Mittlerweile schienen auch die anderen unser Gespräch bemerkt zu haben, denn am Tisch herrschte erwartungsvolles Schweigen. Vier Augenpaare waren auf mich gerichtet – für meinem Geschmack vier zu viel – und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als auf der Stelle unter dem Tisch verschwinden zu können.
»Hast du vor, die Regierung zu stürzen?« Marilyns Augen weiteten sich aufgeregt. Sie hatte die Beine überschlagen und ihr Fuß, der in der Luft baumelte, wippte so heftig, dass er in regelmäßigen Abständen gegen meinen Unterschenkel stieß.
Ich schmunzelte. »Nein, das nicht.«
Chenoa hob neugierig die Augenbrauen. »Sondern?« Ich dachte an die Pläne, die ich bereits als Siebenjährige geschmiedet und seitdem nicht verworfen hatte. Naiv war da noch untertrieben. Außer meiner Großmutter hatte ich bisher noch niemandem von meinem Traum erzählt. Und sie hatte es mir sofort wieder versucht auszureden. Seitdem hatte ich es vor keiner Menschenseele mehr erwähnt. Wem sonst hätte ich es auch erzählen sollen?
Ich kratzte mich verlegen am Nacken. Diese Leute waren mir vollkommen fremd; ich hatte keinen blassen Schimmer, wie sie darauf reagieren würden. Würden sie lachen? Mit den Augen rollen? Mich als das kleine, vollkommen realitätsferne Mädchen abstempeln?
»Komm schon, spuck's aus!«, forderte mich Marilyn auf.
Mein Blick huschte flüchtig über die neugierigen Gesichter und blieb einen kurzen Moment an Sams hängen. Er schenkte mir ein ermutigendes Lächeln.
Verlegen senkte ich den Kopf und starrte stattdessen auf meinen Apfel, der vor mir lag. Diese ganze Aufmerksamkeit war mir extrem unangenehm. »Naja, ich würde eigentlich gerne allen Menschen ihre Fantasie zurückbringen.« Ein schüchternes Lächeln schaffte es auf mein Gesicht. »Als ich klein war, habe ich immer gespielt, dass ich in den Hauptsitz der Regierung einbreche und die ganze Fantasie stehle, die sie dort lagert, um sie den Menschen zurückzubringen.« Mein Lächeln erstarb. »Aber das ist wohl ziemlich unrealistisch, was?«
Unsicher sah ich auf und stellte fest, dass der ganze Tisch mich schweigend anstarrte. Chenoa warf mir einen anerkennenden Blick zu. Vielleicht weil sie sich freute, nicht die Einzige zu sein, die große Pläne verfolgte. Vielleicht aber auch, weil ich im Nachhinein den Hauch von Rebellion registrierte, der in meinen Worten gelegen hatte.
Sam lächelte mich an und reckte einen Daumen in die Höhe. Ich lächelte zaghaft zurück, bevor ich schnell den Blick abwandte.
»Meine Mutter hat immer gesagt, wenn man ganz fest an etwas glaubt, dann wird es auch irgendwann wahr«, sagte Marilyn lächelnd. »Wer weiß, vielleicht kommst du ja in ein paar Jahren in den Nachrichten, weil du der ganzen Welt ihre Fantasie zurückgegeben hast?«
Ich musste lachen. Einerseits vor Erleichterung über die entspannten Reaktionen; andererseits, da mir die Vorstellung, in einem Fernsehstudio zu stehen, einfach zu absurd erschien.
»Nein, ich glaube, das wird nicht passieren. Selbst wenn ich es schaffen würde, meinen Plan in die Tat umzusetzen, täte ich alles dafür, nicht in den Nachrichten zu erscheinen. Keine zehn Pferde bringen mich in ein Fernsehstudio.«
Galvin grinste. »Du stehst nicht so gerne im Mittelpunkt, was?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hasse es wie die Pest. Ich fühle mich jedes Mal, als wäre ich nackt.«
Sam wackelte anzüglich mit den Augenbrauen, woraufhin ich kopfschüttelnd die Augen verdrehte und Chenoa ihm mit genervtem Gesichtsausdruck einen Schlag auf den Arm verpasste.
»Jungs...«, murmelte auch Marilyn.
»Ist das eigentlich dein Freund?«, schmunzelte Sam.
»Was? Wer?«

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Als die Fantasie Grenzen bekam
Science Fiction2184: Luna lebt in einer Welt, in der es keine Fantasie mehr gibt. Von der Regierung wird sie den Menschen bereits bei ihrer Geburt entzogen. Allein den Umständen ihrer Geburt hat Luna zu verdanken, dass sie eine der Einzigen ist, die ihre Fantasie...