Kapitel 4 - Eigenleben der See

1.5K 124 34
                                    

Ich bestaune das schier endlose Blau vor mir. Es glitzert in unendlich vielen verschiedenen Blautönen und scheint wie immer ein Eigenleben zu führen. Die Wellen schlagen in der Ferne gegen ein paar Felsen, das höre ich, als ich die Augen schließe. Auch nehme ich das Kreischen der Möwen wahr, genauso wie das Heulen des Windes. Ich öffne meine Augen wieder, während ich meinen Fußmarsch zur Küste fortsetze. Die Sonne spiegelt sich im Meer. Eine perfekt geformte Welle bricht und rollt in Richtung Strand. Ein breites Grinsen stiehlt sich auf meine Lippen. Schnell wachse ich einmal mein Brett und lasse es dann im Sand liegen, während ich mich selbst ins Wasser befördere und ein bisschen schwimme und tauche. Das Wasser hat eine angenehme Temperatur und ist extrem klar. Nachdem etwas Zeit verstrichen ist gehe ich wieder zu meinem Brett und schnappe es mir. Jetzt kann der Spaß losgehen.

Aufgeregt beschleunige ich mein Schritttempo und komme kurze Zeit später am Strand an. Ich warte bis ich keine großen Wellen sehe, sondern nur kleine, und lege mein Brett ins Wasser. Anschließend lege ich mich mit dem Bauch auf dieses und beginne mich im Wasser vorwärts zu bewegen. Nach kurzer Zeit bin ich an meinem Ziel angekommen und sehe auch schon die erste Welle auf mich zukommen. Schnell steige ich auf mein Board und mache mir noch das Fußbändchen um. Da zurzeit niemand hier ist, will ich nichts riskieren und aus Versehen mein Board verlieren. Nicht bei diesem Board. Ich warte gespannt auf die Welle. Sie bewegt sich immer weiter auf mich zu und mein Adrenalinspiegel steigt mit jedem Meter, die sie näher kommt. Noch knapp fünf Meter. Noch zwei.

Sie ist da.

Mit einem noch breiteren Grinsen als zuvor beginne ich die Welle zu reiten. Ich beginne damit, Hinauf und wieder hinabzufahren, um mich an das Board zu gewöhnen. Es mag vielleicht nicht viel sein und definitiv nicht spektakulär aussehen, aber mir macht es dennoch einen riesigen Spaß. Lachend falle ich dann irgendwann vom Bord. Sofort bereite ich mich wieder auf die nächste Welle und reite sie erneut. Diesen Vorgang wiederhole ich einige Male, bevor ich merke, dass die Wellen immer größer werden. Grinsend erinnere ich mich an meine Choreographie vom letzten Surfen Wettbewerb und mache mich bereit. Zunächst fange ich an durch die Welle zu fahren. Sie gleicht einer A-Rape, einer perfekten Welle. Anschließend beginne ich mir einem einfachen Bottom Turn, ein Trick, an den sich die meisten anderen anschließen. So wie auch in meinem Fall. Fehlerfrei führe ich also die erste Drehung aus.

Da ich nun wieder eine höhere Geschwindigkeit auf dem Kasten habe, beginne ich mit einem Cutback. Dabei fahre ich in einer S-Form die Welle hinab, bevor ich mich mit einem Sprung um 180° drehe und einen erneuten Bottom Turn hinlege, gefolgt von einem weiteren Mal Welle fahren. Es klappt immer noch wie am Schnürchen. Ich fühle mich so frei, wie schon lange nicht mehr. Doch Zeit zum Entspannen habe ich nicht, denn die Welle nähert sich der Beach Break, dem Strand. Doch schlimm ist das nicht, denn ich will den Aerial durchziehen. Ich fahre hoch auf die Welle, wobei ich das Band dann doch abmache, und springe von meinem Board.Während also mein Board ohne Besitzer weiter die Welle bezwingt, mache ich in der Luft einen Vorwärts Salto, gefolgt von einer Schraube. Ich passe mein Ziel, mein Surfboard, genau ab und schaffe es (gerade noch so), meine Hände an die Seiten den Boards zu legen, sodass ich mit dem Bauch sanft darauf Landen kann. Ein wenig wackelig bin ich schon, aber dafür habe ich mich nicht verletzt.

Mittlerweile bin ich wieder im gebrochenen Bereich der Welle und lasse den Rest vom Wasser einfach über mich ergehen. Anschließend lass ich mich vom Wasser etwas umhertreiben, immerhin sind momentan keine wirklich brauchbaren Wellen in der Nähe. Ich lege mein Surfboard auf den Sand und setze mich auf dieses, während ich warte und mich dabei umsehe. Die Sonne steht bereits etwas tiefer und taucht das Mehr und den Himmel in verschiedene Rot und Orange Töne. Es sieht wunderschön aus, doch etwas anderes zieht meine Augen auf sich. In circa 100 Metern Entfernung sitzt jemand auf einem Felsen, anscheinend mit dem Rücken zu mir. Ich habe keine Ahnung, wie die Person dahin gekommen ist, hier war eben noch niemand. Ich will gerade etwas sagen als ich die Stimme höre. Es ist eine sanfte Stimme, männlich, aber dennoch hoch. Die Stimme singt mit einem solchen Herzblut ein trauriges Liebeslied, dass ich den Besitzer am liebsten in den Arm nehmen möchte und trösten will. Doch ist die Person zu weit entfernt.

„But baby I've been here before, I've seen this room and I've walked this floor.
I used to live alone before I knew you.
And I've seen your flag on the marble arch, but love is not a victory march; It's a cold and it's a broken ‚Hallelujah'."

Es scheint als würde seine Seele singen und diese wunderbaren Töne erzeugen.

„Well, there was a time when you let me know what's really going on below, but now you never show that to me, do you?
Remember when I moved in you; the holy dove was moving too and every breath we drew was ‚Hallelujah'."

Ich habe Mitgefühl mit diesem Jungen, er scheint Liebeskummer zu haben.
Doch die Art, wie er darüber singt, würde wahrscheinlich jeden mitfühlen lassen.

„Maybe there's a God above, but all I've ever learned from love was how to shoot somebody who outdrew you.
And it's not a cry that you hear at night.
It's not somebody who's seen the light
It's a cold and it's a broken ‚Hallelujah'."

Er gibt drei Mal ein Hallelujah von sich, und ich schließe die Augen, während ich diesen lausche. Ich stelle mir vor, dass der Junge dort dasselbe tut, während er das letzte, deutlich höhere, Hallelujah von sich gibt. Anschließend vernehme ich ein Geräusch, das sich fast wie ein Schluchzen anhört. Ich öffne erstaunt die Augen und starre auf die Umrisse des Jungen. Ich kann nicht anders, und beginne zu applaudieren. Erst leise und dann immer lauter. Fast schon panisch scheint er sich zu mir umzudrehen. Dadurch, dass die Sonne hinter ihm scheint, sehe ich nicht mehr als einen Schatten. Ich klatsche mit einem breiten Grinsen weiter. Auf einmal muss ich gähnen, wobei ich die Augen schließe und sobald ich sie wieder aufmache, verstummt mein Applaus. Denn der Junge ist verschwunden.  

Under The Sea ♛ TaeKook [completed; Hobby Award, Fishriver Award]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt