. Doch der schwarze Drache, der in jener Nacht dort gesehen wurde, ist no...