Kapitel 71 - Ein Tropfen Perlmutt

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Eine Weile lang sagt keiner etwas, bevor sich Yoongi räuspert. „Und was ist jetzt mit Jungkook?" Ein leichtes Nicken geht durch die Runde, als wir uns daran erinnern, weshalb wir hier sitzen. „Also, wie es passiert ist, weiß ich nicht. Aber Jungkook ist in unserem Königreich. Der Berater meines Vaters hat ihn einsperren lassen, direkt im Palast. Die Tür wurde mit irgendeiner Art von Magie belegt, denn mein Schlüssel für die Tür hat nichts gebracht." Yugyeom schippst aufgeregt mit dem Finger. „Dann erinnere ihn einfach daran, dass er eine Sirene ist, dann singt er sich wieder frei. Er hat es doch auch geschafft Zauber vom Shizseojin rückgängig zu machen!" Ich weite meine Augen leicht. Das wäre perfekt. Doch Hoseok schüttelt den Kopf. „Als ich seinen Namen durch die Tür gesagt habe, schien er nicht reden zu können, wahrscheinlich wurde er geknebelt." Wir sind wieder still. „Aber was bringt es deinem Vater denn, Jungkook in seiner Gewalt zu haben?", frage ich dann, da das alles keinen wirklichen Sinn für mich macht.

„Ich konnte ihn natürlich nicht einfach fragen, aber ich denke, dass er einfach der Gehirnwäsche von Charon verfallen ist. Er–" „Was heißt Charon jetzt eigentlich?", fragt Yoongi unterbrechend, woraufhin ich ihm die Antwort gebe. „Charon ist in der griechischen Mythologie der Seelenfahrer. Er fährt die Toten Seelen für den Wert einer Münze über den Totenfluss in der Unterwelt, damit sie dem jüngsten Gericht entgegentreten können. Das wiederum entscheidet, ob du sozusagen in die Hölle oder ins Elysium kommst. Wenn du den Fährmann aber nicht bezahlen kannst oder er dich nicht mitnimmt –oder sogar aus dem Boot schmeißt– wirst du für immer in der Zwischenwelt, also am Ufer, gefangen sein." Hoseok nickt anerkennend. „Er hat auf jeden Fall meinem Vater nach dem Tod meines Großvaters immer wieder eingeflüstert, dass er Rache nehmen müsse. Ab und zu habe ich es auch mitbekommen, andere Male habe ich nur bemerkt, wie mein Vater immer radikaler geworden ist. Daher kommt auch die Regelung, dass ich alle zwei Tage zu ihm ins Meer kommen muss, Taehyung. Er –oder besser gesagt: Charon– will mich zu seinem perfekten Nachfolger machen. Ich denke–", er holt tief Luft und schaut Jihye direkt in die Augen. „Ich denke, er will den Krieg."

„Er benutzt meinen Sohn als Geisel?", fragt de Angesprochene geschockt. „Möglich", erklärt Hoseok. „Ich glaube allerdings, dass da mehr dahintersteckt. Charon ist ein schlauer Mann, wenn auch mit falschen Motiven, Absichten und Ideologien, meiner Meinung nach. Ich bin mir im Grunde sicher, dass er viel mehr als das vorhat. Und dass er Jungkook gefangen genommen hat, zeigt nur wie egal ihm die Mittel sind." Ein Tropfen Perlmutt schwimmt an meinem Gesicht vorbei und Yugyeom legt sanft einen Arm um Jihye. Meine Mundwinkel haben sich im Laufe der Erzählung immer weiter nach unten verzogen, ich seufze. „Wie kriegen wir ihn da raus?", stellt Beomseok dann die entscheidende Frage. „Ich habe eigentlich nur eine Idee, aber die ist extrem riskant –um nicht zu sagen lebensgefährlich–, kompliziert und wird ein paar Tage dauern. Wenn ihr also Vorschläge habt dann–" „Jeong Hoseok", man merkt Yoongi an, dass er versucht, ruhig zu bleiben, es aber nicht wirklich ist, „wenn du nicht jetzt gleich mit diesem mir ist egal, ob ich dabei sterbe, Jungkook zu retten und mir ist egal, dass du ein Prinz bist. Wenn du jetzt nicht sofort mit diesem Plan rausrückst, dann bist du gleich in Lebensgefahr!" Zum Ende hin wird Yoongi lauter und hebt schon fast vom Stuhl ab, weshalb seine Mutter ihn wieder auf den Stuhl drückt.

Einen Moment lang schaut Hoseok Yoongi mit zusammengepressten Lippen an, bevor er, ohne sich zu bewegen, sagt: „Wir schmuggeln Leute aus Halcyon in den Palast." Es ist mucksmäuschenstill. „Wie soll das gehen?", fragt Bora ungläubig und auch ich bin dem Plan gegenüber skeptisch. „Sowohl mein Vater, als auch Charon, wollen, dass ich der perfekte Nachfolger werde. Vor ihnen spiele ich meine Rolle auch ziemlich gut, versuche eben dieser zu sein. Ich kann also beiläufig erwähnen, dass für unseren Schutz gegen Halcyon einige Soldaten und Wachen von Vorteil wären. Dann können einige Halcyonianer sich bewerben, ich werde natürlich das Auswahlverfahren leiten und denjenigen gestatten, im Palast zu arbeiten. So sind wir im Kern und können uns verständigen, können Planen. Ihr benutzt doch glaube ich auch Delfine als Botentiere? Wir können Delfine zwischen hier und dort herschicken, mit Nachrichten, sofern ihr Delfinflüsterer habt. Zusammen mit Junghong und Nadazz können wir vielleicht nicht nur Jungkook befreien, sondern auch das Königreich vor meinem Vater und Charon schützen." Hoffnung schimmert in Hoseoks Augen auf, als er uns der Reiher nach anschaut, während wir alle unseren Gedanken nachhängen. Yugyeom war bis auf den Einwurf, dass Yoongi mit den Delfinen reden kann, vollkommen still, jetzt scheint er einfach in die Ferne zu blicken.

Es könnte funktionieren. Es bräuchte einiges an Vorbereitung, aber es könnte funktionieren. Vielleicht könnten vor Shizseojin oder eine andere Wassernymphe mitneh– „Okay, ich gehe, wer kommt mit?", erklingt Yoongis Stimme, aber Hoseok schüttelt wieder den Kopf. „Nein, Yoongi, das geht ni–" Yoongis Hand trifft hart auf den Tisch. „Jungkook ist quasi mein kleiner Bruder, verdammt nochmal. Ich werde nicht hier sitzen und zuschauen wie–" Hoseok steht auf und haut ebenfalls auf den Tisch, baut sich etwas vor Yoongi aus. Seine Flosse reflektiert das Licht und er scheint zu leuchten. „Es geht nicht Yoongi, weil du hier gebraucht wirst und weil dich in Meraki jeder kennt! Du bist Delfinflüsterer und dir können wir vertrauen. Je weniger Fremde wir ins Boot holen müssen, desto sicherer ist das Ganze, verstehst du denn nicht? Es ist nicht so, dass du nicht helfen sollst. Verdammt, du sollt extrem viel helfen. Aber eben nicht im Palast selber. Aber wenn die mein Plan nicht passt, dann schlag' gerne einen anderen vor, ich warte gerne!"

Es ist wieder still. Hoseoks Augenbrauen haben sich zu einem ernsten Gesicht zusammengezogen und er schaut starr Yoongi in die Augen, der ein wenig auf seinem Stuhl zurückgerutscht ist. Noch nie habe ich Hoseok erlebt. So... herrisch? Dominant? Einschüchternd war es auf jeden Fall. „Dann– Wer geht dann stattdessen?", fragt Yoongi leise, während sich Hoseoks Körperhaltung wieder etwas entspannt. „Ich habe eine Ausbildung bei unseren Soldaten gemacht, aber mich dürfte man nicht in Meraki kennen, ich kann mit", erklärt Yoongis Vater und auch seine Frau meldet sich. „Ich denke, mich kennt man in Meraki auch", merkt Yugyeom an und Hoseok nickt. „Mich kennt man auf jeden Fall dort, außerdem braucht Halcyon mich", erklärt Shizseojin seufzend. „Taehyung, Yoongi, ihr könnt doch Jimin fragen! Einfach ein bisschen Weltenkraut und zack! Er kann helfen, ihn und Taehyung wird man niemals dort erkennen." „Die Idee ist gut, aber mit dem Weltenkraut können wir nur maximal vierundzwanzig Stunden unter Wasser bleiben, das könnte knapp oder tödlich sein", werfe ich ein, „und das bereits ohne Jungkook zu befreien."

„Über diese Möglichkeit habe ich auch schon nachgedacht, aber ich glaube ich habe eine Lösung dafür", fängt Hoseok an, wird jedoch von Shizseojin unterbrochen. „Nein." Wir schauen alle verwundert zu ihm, er schaut ernst zu Hoseok. „Du hast Nadazz erwähnt, deswegen weiß ich, worauf du hinauswillst. Aber nein, das kannst du, ihr, nicht tun. Das ist extrem dunkle Magie und es kann viel zu viel schief gehen." Ich zeihe die Augenbrauen zusammen. „Wer ist Nadazz und worüber redet ihr? Ich würde gerne selber entscheiden, ob mir das Ganze zu riskant ist oder nicht, ich meine, ich riskiere so oder so mein Leben." Hoseok und Shizseojin drehen sich mir zu. „Nadazz ist das Pendant zu mir, in Meraki. Er ist allerdings keine Nymphe, sondern eine Cecaelia." Hoseok bemerkt meinen etwas ratlosen Blick. „Halb Mensch, beziehungsweise Meermann, halb Kranken. In etwa wie Ursula aus Arielle", erläutert er uns jetzt bekommen wir ratlose Blicke von den anderen (ausgenommen Yoongi, irgendwas sagt mir, dass er Arielle schon mehrere Male gesehen ha, wahrscheinlich regt er sich immer über falsche Darstellungen auf). Shizseojin fährt anschließend fort, als wäre er niemals unterbrochen worden.

„Cecaelias haben, genau wie Nymphen, angeborene magische Fähigkeiten, als Rohlinge. Wir entscheiden uns im Laufe unseres Lebens dazu, welche Felder wir ausbauen und welche eher nicht. Ich kannte Nadazz früher schon, ich habe mich ab und zu mit ihm getroffen, er ist ein nettes Wesen. Aber er hat sich für die dunkle Magie entschieden. Nicht die schwarze –immerhin– aber dennoch dunkle." Er macht eine kurze Pause. „Das was Hoseok da vorschlägt, was er wahrscheinlich mal von Nadazz erzählt bekommen hat, ist der Zauber Kardiá tis thálassas, Herz des Meeres. Er ist extrem gefährlich. Wenn man nicht rechtzeitig zum Zeitpunkt des Abklingens den Gegenzauber bereithält, bleibt man im besten Fall darin stecken, im Schlimmsten Fall kann man Körperteile oder sein Leben verlieren. Ich hab' ehrlich gesagt auch schon überlegt, ihn für Taehyung zu benutzen, aber als ich das herausgefunden habe, hab' ich mich dagegen entschieden. Es ist zu riskant." Bevor ich etwas sagen kann, meldet sich Yugyeom zu Wort. „Ist nicht die Gefahr der gesamten Mission, dass wir sterben? Also, nur mal so angemerkt, auch wenn ich selbst nicht will, das irgendwer stirbt, aber das ist kein wirkliches Argument, finde ich." Ich schaue zu Shizseojin und Hoseok, überlege. „Was macht der Zauber?" Hoseok muss tatsächlich leicht Schmunzeln, weshalb ich eine Augenbraue hebe. „Naja, im Prinzip macht er dich zum Meermann."

Under The Sea ♛ TaeKook [completed; Hobby Award, Fishriver Award]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt