n e u n z e h n

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Mein Herz klopfte wie wild in meine Brust und ich starrte fassungslos die Tür an, als sei sie Schuld an alldem. Woher wusste Tim, dass ich hier stand? War ich etwa so laut gewesen? Dabei hatte ich mich doch darum bemüht, ja keinen Laut von mir zu geben. Oder hatte etwa mein Herzschlag mich verraten? Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Das war unmöglich.

»Kameras«, antwortete Tim auf meine stumme Frage hin, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Also komm schon. Wir wissen alle, dass du da bist. Beweg deinen Hintern hier rein und spiel keine Spielchen mit uns, die wir sowieso längst gewonnen haben.«

Mir blieb keine andere Wahl. Wenn ich wissen wollte, wieso all das geschehen war, musste ich wohl oder übel in die Küche gehen.

Mein Atem ging stoßweise vor Angst und Aufregung, als ich nach der Türklinke griff und meine Hand um das kühle Metall legte. Langsam vergrößerte ich den Spalt zwischen Tür und Türrahmen und lugte durch die Öffnung ins Innere des Raumes. Nur eine winzige Lampe über dem Herd leuchtete und tauchte das Zimmer in ihr kaltes, weißes Licht. Neben einer modernen, in Weiß gehaltenen Küchenzeile konnte ich einen Tisch mit einer geblümten Tischdecke ausmachen. Darauf lagen ein großes scharfes Messer sowie eine Spritze. Daneben, auf dem kalten Steinboden saßen Sophie und Robert dicht aneinander gedrängt an der Heizung. Sie beide waren gefesselt und geknebelt und hatten die Augen geschlossen. Während Robert jedoch die Augen öffnete, als ich eintrat, blieben Sophies Augen geschlossen.

Ich starrte die beiden entsetzt an. War Sophie etwa... Ich verbot mir jegliche Gedanken, die diese Richtung einschlugen. Fragen um Fragen spukten durch meinen Kopf wie ruhelose Geister, doch so sehr ich mich auch anstrengte, mein Gehirn wollte keine Antworten ausspucken. Wieso war Robert gefesselt? War er etwa gar nicht der eigentliche Verräter – der Hauptverräter? Tim trug die meiste Schuld an allem? Und Sophie? Was hatte sie mit der ganzen Sache zu tun? Oder war sie etwa so wie ich einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen? Schließlich hatte auch ich nicht erwartet, Tim hier anzutreffen.

»Keine Sorge, sie lebt noch«, entgegnete Tim und klang dabei, als würde es ihn nicht kümmern, wäre es nicht so.

Ich verspürte das unbändige Bedürfnis, ihm eine zu scheuern, doch ich wusste, dass dies alles nur noch schlimmer machen würde. Die andere Option wäre, zu verschwinden, um Hilfe zu holen. Ich könnte den richtigen Täter stellen, Sophie befreien und zugleich auch meine Unschuld beweisen. Könnte drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Doch ich wollte mir gar nicht erst ausmalen, was Tim in der Zeit meiner Abwesenheit mit Sophie, aber auch Robert anstellen würde, und so verharrte ich an Ort und Stelle.

»Du also«, stellte ich fest und versuchte, gefasst zu klingen. Doch meine Stimme ähnelte mehr der eines Raben mit Lungenentzündung und üblem Husten als der eines Menschen.

»Setz dich doch.« Er deutete auf einen Stuhl, der vor dem Küchentisch stand. Tim lehnte lässig an der Spüle der Küchenzeile, die Arme vor der Brust verschränkt, und lächelte. Doch es war kein freundliches Lächeln. Es war belustigt, kalt, herablassend. Eine seltsame Mischung, die ich nicht so recht definieren konnte. Schadenfroh traf es wohl am besten, wenn auch nicht genau auf den Punkt.

»Ganz bestimmt nicht.«

Tim schien mein Blick nicht zu entgehen, der immer wieder nervös zu Sophie und Robert huschte. »Ich fessle dich schon nicht an den Stuhl«, entgegnete er genervt, fügte jedoch hinzu: »Solange du nicht abhaust.«

Ich dachte nicht einmal im Traum daran, seinen Worten Glauben zu schenken, was aber in Anbetracht der Tatsachen keine verwunderliche Reaktion war. Tim hatte mein Vertrauen mehr als nur einmal missbraucht. So viel wusste er von mir und jeder Fakt über mich, den er kannte, war auf einmal einer zu viel. Wut stieg in mir auf. Wut über mich selbst, meine Naivität, meine Leichtgläubigkeit, meine Dummheit und darüber, dass ich es einfach nicht gesehen hatte. Ich hatte nicht gesehen, wer mir die Rolle der Verräterin angehängt hatte, und den Falschen verdächtigt. Den, der allen Anschein nach kaum mehr als eine Marionette war.

Als die Fantasie Grenzen bekamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt