v i e r u n d v i e r z i g

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»Ich dachte, wenn ihr nichts von meiner Anwesenheit wisst, kann man euch eher aus der Reserve locken. Aber anscheinend war das gar nicht nötig.« Er schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Ich hatte es mir schwerer vorgestellt, euch hier zu finden. An eurer Stelle hätte ich mir ein weniger leichtes Versteck ausgesucht.«

Ich nichts zu erwidern, und auch Sam schien es die Sprache verschlagen zu haben.

Hinter Tim traten weitere Männer hinzu, die uns hämisch grinsend von oben herab musterten. Sam ballte die Hände zu Fäusten. Ich meinte, die Wut und das Testosteron riechen zu können, die in ihm aufloderten und einen inneren Kampf mit der Angst ausfochten.

Tim schüttelte leise lachend den Kopf. »Du bist so leicht zu durchschauen, Luna. Es war offensichtlich, dass du hierher kommen würdest, und ebenso klar war der Grund dafür: Die Menschen, die du liebst, und dein dummes, kleines, naives Herz, das dir vorgespielt hat, du könntest tatsächlich der ganzen Welt ihre Fantasie zurückbringen. So war es auch für uns ein Leichtes, dich ausfindig zu machen. Uns war schließlich bewusst, dass du nicht zur Regierung gehen würdest, bevor du nicht einmal bei deiner geliebten Großmutter vorbeigeschaut hast. Und von dort aus war es mehr als einfach, dir zu folgen, auch wenn man uns im Zug einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.« Er bedachte mich mit einem gespielt mitleidigen Blick. »Dabei hätte es für dich viel einfacher enden können. Keine anstrengenden Strapazen, keine Trauer mehr. Jetzt hast du weitere Tage voller Schmerz gelebt und was hat es dir letztendlich gebracht?« Ehe ich antworten konnte, fuhr er fort. »Genau, nichts. Du wirst so oder so sterben.« Tim lächelte; in seine Augen glänzten wie im Fieber.

Nein, kein Fieber. Mordlust, schoss es mir durch den Kopf. Er war ein Psychopath.

Sein Gesichtsausdruck weckte die längst verlorene Wut in mir. Wie von selbst zogen sich meine Augenbrauen zusammen. Entschlossen stand ich auf. »Gut. Dann versuch es. Versuch, mich umzubringen. Aber ich werde nicht kampflos aufgeben. Denn ich bin nicht so feige wie du, der einen Teenager töten will. Scheinbar stelle ich ja trotzdem eine recht große Gefahr für dich dar, oder wie soll ich mir sonst erklären, dass du mich unbedingt loshaben willst?« Ich wusste nicht, woher ich den plötzlichen Mut nahm, doch eine leise Stimme sagte mir, dass es an Sam lag.

Tims Lächeln blieb unveränderlich. »Schätzchen, ich glaube du hast das Prinzip noch nicht ganz verstanden. Es geht hier nicht um existenzielle Gefahr, es geht um Rache.«

Ich versuchte, mich nicht von seinen Worten aus der Bahn bringen zu lassen. »Rache? Rache wofür? Dafür, dass ich deine Pläne durchkreuzt habe, die du letztendlich dennoch in die Tat umsetzen konntest? Dafür, dass ich dich verletzt habe, nachdem du mir das Leben zur Hölle gemacht hast? Was hätte ich tun sollen? Dich auf einen Kaffee einladen?«

»Nein«, entgegnete Tim ungerührt. »Du hättest kooperieren sollen. Dann wäre es niemals dazu gekommen.«

Ich stieß ein bitteres Lachen aus. »Das sagst gerade du, der jetzt einen auf Rebell macht. Wenn die Regierung dich erwischt und ebendieses Argument vorlegt, sieht es aber ganz schön schlecht für dich aus.«

»Du hast da nur einen winzig kleinen Denkfehler gemacht«, warf Tim ein und legte Daumen und Zeigefinger aneinander, wobei er jedoch eine kleine Lücke ließ. »Die Regierung wird mich nicht erwischen. Ich habe...«

Ein Schuss übertönte seine restlichen Worte. Erschrocken glitt mein Blick über Tims Männer, doch keiner von ihnen hielt eine Pistole in der Hand; sie alle hatten ihre Waffen sicher in ihrem Halfter verstaut. Ein weiterer Schuss fiel, dann erklang ein Schmerzensschrei. Einer der Männer krümmte sich und sank zu Boden; in seinem Unterschenkel klaffte ein kleines, dunkelrotes Loch. Erschrocken starrte ich ihn an, dann hörte ich die Stimmen draußen auf dem Gang und mein Blick schweifte zur Tür. Auch die Männer fuhren herum und zückten so geräuschlos wie möglich ihre Waffen. Sam, der ebenfalls aufgestanden war, riss mich aus meiner Schockstarre und zog mich hastig hinter den Schrank.

Als die Fantasie Grenzen bekamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt