»Ich bin so froh, dass du bei mir bist.« Großmutters Stimme zitterte noch immer, und obwohl ich ihr schon an die hundert Mal versichert hatte, dass es mir gut ging – jedenfalls physisch - , musterte sie mich mitunter besorgt. »Das alles muss schrecklich gewesen sein«, sagte sie unter Tränen, während wir nur wenig später gemeinsam mit Samira in der Küche der alten Dame saßen. Vor mir stand noch immer die dampfende Teetasse, von der ich noch keinen einzigen Schlucken genommen hatte, seit ich begonnen hatte zu erzählen. Weder Samira, noch Großmutter hatten mich auch nur ein einziges Mal unterbrochen und gespannt an meinen Lippen gehangen, was eine Seltenheit war. Meine Worte klangen einfach besser auf Papier, als aus meinem Mund.
»Das war es«, war das Einzige, was ich herausbrachte, da mir die Trauer einmal mehr den Hals zuschnürte und es mir schier unmöglich machte, zu sprechen.
Zuvor hatte das monotone Gebrabbel des Nachrichtensprechers im Fernsehen noch die Pausen des Schweigens damit überbrückt, von den neuen wissenschaftlichen Entdeckungen, wie einem Anzug, der Unsichtbarkeit versprach und nun in Fachgeschäften erhältlich war, zu berichten. Jetzt hingegen erfüllte beklemmende Stille die Küche, bis sich Großmutter verlegen räusperte. »Brauchst du noch etwas? Hast du Hunger? Oder Durst?« Ihr war anzusehen, dass sie in demselben Moment bemerkte, wie sinnlos ihre Frage gewesen war. Ich hatte meine Teetasse kein einziges Mal angerührt, obwohl ich normalerweise nicht die Finger von dem Getränk lassen konnte, insbesondere bei einem solch regnerischen Wetter wie diesem. Innerhalb weniger Minuten war der friedliche Sonnenschein einem Unwetter mit Schüttregen, Donner und Sturm gewichen. Immerhin etwas Positives konnte ich dem Ganzen abgewinnen: Ein Regenbogen spannte sich in all seinen Farben über den Himmel, was von dem starken Wind rührte, der die Wolken mit unglaublicher Geschwindigkeit über die Welt schob, sodass ab und an die Sonne auf uns hinunter blicken konnte. Dennoch peitschte der Regen geräuschvoll und bedrohlich an die Fensterscheiben, Äste wurden umher geweht und Blätter aufgewirbelt. Der Wind schien mit ihnen zu spielen, wie ein unbarmherziger Meister mit seinen Marionetten, der das Laub nur für einen kurzen Moment aus seinen Klauen entließ und zu Boden segeln ließ, ehe er erneut Besitz über sie und ihr Tun ergriff.
»Nein, danke«, sagte ich geistesabwesend und nahm eilig einen Schluck von meinem Tee.
»Vielleicht solltest du dich einfach ausruhen«, schlug Großmutter vor und lächelte aufmunternd. »Leg dich doch ein bisschen hin, Samira und ich bereiten solange das Abendessen vor.«
Ich nickte, verstand jedoch nur einen Bruchteil der Bedeutung ihrer Worte. Dennoch war es genug, um zu wissen, dass sie von mir erwartete, dass ich mich in Bewegung setzte, um mich in das Gästebett zu legen, das in letzter Zeit zu Großmutters Schlafplatz geworden war. Nur nebenbei hörte ich, wie Großmutter über die Pläne des nächsten Tages sprach. Sie wollte mit mir in die Stadt gehen, um unauffälligere Kleidung zu kaufen. Ihre Stimme war unsicher, ja beinahe ängstlich, doch ich war zu müde, um den Grund dafür zu verstehen.
»Lange werde ich aber ohnehin nicht mehr bleiben«, unterbrach ich Großmutter, ehe ich die Küche verließ. Sie sollte sich lieber keine allzu großen Hoffnungen auf eine von den letzten drei Jahren aufgeholte, glückliche Oma-Enkel-Zeit machen.
Sie war gerade dabei aufzustehen, doch bei meinen Worten stutzte sie und verharrte an Ort und Stelle – halb sitzend, halb stehend. Es wäre ein amüsanter Anblick gewesen, wenn nicht alles so beschissen gewesen wäre. »Wie meinst du das?«
»Ich kann nicht mehr lange hier bleiben«, wiederholte ich, »weil ich einige Dinge zu erledigen habe.« Um was genau es sich dabei handelte, ließ ich absichtlich außen vor, da ich Großmutter gut genug kannte, um zu wissen, dass es sie nur noch mehr in Sorge versetzten würde.
Misstrauisch kniff sie die Augenbrauen zusammen. »Und die da wären?«
»Ich muss mich um etwas kümmern. Je weniger ihr wisst, desto besser.«
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Als die Fantasie Grenzen bekam
Ciencia Ficción2184: Luna lebt in einer Welt, in der es keine Fantasie mehr gibt. Von der Regierung wird sie den Menschen bereits bei ihrer Geburt entzogen. Allein den Umständen ihrer Geburt hat Luna zu verdanken, dass sie eine der Einzigen ist, die ihre Fantasie...