Kapitel 79 - Schuppen

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Die beiden Wachen schubsen mich nach vorne, als Zeichen, dass ich mich bewegen soll, während sie die Fesseln leicht versetzt hinter mir festhalten. Meine Gedanken rasen und überschlagen sich selber. Charon hatte doch gemeint, sie wäre tot, warum sagt er jetzt, dass sie doch noch leben würde? Nun, ich werde es wohl gleich herausfinden, denn die Wände des Palastes werden zunehmend dunkler, also nähern wir uns wahrscheinlich den Kerkern oder wie auch immer die das hier nennen. In etwas Entfernung kann ich bereits eine riesige, stabil aussehende Tür sehen, auf die wir geradewegs zu schwimmen. Ich beschließe, einfach mal mitzuspielen und auf das zu vertrauen, was Nadazz mir gesagt hat, als eine der Wachen diese Tür mit einer Berührung seiner Handfläche öffnet.

Meine Handschellen werden abgemacht und ich in den Raum gestoßen, als die Tür hinter mir auch schon wieder zufällt. An den Wänden hängen einige Leuchtkörper, ich kann nicht identifizieren aus was genau sie bestehen. Sie geben gerade genug Licht ab, um die eigene Hand zu erkennen. In einer der vier Ecken kann ich außerdem einen zusammengekauerten Schatten wahrnehmen, auf den ich vorsichtig zu schwimme. Das erste, was ich klar erkennen kann, sind silberne, jedoch verdreckte Schuppen an den Beinen und Armen der Person. Ich lasse meinen Blick über den fast nackten Körper schweifen, als ich in das Gesicht blicke und mein Atem stockt. „Großmutter", hauche ich, diese Augen würde ich unter tausenden wiedererkennen. „Mein kleiner Taehyungie", erwidert sie schwach und breitet leicht ihre Arme aus, in welche ich mich sofort schmiege.

Eine Weile lang sagen wir beide nichts, klammern uns einfach an den anderen, ihre Hand gleitet durch meine Haare. Dann jedoch löse ich mich. „Was ist mit dir geschehen?", frage ich und mustere ihren Körper, der über und über mit Schuppen bedeckt ist. Jungkook hat mir erzählt, dass eine Sirene, je älter und schwächer sie ist, immer mehr Schuppen bekommt. Auch ihre Haare sind lang, im Sitzen bilden sie einen Haufen auf dem Boden. Ihre Augen sind trübe, Falten verunstalten ihr Gesicht. „Mein kleiner Taehyungie", seufzte sie, streichelt meine Wange und setzt ein leichtes Lächeln auf, „du bist zu so einem starken, gutaussehenden jungen Mann herangewachsen. Du hast wohl endlich entdeckt, dass du meine Gene hast, hm? Hat dein Großvater dir geholfen?" Ich nicke, lege meine Hand an ihre.

„Ich habe Jungkook kennengelernt, Hyeshin, Yoongi, Yugyeom, Shizseojin, Nadazz und auch Hoseok. Großvater hat uns schon seit deinem Tod immer die Geschichten der Königreiche erzählt, wir dachten, dass das seine Art ist, damit umzugehen – neue Welten zu kreieren. Und irgendwann hat es einfach Sinn gemacht. Er hat mir davon erzählt, wie ihr euch kennengelernt habt, wie ihr die Welten verbunden und eure eigene geschaffen habt. Er hat davon erzählt, welche Abenteuer ihr erlebt habt." Ich schaue in die Augen meiner Großmutter, kuschle mich an ihre Seite. „Er vermisst dich, wir alle vermissen dich, so unendlich sehr." Sie beugt sich zu meiner Schläfe und haucht einen Kuss darauf. „Ihr wart der Grund, warum ich durchgehalten habe. Ich habe mir geschworen, ihnen nicht das zu geben, was sie von mir wollen."

Ich drehe meinen Kopf etwas, schaue sie an. „Und was wollen sie von dir? Warum halten sie dich immer noch gefangen?", frage ich verwirrt. „Meine Stimme, Taehyungie, sie wollen mir meine Stimme rauben." Ihr Blick richtet sich auf die gegenüberliegende Wand. „Du erinnerst dich doch sicherlich noch an Arielle? Als Ursula der kleinen Meerjungfrau ihre Stimme klaut und damit eigene Täuschung durchführt", ein Nicken von mir, „so etwas möchte Charon anstellen. In Meraki gibt es keine einzige Sirene, anders als in Halcyon. Er möchte die Kraft einer Sirene sein Eigen nennen, damit er so das Königreich und noch viel mehr kontrollieren kann. Deshalb darf er auf keinen Fall erfahren, dass du ebenfalls diese Kräfte hast, hörst du, mein Junge? Sonst passiert dir das gleiche wie mir."

Ich nicke erneut, verwirrt und verängstigt. „Hat er deswegen Jungkook geholt?" Die Augen meiner Großmutter weiten sich. „Er hat ihn bereits? Skatá." Ich habe meine Großmutter noch nie solche Wörter sagen gehört, doch daraus leite ich ab, dass es wirklich eine verdammt schlechte Situation ist, in der wir uns befinden. „Hör zu, Kim Taehyung", wendet sich meine Großmutter an mich, „Jungkook darf auf gar keinen Fall singen. Egal womit die ihm drohen. Hast du verstanden? Er ist eine der mächtigsten Sirenen, Charon darf seine Stimme nicht bekommen, hörst du? Eine Sirene ist unsterblich, solange sie ihre Stimme hat. Schau mich an, mir geht es dreckig, aber ich lebe noch, denn ich habe meine Singstimme niemals abgegeben." Ich nicke und beginne, einiges mehr zu verstehen.

„Aber eine Frage stellt sich mir noch. Wie bekommt er die Stimme? Nadazz würde doch niemals mit ihm so zusammenarbeiten." Meine Großmutter seufzt langezogen. „Er braucht Nadazz nicht dafür. Wie du vielleicht bereits gemerkt hast, kommt Junhong eigentlich aus einer normalen Familie. Er hat ihn jedoch als Freund von Hoseok viel im Palast gelassen. Und da ist der springende Punkt: Währen Junhong in seiner Kindheit seine Kräfte nach und nach entwickelt und weitergebildet hat, hat Charon dies ebenfalls gemacht. Er möchte herrschen. Und zwar nicht nur über Meraki, auch nicht über Halcyon, sondern über alle Ozeane dieser Welt. Und alles, was er dafür braucht–" „Ist eine Singstimme", hallt es von der Tür aus durch den Kerker.

Under The Sea ♛ TaeKook [completed; Hobby Award, Fishriver Award]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt