Kuro legte ein rasches Tempo vor, doch niemand beschwerte sich. Wenn sie ihren Verfolgern entkommen wollten, mussten sie schnell sein. Mehrmals deutete er auf einen markanten Landschaftspunkt in der Ferne, ein hoher Baum, ein Felsen, die Kuppe eines Hügels, und bedeutete ihnen sich aufzuteilen und einzeln in möglichst verschlungenen Wegen dort hinzugehen. Inuki konnte nicht anders, als ihn dafür zu bewundern. Man könnte denken, Kuro hätte noch nie etwas anderes gemacht, als Feinde abzuhängen. Dabei hatte sein Bruder stets den Unterricht geschwänzt und lieber irgendwo in der Sonne gelegen, als Hankos oder Hanas Lektionen über vergangene Kriege und Heldengeschichten zu lauschen. Nur zu den Kampfsportstunden, jeder in Wolkenstett wurde dazu angehalten, sie ab und zu zu besuchen, war er immer anwesend gewesen. Trotz seiner Blindheit.
Inuki kämpfte sich durchs Unterholz, wobei er stets versuchte, so wenig Äste wie möglich abzuknicken. Zwischen den Bäumen erhaschte er immer wieder Blicke auf Lunas weißes Fell. Sie suchte ihren eigenen Weg mit Zap auf dem Rücken und dem Geparden auf den Fersen. Allerdings entfernte sie sich nie zu weit von ihm und war immer in Sichtweite. Diesmal hatte Kuro eine hoch aufragende Tanne auf halber Höhe eines Hügels zum Ziel bestimmt. Sie war leicht zu erkennen, da sie inmitten der hellen Laubbäume hervorstand, wie ein Rabe unter Spatzen. Er übersprang einen kleinen Bach, kletterte über einige Felsen und umrundete mit einigem Abstand die Tanne, um sich ihr von oben zu nähern. Schon von weitem erkannte er, dass er nicht der Erste war. Kuro stand bereits unter dem Baum, eine dunkle Gestalt neben sich. Zen. Inuki beschleunigte seine Schritte.
Keine fünf Minuten später waren sie wieder alle beisammen und Zen wurde mit Fragen überhäuft.
„Wie viele sind es?"
„Sind Rote dabei?"
„Wer verfolgt uns?"
„Wie ist es gelaufen?"
Zen kam überhaupt nicht zu Wort, um auch nur eine der Fragen zu beantworten, bis Frozen die Stimme erhob.
„Jetzt lasst ihn doch mal in Ruhe! Wie soll er uns was berichten, wenn ihr die ganze Zeit dazwischen quatscht?"
Sofort ebbte der Wortschwall ab. Alle sahen erwartungsvoll auf Zen. Dieser nickte Frozen kurz zu und begann mit den Fakten:
„Zwölf Mann und zwei Rote, von denen eine noch in der Ausbildung ist, verfolgen uns. Ich konnte drei Soldaten von der Gruppe trennen und irreführen, aber der Rote hat den Rest davon abgehalten mich zuverfolgen. Sie sind im Moment knappe zwei Kilometer hinter uns. Wer auch immer die Idee hatte, euch aufzuteilen um die Spuren zu verwischen, hat ganze Arbeit geleistet. Ich selber hatte Schwierigkeiten euch aufzuspüren."
„Das war Kuros Idee", erklärte Frozen, „Es funktioniert gut. Ich denke wir sollten so weitermachen."
„Nein.", widersprach Kuro. Zen nickte zustimmend.
„Ich habe eure Strategie erkannt. Das heißt auch der Rote wird das tun. Und aufgeteilt sind wir eine leichte Beute. Zwei Kilometer sind nicht viel."
„Gut, dann bleiben wir zusammen.", beschloss Frozen.
„Los weiter."
Von nun an setzten sie auf Schnelligkeit. Beinahe rannten sie zwischen den Baumstämmen entlang. Das Unterholz wurde lichter und verschwand schließlich, während die Laubbäume durch Kiefern und Tannen ersetzt wurden. Nadeln bedeckten den Boden und dämpften ihre eiligen Schritte. Nur wenig Licht kam durch die dicht beieinander stehenden Nadelbäume und die vor die Sonne ziehenden Wolken machten es nicht gerade besser. Kuro fiel zurück. Er stolperte über Wurzeln und wich tief hängenden Ästen oft nur im letzten Moment aus. Er bat aber nicht um Hilfe, obwohl das schwache Licht kaum eindeutige Schatten warf, mit deren Hilfe er sich orientieren könnte. Inuki hatte es nie genau verstanden, wie Kuro überhaupt seinen Weg fand. Als er ihn danach fragte hatte er nur ungenau antworten können. Er fühle die Schatten, so sagte er, je dunkler und deutlicher sie waren, desto leichter fiele es ihm, seine Umgebung zu erkennen. Nun jedoch gab es kaum Schatten. Überall herrschte ähnliches Zwielicht.
DU LIEST GERADE
Die Kinder des Drachen, Teil 1: Der schwarze Tod
FantasiVor bald zehn Jahren brannte das Dorf Raboria in nur einer Nacht bis auf die Grundmauern nieder. Eine schreckliche Katastrophe die heute schon droht in Vergessenheit zu geraten. Doch der schwarze Drache, der in jener Nacht dort gesehen wurde, ist no...